Besucher-Service lädt in Kölns schöne Innenstadtkirchen ein

"Menschen im Veedel nahe sein"

Neben dem Dom besuchen viele Touristen auch die romanischen Kirchen. Viele Gemeindemitglieder engagieren sich hier in einer ehrenamtlichen Aufsicht – auch kirchenferne. Über ein schönes Angebot für Besucher mit traurigem Hintergrund.

Autor/in:
Beatrice Tomasetti
Zwei Besucher sprechen mit einer ehrenamtlichen Aufsichtsperson in der Kölner Pfarrkirche St. Severin / © Beatrice Tomasetti (DR)
Zwei Besucher sprechen mit einer ehrenamtlichen Aufsichtsperson in der Kölner Pfarrkirche St. Severin / © Beatrice Tomasetti ( DR )

Stefanie Manderscheid erinnert sich noch allzu gut an ihre erste Venedig-Reise.

„In einer Kirche kam damals ein alter Priester auf mich zu und verwickelte mich in ein freundliches Gespräch. Unaufdringlich, aber zugewandt machte er mich auf die Besonderheiten dieses Gotteshauses aufmerksam. Diese Begegnung habe ich nie vergessen.“

Heute macht die 59-Jährige in der Kölner Innenstadtkirche St. Severin genau das, was sie damals selbst als überraschend positive Erfahrung verbucht hat: Sie vermittelt Besuchern des romanischen Gotteshauses das Gefühl, willkommen zu sein.

Mancher Besucher braucht mehr als nur Infos

Etwa sechs Stunden pro Woche sitzt sie am Schriftenstand in der Nähe des Eingangs und ist ansprechbar – für jeden, der kommt.

Besucherservice am Schriftenstand in der Kölner Pfarrkirche St. Severin / © Beatrice Tomasetti (KNA)
Besucherservice am Schriftenstand in der Kölner Pfarrkirche St. Severin / © Beatrice Tomasetti ( KNA )

„Ich mag es, mit den Menschen ins Gespräch zu kommen, sie dabei zu unterstützen, einen Zugang zu dieser Kirche zu finden oder auch Fragen unterschiedlichster Art zu beantworten.

Denn nicht allen, die hier einkehren, geht es ja gut. Manche brauchen mehr als nur eine Information über den Raum“, beobachtet die studierte Kunsthistorikerin.

Meditative Stille kontrastiert Veedel-Trubel

Und dann sei es gut, ein offenes Ohr zu haben. „Es macht mich froh, wenn schon ein kurzes Gespräch nicht ganz wirkungslos geblieben ist und ich irgendwie weiterhelfen konnte.“

Aber selbst wenn während ihres Einsatzes nur vereinzelt jemand den Weg in diesen vor Jahren komplett sanierten Sakralbau in der Südstadt findet, kann sie diesem Dienst eine Menge abgewinnen.

„Mich reizt die meditative Stille an diesem Ort, die immer wieder in einem merkwürdigen Kontrast zu dem Trubel in diesem quirligen Veedel steht. Hier komme ich wunderbar zur Ruhe.“

Teams mit Ehrenamtlichen zwischen 32 und 86 Jahren

Buch: 111 Kölner Kirchen, die man gesehen haben muss

Ob Köln nun heilig oder scheinheilig ist – auf jeden Fall ist die Stadt weltbekannt für ihre Glückseligkeit. Das mag vielleicht auch an der unglaublichen Vielzahl der Kirchen liegen, die es in Köln gibt. In der Stadt, in der es fast unmöglich ist, auszugehen und alleine zu bleiben, ist es auch fast unmöglich, beim Spaziergang nicht alle paar Meter über ein Gotteshaus zu stolpern.

Romanische Kirche St. Gereon, Köln / © Ana del Castillo (shutterstock)
Romanische Kirche St. Gereon, Köln / © Ana del Castillo ( shutterstock )

Geliebäugelt mit diesem Engagement habe sie immer schon und sich dann beworben, als es dafür eine offizielle Ausschreibung im Pfarrbrief gab.

Marianne Ricking ist seit zwei Jahren die Koordinatorin dieses Besucherservice in St. Severin und verantwortlich dafür, dass alle Öffnungszeiten der Kirche mit Freiwilligen des Kirchenempfangsteams abgedeckt sind.

„Das erfordert viel Organisation, vor allem aber auch Beziehungsarbeit, um aus einer Gruppe mit einer Altersspanne von 32 bis 86 Jahren eine funktionierende Gemeinschaft zu machen und den Zusammenhalt zu pflegen. Wir hören ja nicht nur den einzelnen Menschen an. Das Spektrum, bei dem wir gefragt sind, ist vielfältig.“

Lebensgeschichten, Glaubensfragen, Kirchenwut und Caritas

Darauf müsse jeder vorbereitet sein, erklärt die 72-Jährige, für die St. Severin „ein Stück Heimat“ ist, wie sie sagt – auch weil sie hier als Ordensfrau 36 Jahre lang die Gemeinde-Kita geleitet hat, nach ihrem Ausstieg aus dem Orden zudem einige Jahre Pfarrküsterin war und nun vor allem als ehrenamtliche Bestattungsbeauftragte gefragt ist.

„Manche erzählen ihre ganze Lebensgeschichte, andere suchen Halt bei Glaubensfragen, wieder andere müssen Dampf ablassen, weil sie von der Kirche enttäuscht sind. Auch dafür sind wir da.“

„Außerdem arbeiten wir eng mit der Gemeindecaritas zusammen, vermitteln bei konkretem Hilfebedarf an eine zuständige Stelle in unserer Gemeinde weiter oder auch an die Bahnhofsmission, wenn jemand eine Fahrkarte braucht und nicht weiß, woher er das Geld dazu nehmen soll.“

Kooperation mit Apotheke für Dienst an Hilfsbedürftigen

Benötige jemand dringend Medikamente – auch das sei schon vorgekommen – dann wende man sich an eine Apotheke, mit der eine Kooperation bestehe. Entstehende Kosten übernimmt dann die Caritas.

„Wir können auf ein riesiges Netzwerk an Hilfen zurückgreifen“, so Ricking, die Teil des Pastoralteams ist. Wichtig sei allerdings, sich in vielen Bereichen auszukennen, um dann auch eine Lösung für das jeweilige Problem finden zu können.

Im Kontext dieser Ansprechbarkeit für Menschen, die in Not sind, ist für sie von Vorteil, seit Jahrzehnten in unterschiedlichen Funktionen fester Bestandteil des Gemeindelebens zu sein.

Gespräche über Kirchenerlebnisse aus alten Tagen

„Dass mich die Menschen kennen – noch aus meiner Zeit als Kita-Leiterin oder jetzt zunehmend von Obdachlosenbeerdigungen – hält die Hemmschwelle niedrig und lässt viele Vertrauen fassen, sich mit ihrem Anliegen an mich zu wenden. Die meisten wissen, Mittwochnachmittag treffen sie mich ganz sicher hier beim Kirchenempfang an.“

Besucherservice in der Kölner Pfarrkirche St. Severin / © Beatrice Tomasetti (KNA)
Besucherservice in der Kölner Pfarrkirche St. Severin / © Beatrice Tomasetti ( KNA )

Dabei brauchten viele eigentlich nur jemanden, der ihnen zuhöre. Trotzdem sei diese Art „Info-Point“ kein verlängerter Arm der Caritas, sondern eher ein Treffpunkt und niederschwelliges pastorales Angebot für eine breite Palette an Menschen mit ganz unterschiedlichen Bedürfnissen.

Manchmal ergibt sich wie von selbst ein sehr persönliches Gespräch über weit zurückliegende Erlebnisse in dieser Kirche.

Kirchen als Sakralbauten und Grenzsteine des Lebens

„Dann erzählen Menschen, dass sie hier getauft wurden, zur Kommunion gegangen sind oder geheiratet haben. Sie sprechen davon, wie es in ihrer Heimatgemeinde aussieht, wo das Gemeindeleben schrumpft“, berichten Ricking und Manderscheid.

„Oder aber sie fragen nach den Gottesdienstzeiten, nach den Baudaten der Kirche oder wie lange die Sanierung her ist. Sie wollen wissen, was die Kunstwerke darstellen oder ob die Krypta zugänglich ist. Wann es Führungen gibt, wo die Kanzel oder die Beichtstühle von einst verblieben sind – woraus sich oft ein Austausch über tiefer gehende Fragen ergibt. Oder aber sie vermissen, dass das Jesuskind am zweiten Advent noch nicht in der Krippe liegt.“

Citypastoral im Erzbistum Köln

Vom Beginn an war die Stadt das Wirkungsfeld der Kirche. Die ersten christlichen Missionare, allen voran Paulus, wählten die Städte für ihre Tätigkeit. Das Christentum war damit lange eine „Stadtreligion“. Heute gilt dies wieder – und zwar mehr denn je.

Volkskirchliche Strukturen verlieren in der Stadtgesellschaft an Bedeutung. Die Zahl der Menschen, die den Kontakt zu einer Pfarrgemeinde suchen oder gar in ihr verwurzelt sind, sinkt. Das Konzept der Citypastoral setzt genau hier an.

Symbolbild offene Kirchentür / © Eugene Kuryashov (shutterstock)
Symbolbild offene Kirchentür / © Eugene Kuryashov ( shutterstock )

Auch für Kirchenkritik sähen manche bei dieser kurzen Begegnung ein Forum. „Da ist man oft mit dem eigenen Glaubenszeugnis gefordert“, erklärt Ricking.

Nähe zu Menschen gelingt hier trotz innerkirchlicher Konflikte

„Manche wundern sich, dass unsere Kirche angesichts der vielen Austritte überhaupt noch belebt ist.“

„Den Menschen im Veedel nahe sein – das ist unser Konzept.“ Die Außenwirkung zeige, dass genau das St. Severin gelinge – trotz der allgemeinen Gemengelage in der Institution Kirche.

„Hier spüren die Menschen, wie wir Gemeindeleben verstehen. Bei uns wird niemand aussortiert. Wir begegnen allen offen und interessiert“, ergänzt Stefanie Manderscheid,

Kirchenferne Ehrenamtler stehen immer noch dem Gebäude nahe

Hinter den beiden Frauen steht ein rund 30-köpfiges Team von Ehrenamtlern: Frauen und Männern, Junge und Ältere, Berufstätigen und Ruheständlern, aktive, aber auch passive Gemeindemitgliedern, bekennend queere und Protestanten; sogar solche, die der Kirche schon vor einiger Zeit den Rücken gekehrt haben, ihr vor Jahren begonnenes Ehrenamt allerdings trotz Austrittes nicht aufgeben wollen.

Ganz im Gegenteil: an das Gebäude, aber auch an die Menschen, die hier so viel aus Eigeninitiative auf die Beine stellen, haben sie eine gewachsene Bindung.

Und die seien ja auch nicht schuld, wenn die Kirche immer mehr an Vertrauen verliere, argumentieren sie.

Kirchen könnten ohne Aufsicht Besuchern nicht offenstehen 

Ziel dieses Besucherdienst-Projektes, das auch in den anderen Innenstadtkirchen existiert und von Pastoralreferent Thomas Zalfen koordiniert wird, ist, die Kirchen im Stadtgebiet offen zu halten und einladend zu gestalten, Informationen bereitzustellen und gleichzeitig auch ein gewisses Maß an Ordnung und Sicherheit zu gewährleisten.

„Wenn wir den Besucherservice nicht hätten, der auch ein Hütedienst ist, könnten wir unsere Kirche kaum unbeaufsichtigt lassen“, sagt Ricking.

„Leider haben manche auch gar kein Gefühl mehr dafür, wie man sich in einem sakralen Raum verhält“, bedauert Manderscheid.

Offenheit ist notwendige Voraussetzung für dieses Ehrenamt

„Der Kirchenempfang heißt die Besucherinnen und Besucher unserer Kirchen willkommen. Das geschieht durch einen Gruß, ein freundliches Lächeln oder ein kurzes Nicken und zeigt, dass die Menschen gesehen werden“, skizziert Zalfen diesen Dienst, für den er immer wieder auf der Suche nach zusätzlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ist.

Besucherservice vor dem Altar der Kölner Pfarrkirche St. Severin / © Beatrice Tomasetti
Besucherservice vor dem Altar der Kölner Pfarrkirche St. Severin / © Beatrice Tomasetti

Notwendige Voraussetzung für dieses Ehrenamt sei allerdings Offenheit. „Denn bei diesem Dienst begegnet man Menschen, mit denen man sonst nicht in Kontakt kommen würde.

„Unsere Kirchen sind Orte der Ruhe und des Gebetes, Oasen in der lauten und schnellen Stadt.“ Und die Besucher reichten von Betenden, Hilfesuchenden, Kirchenfernen, Einsamen und Trauernden bis hin zu Touristen oder kunsthistorisch Interessierten.

Man muss empathisch sein und durchgreifen können

Wer hier sitze, sollte über Empathie verfügen und auch erkennen, wann jemand der Kirche verwiesen werden müsse, das stellt auch Ricking zum Profil dieses Dienstes fest, gerade wenn es um Randale – selbst eine gutmütige von angeschwipsten Passanten – gehe.

„Das ist dann oft eine Gratwanderung, aber dafür werden wir auch geschult, um einer möglichen Eskalation vorzubeugen.“

Außerdem treffe sich das Team alle drei Monate zum Austausch und um manche Empfehlung untereinander weiterzugeben.

Der Kirche ein konkretes Gesicht verleihen

Gerade bei erhöhtem Besucheraufkommen an den Wochenenden sei schon mal voller Einsatz gefordert. „Da rennen uns die Leute förmlich die Bude ein“, lacht sie.

Aber selbst dann bleibt für die beiden Verantwortlichen des Kirchenempfangs wesentlich, „dass hinter dem Gebäude konkrete Menschen stehen“.

„Wer hierher kommt“, betont Stefanie Manderscheid, „soll erfahren, dass die Kirche ein Gesicht hat.“

Hintergrund: Vandalismus

Vandalismus bezeichnet eine dem Anschein nach blindwütige Beschädigung oder Verwüstung fremden Eigentums. Geprägt wurde der Begriff in der Französischen Revolution durch Bischof Henri Gregoire von Blois. Der Geistliche prangerte damit 1794 die ausufernde Kunstzerstörung radikaler Gruppen von Arbeitern und Handwerkern an. Das Wort leitet sich ab von einem germanischen Stamm, der im Jahr 455 in Rom einfiel. Die Wendung "wie die Vandalen hausen" ging in den allgemeinen Sprachgebrauch ein.

Vandalismus in Kirchen / © Harald Oppitz (KNA)
Vandalismus in Kirchen / © Harald Oppitz ( KNA )
Quelle:
DR