Reaktivieren der Grenzen beeinflusst Großregion im Südwesten

Bestürzung über "Zurückfallen in alte Verhaltensmuster"

Viele Menschen werten die Grenzschließungen im Südwesten als Affront. Sie ziehen Einschränkungen und Umwege mit sich, trennen Freunde und Familien. Mancherorts scheinen Vorurteile aufzubrechen. Kardinal Hollerich zeigt Unverständnis.

Autor/in:
Anna Fries
Grenzkontrollen / © Philipp von Ditfurth (dpa)
Grenzkontrollen / © Philipp von Ditfurth ( dpa )

Passierscheine für Grenzgänger, Wartezeiten, Polizeipräsenz und Kontrollen - ungewohnte Bilder zeigen sich derzeit auf dem Weg von Deutschland nach Luxemburg. Im Zuge der Corona-Krise wurde ein Kernelement von Europa, offene Grenzen und Freizügigkeit, eingeschränkt. Zum Ärger vieler Bürger auf beiden Seiten der Grenze. Die Situation bringt grenzüberschreitende Hilfen hervor - aber auch Vorurteile und ein Denken von "wir" versus "die anderen".

Seit Mitte März kontrolliert die Bundespolizei an den Übergängen nach Luxemburg und Frankreich, kleinere Grenzübergänge sind geschlossen - zur "Eindämmung der Infektionsgefahren durch das Coronavirus", so das Bundesinnenministerium. Ein- und ausreisen dürfen Berufspendler und Personen mit "dringendem Grund". Schrittweise soll sich die Lage nun wieder ändern.

Ausnahmesituation für Region

Dennoch eine Ausnahmesituation für die Großregion, die das Saarland, Lothringen, Luxemburg, Rheinland-Pfalz und die Wallonie umfasst. Normalerweise pendeln hier nach Angaben der Länder täglich rund 240.000 Menschen beruflich zwischen den Ländern. Die Region weise damit die höchste grenzüberschreitende Mobilität von Arbeitnehmern in der EU auf. Dazu kommen Besuche bei Freunden oder Familie.

Durch einen Fluss und eine gesperrte Grenze sind nun etwa die beiden Dörfer Rosport (Luxemburg) und Ralingen (Deutschland) getrennt. Für Rosports Bürgermeister Romain Osweiler ein Einschnitt, der den Lebensgewohnheiten der Menschen in der Region nicht gerecht wird. "Für uns existierte die Grenze in den Köpfen nicht", sagt er. Die Brücke sei bisher nicht als Grenze wahrgenommen worden, sondern als Verbindungsweg. In seinen Augen handelt es sich bei der Grenzschließung um mehr als eine normale Straßensperrung. "Man muss sich über die Konsequenzen im Klaren sein", betont er.

Grenzen zurück

Die Grenzschließung habe "viele alte Reflexe" hervorgerufen, sagt der Bürgermeister. Osweiler berichtet von Menschen, die beschimpft worden seien, sie sollten "mit ihren Krankheiten im eigenen Land" bleiben. Auch seien in Sozialen Netzwerken wütende Kommentare von Deutschen und Luxemburgern über die jeweils anderen zu lesen. "Das ist katastrophal", sagt er. "Wir sind Freunde. Wenn ein solches Denken überhand nimmt, was ist Europa dann noch wert?" Er befürchte, dass es lange dauern könnte, zu kitten, was jüngst an deutsch-luxemburgischer Freundschaft kaputt gegangen sei.

Gemeinsam mit seinem deutschen Kollegen hat Osweiler einen Brief an die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) verfasst. "Wir sind bestürzt über das reflexartige Zurückfallen in alte Verhaltensmuster, statt gemeinsam grenzüberschreitend lösungsorientiert zu handeln", schreiben sie.

Zuspruch erhalten sie von Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn, der die Grenzschließungen als "sehr tiefen Einschnitt in das alltägliche Leben in der Großregion" bezeichnete. Auch Luxemburgs Kardinal Jean-Claude Hollerich äußerte Unverständnis für die Grenzschließungen und appellierte zu mehr Zusammenhalt und Koordination auf EU-Ebene.

Einschränkungen als Chance

Der Leiter des grenzüberschreitenden Forschernetzwerks "UniGR-Center for Border Studies" in Luxemburg, Christian Wille, sieht trotz aller Einschränkungen auch Chancen. "Menschen erkennen, dass offene Grenzen ein hohes Gut sind, das es zu schützen gilt", sagt er. Und auch wenn eine einheitliche Linie der Länder fehle und Abstimmungsprozesse in der Großregion anfangs "problematisch bis nicht vorhanden" gewesen seien, äußerte er Verständnis: "Keiner hat Erfahrung mit solchen Extremsituationen." Zu überlegen sei, künftig grenzüberschreitend Konzepte für solche Situationen zu entwickeln und zu üben.

Andere setzen derweil Zeichen grenzüberschreitenden Zusammenhalts: Als Baguette-Angler an der gesperrten deutsch-französischen Grenze zwischen Lauterbach und Carling wurde Hartmut Fey bekannt. Er wollte nicht auf sein französisches Baguette verzichten und traf mit seiner angestammten Bäckereiverkäuferin in Frankreich eine Abmachung: Sie tütete Croissants und Baguettes für ihn ein, er fischte sie mit einer Angel über die Absperrung auf der Hauptstraße. In einem Video sagt Fey: "So funktioniert deutsch-französische Freundschaft."


Quelle:
KNA