Bestattungsexperte über berühmte Friedhöfe

"Ein Grab ist ein Begegnungsort"

Elvis Presley, Lady Diana oder Romy Schneider: Die Gräber berühmter Menschen werden bereits seit dem 19. Jahrhundert gerne besucht. Warum diese Entwicklung zu einem neuen Umgang mit dem Thema Tod führen könnte, so Oliver Wirthmann.

Autor/in:
Paula Konersmann
Ruhestätte von Margarete Steiff  (KNA)
Ruhestätte von Margarete Steiff / ( KNA )

Katholische Nachrichten-Agentur KNA: Herr Wirthmann, warum besuchen eigentlich so viele Menschen die Gräber berühmter Personen?

Wirthmann: Menschen haben heute einen stärkeren Bezug zu solchen Gräbern als zu früheren Zeiten. Das ist zwar kein Massentrend, aber es zeigt, dass der Friedhof kunst- und kulturhistorisch eine unbestreitbare Bedeutung hat. Dabei wird der Friedhof gerade im Boulevard oft totgeredet: Er sei nicht flexibel genug, man würde für Bestattungen lieber in den Wald gehen. Das steht jedoch im Widerspruch dazu, wie viele Menschen den Friedhof wahrnehmen und reflektieren.

KNA: Zugleich verbinden viele Menschen mit dem Friedhof eher Probleme: teure Gräber, aufwendige Grabpflege, Platzmangel. Wie passt das zusammen?

Wirthmann: Bei manchen Menschen zeigt sich eine merkwürdige Entsorgungsmentalität gegenüber Toten. Da spielen finanzielle Engpässe eine Rolle, aber auch andere Wertprämissen. Eine weitere Ambivalenz ist der Trend zum Abschied in aller Stille. Das ist ein Problem: Können Angehörige etwa Kollegen und ferneren Bekannten eines Verstorbenen das Abschiednehmen verweigern? Auf der anderen Seite gibt es ein vermehrtes Interesse am Tod in öffentlicher Wahrnehmung und Begegnung. Dafür gibt es zahlreiche Beispiele: den Tod des Fußballers Robert Enke, das Loveparade-Gedenken, Kreuze für Verkehrstote, die Menschen aufstellen, obwohl sie sich vielleicht gar nicht als Christen verstehen.

Diese öffentliche Gedenkkultur zeigt, dass Menschen in einem gesellschaftlichen Kontext trauern wollen und müssen, dass diese Prozesse aber auch in eine Begleitung eingebettet sein müssen. Bei dem verstorbenen Comedian Dirk Bach ist das Interesse teilweise zum Voyeurismus geworden, alle fragten sich: Wo ist er begraben, wie ist er begraben, was gibt es dort zu entdecken? Man muss unterscheiden, ob es um eine historische oder gesellschaftliche Würdigung geht oder darum, sich fasziniert und schaudernd mit dem Tod Prominenter zu befassen, sich aber nicht wirklich betroffen zu fühlen.

KNA: Wollen viele Menschen den Besuch eines Grabs also schnell abhaken wie etwa andere Sehenswürdigkeiten? Oder bewegen Gräber Menschen anders als andere Bauwerke?

Wirthmann: Kultur beginnt dort, wo Menschen ihre Toten bestatten. Insofern ist ein Grab immer auch ein Referenzpunkt menschlicher Kultur. Der Tod wird durch den Besuch an berühmten Grabstätten in die Gesellschaft hineingenommen, und das sollte man nicht herabwürdigen.

KNA: Ist es nicht trotzdem ein bisschen komisch, das Grab von jemandem zu besuchen, den man nie persönlich kennengelernt hat?

Wirthmann: Menschen, die in der Öffentlichkeit stehen, ob Politiker, Sportler oder Künstler, sind eine nicht unerhebliche Projektionsfläche. Andere Menschen sehen in ihnen eigene Anteile, sei es als Kontrast zu ihrem eigenen Leben, als Ergänzung oder als Abgleichung. Diese medial vermittelte Nähe mag zwar inhaltlich nicht gedeckt sein, bietet aber durchaus eine Möglichkeit zur Identifikation und damit auch Halt für die eigene Lebenswelt.

KNA: Vor allem die Gräber von Musikern wie Falco, Jim Morrison oder Elvis Presley haben sich zu regelrechten Begegnungsstätten entwickelt. Sind sie mit «normalen» Gräbern überhaupt vergleichbar?

Wirthmann: Wenn man es von dieser großen Pilgerschaft herunterbricht, können wir für die Toten, die uns näher sind, durchaus etwas daraus lernen: Das Grab ist ein Begegnungsort. Friedhöfe sind Orte öffentlicher Zugänglichkeit für den Umgang mit Trauer und Tod. Das müssen sie auch sein, damit die Menschen ein Exempel haben, wie die Gesellschaft über den Tod und das Leben nach dem Tod denkt. Die Gräber dieser Promis sind, salopp gesagt, Wallfahrtsstätten geworden; man kann also nicht davon ausgehen, dass das beim Grab von Oma Erna auch passiert.

Wer das reflektiert, kann aber auch das Grab von Oma Erna wieder als Begegnungsstätte für die eigene Familie entdecken, anstatt den zunächst verständlichen, aber eigentlich törichten Einwand vorzubringen: "Wir leben weit verstreut, wir können das Grab nicht besuchen." Der Friedhof könnte so ein Dialogort der Gesellschaft werden, an dem Menschen verschiedener Religionen und Kulturen zusammenkommen.

KNA: Wie können Institutionen wie die Kirchen darauf konkret hinarbeiten?

Wirthmann: Es gibt viele evangelische und katholische Trägerschaften von Friedhöfen. Das ist ein großes kulturelles Kapital, das an vielen Orten schon positiv entfaltet wird. Man könnte aber noch deutlicher machen, wie Christen über den Tod denken und darüber zum Dialog einladen. Das kann bedeuten, dass Friedhöfe durchaus mit evangelischem oder katholischem Profil gestaltet sind, aber auch Raum lassen für neue Begegnungen.

Konkret: Warum nicht mal ein Kinderspielplatz am Friedhof? Keine Bahn für Inlineskates, aber Spielgeräte, die etwa mit einer Hecke eingegrenzt sind? So könnte man auch Kinder an das Thema Tod heranführen. Ebenso könnte man beispielsweise Lesungen auf Friedhöfen gestalten. Diese Profile zu entwickeln, wäre eine Aufgabe für die Kirchen.

 

 

 

Quelle:
KNA