Berliner Rabbiner Alter zu den antisemitischen Demonstrationen

"Wir brauchen klare Stoppzeichen"

Antisemitische Parolen bei Demonstrationen gegen die Politik Israels sind in diesen Tagen in vielen Städten Deutschlands an der Tagesordnung. Der Berliner Rabbiner Daniel Alter war selbst Zeuge solcher Vorfälle und berichtet im domradio.de-Interview.

Demonstration: Pro Palästina - Anti Israel (dpa)
Demonstration: Pro Palästina - Anti Israel / ( dpa )

domradio.de: Herr Rabbiner, wie empfinden Sie die Demonstrationen gegen Israel dieser Tage?

Alter: Seit ich mich mit dieser Problematik befasse, hat sich nicht wirklich etwas an dem aggressiven antisemitischen Potential geändert. Wir machen seit vielen Jahren die Erfahrung, dass jede neue Eskalationsstufe in Nahostkonflikt wie ein Ventil auf antisemitischen Ideen wirkt, die dann freigelassen werden. Jetzt in Berlin habe ich den Slogan "Jude, Jude, feiges Schwein, komm heraus und kämpf allein" mit eigenen Ohren gehört.

domradio.de: Wie geht ihre Gemeinde mit so etwas um?

Alter: Es ist ja leider nicht neu für uns. Wir hoffen, dass die Entscheidungsträger in Politik und Gesellschaft ein klares Gegenzeichen setzen. Es ist richtig, dass in Berlin nun Ermittlungsverfahren eingeleitet werden gegen die Hassprediger und gegen solche Statements. Wir brauchen eine Koalition der Vernünftigen, die ganz klare Stoppzeichen für jede Form von Ausgrenzung, Rassismus und Antisemitismus setzen.

domradio.de: Wo fängt Antisemitismus an, und wo ist Kritik an der israelischen Regierung erlaubt?

Alter: Wenn die Politik der israelischen Regierung in Hinblick auf die besetzten Gebiete oder den Gaza-Streifen kritisiert wird, dann ist das a priori nicht antisemitisch. Wenn aber die islamfaschistischen Organisationen Hisbollah oder Hamas verharmlost werden, dann fangen wir an, uns in einem problematischen Konflikt zu bewegen, weil dann der Konflikt einseitig dargestellt wird. Das erklärte Ziel dieser Organisationen ist die Vertreibung oder Ermordung von mehr als sechs Millionen jüdischer Israelis.

domradio.de: Sie sind nicht nur Rabbi, sondern auch Antisemitismusbeauftragter der Jüdischen Gemeinde in Berlin. Als solcher haben Sie zum Beispiel im vergangenen Jahr das Engagement der Berliner gegen Antisemitismus begrüßt. Hat sich an der Solidarität der Menschen etwas geändert?

Alter: Nicht unbedingt, es gibt immer noch große Teile der Berliner Bevölkerung, die nach wie vor ungebrochen solidarisch mit der Jüdischen Gemeinde in der Stadt Berlin sind.

Der moderne Antisemitismus kommt hauptsächlich aus dem rechten Lager und aus der muslimischen Community. Es erreichen uns aber vermehrt Zuschriften aus der politischen Mitte, die besagen: Bei dieser Politik Israels müsse man sich nicht wundern, wenn es antisemitische Reaktionen gibt. So eine Behauptung suggeriert aber, dass es für Antisemitismus rationale Rechtfertigungen und Erklärungen gebe. Aber keine Form des Rassismus und Antisemitismus kann jemals rational zu rechtfertigen sein.

Das Interview führte Uta Vorbrodt.