Berliner Pallottinerpater berichtet von der Lage in Neukölln

"Wird leider wohl noch mehr eskalieren"

Die Berichte über brennende Objekte und verletzte Polizisten bei Pro-Palästina-Demos in Berlin-Neukölln entsetzten. Pallottinerpater Kalle Lenz arbeitet seit 30 Jahren in diesem Stadtteil. Er erklärt, was dort gut läuft und was nicht.

Nahostkonflikt - Pro-Palästina Kundgebung in Berlin / © Paul Zinken (dpa)
Nahostkonflikt - Pro-Palästina Kundgebung in Berlin / © Paul Zinken ( dpa )

DOMRADIO.DE: Nicht nur, aber besonders in Neukölln gibt es Pro-Palästina-Demos, die in Gewalt gegen Polizei und Sachbeschädigung ausarten. Wie viel bekommen Sie davon mit?

Pater Karl "Kalle" Hermann Lenz SAC (Pfarrvikar von Heilige Drei Könige Nord-Neukölln in St. Christophorus): Ja, natürlich, das ist im Grunde nur 200 oder 300 Meter von meinem Wohnort, der Kirche Sankt Christophorus, entfernt.

Gestern war ein großes Polizeiaufgebot präsent. Die entsprechende Straße war dann auch abgesperrt, damit da keine Schaulustigen hinzukommen. Das ist schon tragisch und es ist auch beängstigend.

DOMRADIO.DE: Sie leben seit 30 Jahren dort. Wie muss man sich Neukölln vorstellen? Wie heterogen oder auch wie homogen ist die Bevölkerungsstruktur?

Lenz: Nein, das ist schon sehr heterogen und es ist eigentlich ziemlich bewundernswert, wie vieles in Neukölln wirklich auch schön und gut ist. Das muss man auch sagen.

Es ist aber alles sehr verdichtet: Es sind sehr viele Menschen, die dort zusammenleben. Das ist schon ein Problem. Aber vieles im Zusammenleben funktioniert ja wunderbar. In unserer Kindertagesstätte treffen ja auch viele verschiedene Nationalitäten aufeinander.

Und wir haben so ein Sozialprojekt, Pallotti-Mobil e.V., da sind auch immer Araber und Muslime dabei und das funktioniert alles. Es gibt also wirklich auch Sachen, die gut laufen.

DOMRADIO.DE: Man bekommt von außen aber eben dann doch hauptsächlich die Bilder von brennenden Gegenständen, von Auseinandersetzungen mit der Polizei mit. Gibt es auch Kräfte in Neukölln, die auf Verständigung und Ausgleich setzen?

Lenz: Ja, natürlich. Die allermeisten Menschen möchten keinen Terror auf der Straße. Auch von den Palästinensern wollen ganz viele gerade das nicht. Eine Bekannte von mir, die Streetworkerin ist, erzählte mir letzte Woche, dass alle Palästinenser, die sie als Streetworkerin angesprochen haben, von sich aus gesagt hätten, sie fänden das von der Hamas fürchterlich.

Ich würde sagen, diese Stimmen gibt es ja auch. Es sind ja immer auch nur fünfzig oder hunderte, die sich da versammeln, aber die machen eben sehr schnell wirklich Randale, indem sie Feuer machen oder Feuerwerkskörper oder Flaschen auf Polizisten werfen.

Teilnehmer einer verbotenen Pro-Palästina-Demonstration zünden in der Nähe der Sonnenallee im Bezirk Neukölln Pyrotechnik. Es wurden auch Steine und Flaschen auf Polizistinnen und Polizisten geworfen, teilte die Polizei auf der Plattform X, früher Twitter, mit / © Paul Zinken (dpa)
Teilnehmer einer verbotenen Pro-Palästina-Demonstration zünden in der Nähe der Sonnenallee im Bezirk Neukölln Pyrotechnik. Es wurden auch Steine und Flaschen auf Polizistinnen und Polizisten geworfen, teilte die Polizei auf der Plattform X, früher Twitter, mit / © Paul Zinken ( dpa )

Und ich sage es ehrlich: Es ist zu befürchten, dass das noch weiter eskalieren wird, weil der Konflikt wird ja länger gehen. Wenn man dann auch noch Bilder davon sieht, wie Palästinenser eben auch Opfer werden, dann wird das leider wohl noch mehr eskalieren, befürchte ich.

DOMRADIO.DE: Wie ist denn Ihre Situation als katholischer Pfarrer dort? Erwarten die Menschen von Ihnen auch eine Positionierung oder wie sieht das aus?

Lenz: Das ist ja klar. Ich habe selbst auch Kontakt zu Moscheegemeinden. Auch der Bezirksbürgermeister hatte letzte Woche einen Aufruf gemacht. Die Positionierung ist ja, dass man natürlich gegen Gewalt ist. Das steht ja außer jeder Frage. Es kann nicht sein, dass in Berlin die Juden Angst haben müssen.

Ich kann da eine Story erzählen, die ich gestern gehört habe. Auf dem Spielplatz hat ein fünfjähriges Kind wohl zu einem anderen Kind gesagt: 'Da ist ja dieser Krieg und die Juden sind schuld und alle Juden müssen tot.' Das ist ja fürchterlich. Das Kind hat das natürlich wiederholt und irgendwo gehört. Aber solche Sachen sind natürlich richtig gruselig.

DOMRADIO.DE: Neukölln ist immer wieder in den Schlagzeilen. Da wird dann schnell von gescheiterter Integration gesprochen. Sie haben eben auch gesagt, dass aber doch auch vieles gut läuft. Haben Sie denn die Hoffnung, dass Neukölln irgendwann keine negativen Schlagzeilen mehr macht beziehungsweise das Bild nach außen sich etwas ändert?

Lenz: Das meiste läuft ja im Grunde auch gut, wobei es natürlich auch Gegenden in Neukölln gibt, wo die Armut groß ist. Das geht aber auch durch mehrere Nationalitäten. Da gibt es natürlich Probleme, aber tendenziell muss man sagen, dass vieles ja auch auch wirklich gut funktioniert.

Wo Integration passiert, wo Zusammenwirken passiert, da gibt es ja wirklich viele gute Leute. Aber Neukölln hat ja hunderttausende Einwohner. Wenn davon eben ein bestimmter Prozentsatz gewalttätig auf die Straße geht, dann kommt das natürlich rüber.

DOMRADIO.DE: Wobei es auch sein kann, dass natürlich andere dann auch Angst haben oder sagen, sie fühlen sich nicht mehr wohl in ihrem Ort.

Lenz: Das ist in den ganzen Jahren so gewesen. Es gibt immer schon Leute, die sich nicht unbedingt gerne nach Neukölln trauen. Das gab es und gibt es immer. Wenn auf der Straße Gewalt ist, muss man das natürlich meiden. Aber generell kann man nicht sagen, dass es so unsicher ist. Das würde ich nicht sagen.

Das Interview führte Dagmar Peters.

Erzbischof Koch zur antijüdischen und antisemitischen Gewalt auf Berlins Straßen

"Es ist nicht hinzunehmen, dass unser jüdischen Nachbarinnen und Nachbarn, die in Sorge und Trauer um ihre Angehörigen, Freundinnen und Freunde in Israel leben, Angst um ihr eigenes Leben mitten unter uns haben müssen. Ich verurteile daher jeglichen Applaus für den Terror der Hamas auf unseren Straßen und jeden Angriff auf jüdische Einrichtungen, so insbesondere den Anschlag auf ein jüdisches Gemeindezentrum in der Brunnenstraße.

Heiner Koch, Erzbischof von Berlin, am Rande der Fünften Synodalversammlung am 11. März 2023 in Frankfurt / © Julia Steinbrecht (KNA)
Heiner Koch, Erzbischof von Berlin, am Rande der Fünften Synodalversammlung am 11. März 2023 in Frankfurt / © Julia Steinbrecht ( KNA )
Quelle:
DR