Berliner demonstrieren Solidarität mit Flüchtlingen

Brennpunkt Hellersdorf

Auch am dritten Tag nach Eröffnung einer neuen Unterkunft für Asylbewerber im Berliner Stadtteil Hellersdorf nutzen Rechtspopulisten den Protest der Anwohner für ihre eigenen Zwecke. Berlins Erzbischof Kardinal Woelki mahnt: "Keine Angst vor Fremden“.

Berliner zeigen Solidarität (dpa)
Berliner zeigen Solidarität / ( dpa )

Zahllose Mannschaftswagen der Polizei säumen über Hunderte Meter die Hellersdorfer Straße in Berlin. Schaulustige Anwohner blicken gespannt auf den kleinen Platz vor dem Einkaufszentrum an der U-Bahn-Station Kaulsdorf Nord. Unweit davon ist am Montag eine neue Notunterkunft für Asylbewerber bezogen worden, seitdem gibt es Kundgebungen dagegen. Am Mittwoch hat die Gruppierung "Pro Deutschland" Stellung bezogen, nur etwa zehn Sympathisanten stehen Hunderten Gegendemonstranten gegenüber.

Woelki: Keine Furcht vor Fremden

Der Berliner Erzbischof Rainer Maria Kardinal Woelki hatte bereits zu Beginn der Protestwelle zu Solidarität mit den Flüchtlingen aufgerufen. Weltweit seien rund 40 Millionen Menschen auf der Flucht, erinnerte Woelki im Rundfunk Berlin-Brandenburg. Nur jeder Hundertste schaffe es in die "Festung Europa“ hinein, abermals nur ein Bruchteil von ihnen komme nach Deutschland. "Vor ihnen sollten wir uns nicht fürchten. Im Gegenteil: Wir können uns freuen, dass wir in einem Land leben mit stabilen und sicheren Verhältnissen. Einem Land, in dem andere Zuflucht suchen. Und wir sollten stolz sein, dass wir ihnen diesen Schutz bieten können, und unsere Türen wieder weiter öffnen."

In Berlin leben zur Zeit rund 6500 Flüchtlinge in Sammelunterkünften. In den kommenden Monaten müssten Plätze für weitere 1000 Menschen in den einzelnen Bezirken gefunden werden, sagte eine Sprecherin von Sozialsenator Mario Czaja (CDU). Ein neues Heim soll im Dezember für rund 220 Flüchtlinge im Stadtteil Pankow öffnen.

Bannmeile um Heime gefordert

Wegen der anhaltenden Proteste gegen das neue Flüchtlingsheim in Berlin-Hellersdorf forderte die Berliner Integrationsbeauftragte Monika Lüke eine Bannmeile um Asylbewerberunterkünfte. So sollten Kundgebungen gegen Bewohner der Heime unterbunden werden, erklärte Lüke am Mittwoch.

Auch der Flüchtlingsrat Berlin bekräftigte seine Forderung nach einem Sicherheitskonzept für das Flüchtlingsheim. Die gegenwärtige Lage vor Ort sei unzumutbar für die Flüchtlinge, sagte Georg Classen vom Flüchtlingsrat der in Berlin erscheinenden "tageszeitung" (Mittwochsausgabe).

Angesichts der Konflikte um Asylbewerberheime wie in Berlin-Hellersdorf hat der CDU-Innenpolitiker Wolfgang Bosbach ein Krisentreffen von Bund, Ländern und kommunalen Spitzenverbänden vorgeschlagen. Nach seiner Ansicht ist mehr Personal nötig, um Asylverfahren zu beschleunigen und Kommunen bei der Unterbringung von Flüchtlingen zu helfen. Er warnte davor, leerstehende Krankenhäuser oder Schulen in Unterkünfte umzuwandeln, so dass viele Flüchtlinge auf einmal dort einziehen können. "Man muss die Sorgen der Anwohner ernst nehmen."

Künast: Auf Kosten der Flüchtlinge

Grünen-Fraktionschefin Renate Künast bezeichnete Aktionen von Rechtsextremisten gegen Flüchtlingsheime als Problem. Vor diesem Hintergrund müssten Kommunen die Entscheidungen für Heimstandorte sorgfältig treffen. "Dazu gehört jeweils auch ein umfassendes Sicherheitskonzept." In Berlin-Hellersdorf sei sehr lax mit dem Thema umgegangen worden - zu Lasten der Bürgerkriegsflüchtlinge, die nun erneut traumatisiert würden. "Man muss die Rechten in ihre Schranken weisen", forderte die Grünen-Politikerin.

Die Polizei steht am Dienstag mit mehreren Mannschaftswagen vor der neuen Notunterkunft für Asylbewerber in der Carola-Neher-Straße, gleichzeitig gehen Anwohner mit ihren Hunden spazieren. Bei den Gegnern verschärft sich der Ton. "Das wird jetzt nur noch Stress geben mit den Ausländern", ruft ein 16-Jähriger, der mit seinen Freunden vor einer benachbarten Schule steht. "Die glauben doch, sie können sich in Deutschland alles erlauben."

In den vergangenen Wochen hat es immer wieder Proteste gegen das Flüchtlingsheim gegeben, am Montag sind die ersten Menschen eingezogen. Empfangen wurden sie von lautstarken Gegnern der Unterkunft, auf der anderen Straßenseite - getrennt durch zahlreiche Polizisten - versammelten sich die Unterstützer.

Flüchtlinge überrascht von Tumulten

Doch die, über die am meisten gesprochen wird, sind fast unsichtbar. Nur vereinzelt sitzen einige Menschen im eingezäunten Hinterhof der ehemaligen Schule, einer von ihnen ist der 21-jährige Zain aus Pakistan. Die Nachricht des Einzugs sei sehr plötzlich gekommen, erzählt er. Innerhalb von nur einer Stunde habe er alle seine Sachen gepackt, die Schultern schmerzten ihm noch vom Tragen der Taschen. Den tumultartigen Empfang vor dem Heim habe er erst zunächst gar nicht begriffen, sagt Zain. Niemand habe ihm erzählt, dass es solche Auseinandersetzungen geben könnte.

"Nee, hier kommt erst mal niemand rein - so für ein, zwei Wochen, bis es wieder ruhig ist", wiegelt ein Wachmann vor der Eingangstür freundlich ab und zieht an seiner Zigarette. Schon seit Wochen steht ein Sicherheitsdienst vor der ehemaligen Schule, in der die Flüchtlinge nun leben, schlafen, essen, bis eine bessere Unterkunft für sie bereitsteht. An Laternenpfählen hängen die Wahlplakate der rechtsextremen NPD. "Guten Heimflug", steht darauf.

Pfarrer hofft auf Ruhe

Wenige Straßen weiter, im örtlichen Gemeindezentrum der evangelischen Kirche, hofft Pfarrer Hartmut Wittig, dass nun endlich wieder echte Ruhe in den Stadtteil kehren wird. "Die meisten Nachbarn haben gar nicht die Angst, dass die Flüchtlinge von sich aus Unruhe bringen, sondern stören sich an den heftigen Reaktionen der Populisten beider Seiten", sagt Wittig. Doch über die Leute, die gegen den Einzug protestiert hatten, kann auch er nur den Kopf schütteln. "Dass sich die Dussel zu so etwas hinreißen lassen", sagt Wittig. Aber bei vielen seien die Fronten mittlerweile so verhärtet, dass "man ans Argumentieren gar nicht rankommt", fügt er hinzu.

Auch die Unterstützer finden immer klarere Worte. "Mr. Komoß, tear down this neighbourhood", steht mit Kreide auf dem Pflaster und richtet sich an den örtlichen Bezirksbürgermeister Stefan Komoß (SPD). "Die Leute sind hier in einem Gebiet voller Rassisten gelandet", sagt ein Aktivist. Mit der künftigen Heimleiterin des Trägers PeWoBe haben die Unterstützer der Flüchtlinge abgesprochen, dass sie die Asylbewerber zu deren Sicherheit beim Einkaufen begleiten.

Die Linksaktivisten sind seit Montagmittag vor Ort, einige wollen für mindestens eine Woche Mahnwache halten. Sie trinken Club Mate, rauchen und sitzen auf Campingstühlen.

«Der Bezirk wird uns sicher den Pavillon wegnehmen, aber wir bleiben auch ohne sitzen", sagt Linksaktivist Dirk Stegemann, der sich häufig in Berlin für Asylbewerber engagiert. "Wir solidarisieren uns mit den Flüchtlingen", sagt Stegemann. Gleichzeitig wollten die Aktivisten aber gegen die nach ihrer Ansicht menschenunwürdige Sammelunterkunft protestieren. Nur eine Unterbringung in Wohnungen könne echte Integration und Teilhabe gewährleisten. Die Aktivisten wollen erst einmal bleiben. Sie haben Decken, die Linkspartei hat einen Sonnenschirm gespendet. Am Morgen haben Anwohner Kaffee vorbeigebracht.


Rechte demonstrieren (dpa)
Rechte demonstrieren / ( dpa )

Gegen rechte Parolen (dpa)
Gegen rechte Parolen / ( dpa )

Bewohner des Flüchtlingheims (dpa)
Bewohner des Flüchtlingheims / ( dpa )

Brennpunkt Hellersdorf (dpa)
Brennpunkt Hellersdorf / ( dpa )
Quelle:
dpa , epd , KNA