Berliner Ausstellung zeigt visionäre Kunst der Weltkriegszeit

Seismographen des Untergangs

"Manchmal liegt ein Thema in der Luft, aber es fehlt jemand mit dem Mut, es zu ergreifen", erläutert Ausstellungs-Kuratorin Stefanie Heckmann. Sie selbst wagte sich an ein solches Sujet. Unter dem Titel "Kassandra. Visionen des Unheils 1914-1945" werden ab heute im Berliner Deutschen Historischen Museum mehr als 320 Gemälde, Grafiken und Skulpturen gezeigt, in denen Künstler die Angst und Untergangsstimmung in der Epoche der Weltkriege zum Ausdruck brachten.

Autor/in:
Inge Pett
 (DR)

Darunter befinden sich Arbeiten von Max Beckmann, Otto Dix, Max Ernst, George Grosz, John Heartfield, Paul Klee und Käthe Kollwitz, aber auch von heute eher unbekannten Künstlern. "Nach 1945 geriet die figurative Malerei vollkommen in den Schatten der abstrakten Kunst", bedauert Heckmann. "Die Ausstellung bietet die Gelegenheit, einige - völlig zu Unrecht - in Vergessenheit geratene Künstler neu zu entdecken."

Eingeleitet wird die Schau mit einer "Kassandra"-Darstellung Karl Hofers von 1939. Die mythologische Priesterin sah einst den Untergang Trojas voraus - und konnte ihn dennoch nicht verhindern.  Seitdem stehen ihre "Kassandrarufe" als Synonym für ignorierte Warnungen. Bei einem weiteren Werk Hofers, dem "Mann in Ruinen" von 1937, handelt es sich vermutlich um ein Selbstporträt. Das in giftigen Farben gehaltene Gemälde zeigt einen gebrochenen Menschen inmitten zerbombter Häuser. Seine Welt liegt sprichwörtlich in Trümmern.

"Dieses Werk ist unglaublich", meint DHM-Generaldirektor Hans Ottomeyer. "Hofer nahm in seinem Gemälde eine Entwicklung vorweg, die so zu diesem Zeitpunkt noch nicht voraussehbar war." Der Künstler selbst äußerte sich 1947 zu seinem Werk mit folgenden Worten: "Der Künstler ist eben ein geistiger Seismograph, der das Unheil voraus registriert. Nicht nur bei mir findet sich diese Erscheinung."

Weiterer Höhepunkt Themenraum
Tatsächlich nehmen auch Hofers Zeitgenossen - mehr oder minder allegorisch verschlüsselt - die politische Entwicklung in Deutschland vorweg. George Grosz etwa stellt sich 1927 als seriösen Bürger in mahnend-dozierender Haltung dar. Doch auch sein Kassandraruf bleibt ungehört. Überhaupt weicht unter Hitler der nach dem Ersten Weltkrieg verbreitete Optimismus, durch Kunst sei eine gesellschaftliche Revolution herbeizuführen, immer mehr purer Verzweiflung. Vielen Künstlern bleibt nur noch die innere oder äußere Emigration.

Ein weiterer Höhepunkt der Ausstellung ist ein Themenraum, in dem - losgelöst von der Chronologie - Grundmotive der Zeit aufgegriffen
werden: Angst, Masken und Larven, Trommler und Höllenfürst. Hier werden die übereinstimmenden Metapher deutlich, derer sich die Künstler bedienten, um das Grauen zu visualisieren. Allerdings scheiterten sie damit - wie einst Kassandra.