Berlin-Beauftragter sieht drastische Veränderung

Afrika neu entdecken

Dramatische Veränderungen südlich der Sahara erwartet der Beauftragte der Bundesregierung für Afrika, Walter Lindner, unter anderem als Folge der Umwälzungen in Nordafrika. Zugleich betont er die wichtige Rolle der Kirchen und des Islam für die Zukunft des Kontinents.

 (DR)

KNA: Herr Lindner, Sie haben rund 40 Länder südlich der Sahara bereist. Haben Sie auch dort Auswirkungen des arabischen Frühlings bemerkt?

Lindner: Da gibt es positive und negative. Positiv ist, dass nun auch dort Diktatoren sich fragen müssen, was sie tun können, um ein ähnliches Ende wie Gaddafi oder Mubarak zu vermeiden. Aber es gibt ebenso negative Folgen. Denken Sie etwa an die vielen tausend Menschen, die jetzt arbeitslos und oft mit Waffen aus den nordafrikanischen Ländern heimkehren. Die Arbeitslosigkeit steigt durch sie, das könnte zu einer Destabilisierung des Gürtels südlich der Sahara beitragen. Außerdem fehlen die Geldüberweisungen der schwarzafrikanischen Gastarbeiter aus den nordafrikanischen Ländern an ihre Familien daheim.



KNA: Welche Rolle spielt der Islam bei dieser Entwicklung?

Lindner: Der Islam in der Sahelzone ist eigentlich eher tolerant und moderat. Aber jetzt besteht die Gefahr, dass die wachsende wirtschaftliche Spannung in diesen Ländern auch zu einer religiösen Destabilisierung führt. Niemand kann ein Interesse daran haben, dass sich ein schwarzes Loch, wie wir es jetzt in Somalia haben, in anderen Ländern südlich der Sahara ausbreitet. Aber wir sehen jetzt schon, dass gewalttätige fundamentalistische Gruppen bis hin nach Nigeria die schwierige Lage auszunutzen versuchen. Um das zu verhindern, müssen wir die moderaten Kräfte unterstützen.



KNA: Was kann Deutschland in dieser Region tun, wo doch traditionell Frankreich, Großbritannien und Belgien stärker engagiert sind?

Lindner: Wir Deutsche bringen aus unserer Kolonialzeit ein vergleichsweise leichtes Gepäck mit. Das ist gegenüber den genannten Ländern ein Vorteil. Außerdem haben wir den Ruf, zuverlässig und geradlinig zu sein, das schätzen die afrikanischen Partner. Und unser derzeitiger Sitz im Sicherheitsrat ist ein zusätzliches Plus. Das alles trägt dazu bei, dass wir als gute Krisenmanager und Vermittler gelten. Außerdem haben wir als einziges europäisches Land in fast allen afrikanischen Ländern Botschaften, auch das ist sehr hilfreich.



KNA: Welche Rolle spiele die Kirche in der Entwicklung Afrikas?

Lindner: Nach meiner Beobachtung gibt es wohl kaum einen Kontinent, vielleicht außer Lateinamerika, in dem die Kirchen eine so wichtige Rolle haben. Die Kirchen sind voll, und zwar überall. Und im Gottesdienst finden Sie nicht nur die Armen, sondern auch die Machthaber und die Eliten. Hier hat die Kirche eine große Chance als Vermittlerin von Werten. Das ist neben den sozialen und karitativen Programmen ihre wichtigste Aufgabe.



KNA: In letzter Zeit liest man oft, dass sich die Wirtschaft in vielen afrikanischen Ländern auch ohne Einfluss von Entwicklungshilfe erstaunlich stark entwickelt. Haben Sie das auch beobachtet?

Lindner: Da ist sicher etwas dran. Derzeit entwickelt sich in vielen afrikanischen Ländern erstmals eine Mittelschicht, die daran interessiert ist, Geschäfte zu machen. Der Handel liegt vielen Afrikanern gewissermaßen im Blut. Diese Menschen brauchen nicht Almosen, sondern stabile Rahmenbedingungen, in denen sie Geschäfte machen können, damit die eigene Wirtschaftskraft dieser Länder wächst. Dazu kann Entwicklungshilfe beitragen, und im besten Falle macht sie sich dann am Ende überflüssig. Anders sieht es bei den Hungernden in Somalia und anderen Katastrophengebieten aus, die brauchen in erster Linie humanitäre Hilfe, um überleben zu können.



KNA: Welche Beobachtungen haben Sie zum Klimawandel in Afrika gemacht?

Lindner: Nach meiner Einschätzung überwiegen die negativen Folgen. Die Wüsten wachsen, der Wasserstand großer Flüsse nimmt ab. Und im Kongo erleben wir eine dramatische Abholzung von Tropenwäldern, das ist vergleichbar mit dem, was am Amazonas geschieht. Auch die Umweltzerstörung durch rücksichtslosen Bergbau hat katastrophale Folgen. Allerdings nimmt man bei uns kaum Notiz davon. Deshalb ist es wichtig, dass wir Afrika endlich aus dem Schatten der Nichtbeachtung herausholen und es als unseren Nachbarkontinent entdecken, dessen ökologische und wirtschaftliche Zukunft auch für uns in Europa eine große Bedeutung hat.



Das Gespräch führte Ludwig Ring-Eifel.