Die Leiterin des Vereins, Ursula Enders, ist überzeugt: Kinder, die ihre Rechte kennen, seien besser gegen Übergriffe geschützt. Gruselspiele, Aufnahmerituale und Mutproben sind, wie eine von "Zartbitter" durchgeführte Befragung von Verbänden und Sportvereinen zeigte, weit verbreitet. Ein extremes Beispiel dafür sei das sogenannte "Pflocken". Dabei werde ein Neuling im Zeltlager mit gespreizten Händen und Beinen auf dem Boden mit Pflöcken fixiert.
Anschließend dürfe er von den anderen Kindern traktiert werden.
Die Beratungsstelle bemerkt aber auch eine deutliche Verbesserung in der Jugendarbeit von Kirchen und Verbänden. Viele seien an Präventionsmaßnahmen interessiert und hätten ihre Richtlinien deutlich ergänzt. "Der Bedarf ist riesig. Wir können längst nicht mehr jedem Seminarwunsch nachkommen", so Enders. Gleichzeitig mahnte sie, nicht auf dem "Status quo" zu verharren. Gewalt habe viele Formen. Speziell die Jugendleiter müssten bei der Ausbildung auch ein Gespür dafür bekommen, "wann Spaß zur Verletzung führt".
Vorsicht bei Aufnahmeritualen
Gerade bei Gruselspielen oder scheinbar harmlosen Aufnahmeritualen ist nach den Erfahrungen der Beratungsorganisation Vorsicht geboten. "Die Gruppendynamik ist bei solchen Spielen nicht zu unterschätzen", mahnt der Berater Frederic Vobbe. So müsse das pädagogische Konzept vorsehen, dass Kinder sich nicht gezwungen sehen mitzumachen. Die Wahrnehmung sei dabei aber oft sehr unterschiedlich, mahnt der Pädagoge.
Das relativ harmlos klingende Spiel Wäschekette sei dafür exemplarisch: Zwei Gruppen trete bei diesem Spiel gegeneinander an. Gewinner seien diejenigen Kinder, denen es gelinge eine möglichst lange Kette aus den Kleidungsstücken zu bilden. Dadurch entstehe ein enorm hoher Druck und Kinder würden sich mehr entkleiden, als sie eigentlich wollten, so Vobbe. Auch Gruselspiele, bei denen Kindern auf Nachtwanderung mit extremen Methoden erschreckt werden, seien nicht zu unterschätzen. "Was dem einen tierisch Spaß macht, bedeutet für manche Kinder eine extreme Traumatisierung", so Enders.
Kein Verbot von Gruselgeschichten
Ein generelles Verbot von Gruselgeschichten in den Richtlinien der Jugendarbeit sei allerdings nicht gewollt. Es sei auch sehr wichtig, welches Alter die Kinder hätten, so Vobbe. "Ob 14-Jährige zu dritt mit dem Kompass durch die Dunkelheit zurück zum Zeltlager finden sollen oder ein 6-jähriges Kind im Wald abgesetzt wird, ist ein gewaltiger Unterschied." Aber auch hier gelte es, den Gruppenzwang zu entschärfen.
Solche Spiele und Rituale sind laut Zartbitter ebenfalls gefährlich, da sie extreme Übergriffe leichter machten. Pädophil Veranlagte nützten so die Gelegenheit, um zu testen welches Kind sich kaum wehrt. Deshalb sei es wichtig, dass Eltern und Jugendleiterteams genau hinsähen, um solche Situationen zu erkennen. Für präventive Maßnahmen setzt Zartbitter auf Zusammenarbeit mit Jugendverbänden. Hier sei eine spürbare Veränderung zu bemerken, so Enders. Bei Anzeichen reagierten viele Verantwortliche inzwischen sehr schnell.
Beratungsstelle "Zartbitter" zum Kinderschutz im Ferienlager
Gruseln ohne Trauma
Hilfe holen ist kein Petzen. Diese Einstellung sollten Eltern ihren Kindern mit ins Gepäck geben, wenn sich die Kleinen auf Ferienfahrt begeben, empfiehlt die Kölner Beratungsorganisation "Zartbitter". Die Grenze zwischen traditionellen Ritualen und psychischer, sexueller und körperlicher Gewaltanwendung ist oft fließend.
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