domradio.de: Bruder Nikodemus, heute ist schon der sechste Tag des Schlagabtauschs zwischen Israel und den Palästinensers im Gazastreifen - wie hat dieser Tag in Jerusalem begonnen?
Schnabel: Wahrscheinlich werden Menschen aus Europa schockiert sein, wie normal und alltäglich dieser Tag begonnen hat. Hier hört man häufig den Spruch: Man bekommt mehr Angst vor dem Fernseher als in der Wirklichkeit. Auch ich war heute schon draußen - und habe normalen Alltag erlebt. Man bekommt einfach nichts mit. Wenn man Radio und Fernsehen auslässt, wenn man nicht ins Internet geht, könnte man meinen, es wäre ein ganz normaler Tag wie jeder andere.
domradio.de: Tatsächlich ist es so, dass vor einigen Tagen zum ersten Mal eine palästinensische Rakete bei Jerusalem eingeschlagen ist - war das nicht doch ein psychologischer Wendepunkt?
Schnabel: Ich selbst konnte es gar nicht glauben. Man ist hier zwar Sirenen gewöhnt, die Schabbat-Sirene, die immer an Freitagabend ertönt. Diese Sirene aber klang anders, außerdem kam sie zu spät. Dennoch: Es war eine einmalige Sache. Anders als in Tel Aviv oder im Süden Israels, wo das schon seit Wochen und Monaten zum Leben dazugehört. Dennoch war es sicher eine Zäsur, ein Aufhorchen. Eigentlich ist Jerusalem ja eine Tabuzone. Deshalb vermute ich auch, dass es sich um ein Versehen handelt. Ich kann mir nicht vorstellen, dass jemand eine Rakete auf den Felsendom lenken will, auch nicht die radikalste Splittergruppe im Gazastreifen.
domradio.de: Wie schlägt sich der Konflikt im Alltag wieder?
Schnabel: Da bin ich positiv überrascht. Es gibt natürlich Demonstrationen von Palästinensern bei Ramallah, aber sehr kleine und friedliche. In Jerusalem habe ich noch nichts erlebt. Zwar laufen überall Fernseher, aber es gibt keine Gewaltausbrüche, die Menschen reagieren sehr besonnen auf die Situation.
domradio.de: Wie stehen Israelis der Möglichkeit eines Einmarschs in den Gazastreifen gegenüber?
Schnabel: Das möchte niemand, das hat ja auch Avi Primor gesagt, lange israelischer Botschafter in Deutschland. Am Sonntag, dem Volkstrauertag, war ich bei einer Gedenkfeier für deutsche Gefallene des Ersten Weltkrieges. Und trotz des Krieges waren Militär- und Verteidigungsattachés da, die mit einer großen Gelassenheit und Nüchternheit gesprochen haben. Außerdem gibt es die große Hoffnung, dass die Bemühungen im Hintergrund zu einem Waffenstillstand führen. Dafür beten wir auch.
Das Gespräch führte Hilde Regeniter.
Benediktiner: Die aktuelle Gewalt in Gaza ist weit weg von Jerusalem
"Mehr Angst vor dem Fernseher als in der Wirklichkeit"
Im Gaza-Streifen ist kein Ende der Gewalt in Sicht. Benediktinerbruder Nikodemus Schnabel lebt und arbeitet in der Dormitio-Abtei auf dem Zionsberg. Im domradio.de-Interview berichtet er über die Folgen des Konflikts für Jerusalem.
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