Belgische Missbrauchskommission tritt nach Razzia zurück

Wie aus dem 'Da Vinci Code'

Neuer Paukenschlag im belgischen Missbrauchsskandal: Nach der jüngsten Polizeirazzia ist am Montag die unabhängige, von der Kirche eingesetzte Kommission zur Untersuchung von Missbrauch Jugendlicher geschlossen zurückgetreten. Ein aufrechter, aber hilfloser Protest.

Autor/in:
Alexander Brüggemann
 (DR)

Nach der Beschlagnahmung von 475 Opfer-Akten habe man ohnehin keine materielle Arbeitsgrundlage mehr, teilte der Vorsitzende der Kommission, der renommierte Kinderpsychiater Peter Adriaenssens, in Leuven (Löwen) mit. Er sprach von einem "eklatanten Akt des Misstrauens" gegen ihn und die Arbeit seiner Kommission.

Noch schwerer wiegt für den Psychiater der Vertrauensverlust der Missbrauchsopfer selbst: Viele hätten sich nur unter der Bedingung strikter Vertraulichkeit an die Kommission gewandt. Ihre Akten liegen jetzt als mögliches Beweismaterial beim Staatsanwalt - auch wenn der strikte Diskretion verspricht.

Robuste Ermittlungsmethoden
Was war geschehen? Am vergangenen Donnerstag drangen bei der Kommission in Leuven und am Sitz der Erzdiözese Mechelen-Brüssel in Mechelen etwa 20 Polizeiermittler im Auftrag der Brüsseler Staatsanwaltschaft ein. Sie nahmen den versammelten Bischöfen ihre Handys ab, konfiszierten Aktenberge und Computer, unter anderem den Rechner aus der Privatwohnung des jüngst in den Ruhestand getretenen Kardinals Godfried Danneels. Der Verdacht: Die Kirche halte möglicherweise belastende Informationen zurück, so der Sprecher der Staatsanwaltschaft, Jean-Marc Meilleur.

Und die Ermittler gingen sogar noch ein paar Schritte weiter. Ob sie den Auftrag, nach Leichen im Keller zu suchen, zu wörtlich nahmen: Jedenfalls bohrten sie in der Gruft der benachbarten Sint-Rombouts-Kathedrale die Grablegen verstorbener Erzbischöfe auf und überprüften diese mit Kameras - immer auf der Suche nach "Beweismaterial".

Ein neuer Stil zwischen Staat und Kirche in Belgien? Die harte Gangart und der Eifer der Polizisten bei der Razzia zeigt zumindest, dass die Behörden sich beim Kampf gegen Missbrauch keine Laxheit wie im Fall des Kinderschänders Marc Dutroux mehr vorwerfen lassen wollen. In einer durch Dutroux traumatisierten Öffentlichkeit ist es freilich schwer, in der Position des Verdächtigten den richtigen Ton zur eigenen Verteidigung zu finden.

Diplomatischer Papst
Und so klingt auch die Reaktion des Brüsseler Erzbischofs und Hausherrn in Mechelen, Andre-Joseph Leonard, seltsam verhalten: "Verwunderlich" findet er das Vorgehen der Staatsanwaltschaft - eine Vokabel, die im Übrigen auch Papst Benedikt XVI. am Wochenende verwandte. Sicher, so Leonard, Ermittler müssten ermitteln, und man sei auch zu jeder Kooperation mit den Behörden bereit. Prinzipiell habe die Justiz aber nicht den Auftrag, den 'Da Vinci Code' neu zu schreiben". Durch die Befragung der einzelnen Bischöfe sei der Eindruck entstanden, dass jeder unter Verdacht stehe. Möglicherweise handele es sich ja um einen Fall von "exzessivem Eifer", so der Erzbischof versöhnlich. Eine gerichtliche Klage wollen die Bischöfe dennoch nicht ganz ausschließen.

Wo Benedikt XVI. als Kirchenoberhaupt noch diplomatische Zurückhaltung übt, wurde Kardinalstaatssekretär Tarcisio Bertone deutlicher: "Beispiellos" nannte er den Vorgang und verwies im selben Atemzug auf die Jahrzehnte kommunistischer Kirchenverfolgung. Andere Vatikan-Diplomaten nannten die Lage "sehr ernst" - eine im römischen Jargon schon ziemlich deutliche Wortwahl.

Freilich stößt in der Führungsriege des Landes - in der neben Katholiken und Sozialisten auch Freimaurer immer wieder Schlüsselpositionen übernommen haben - das überfallartige Aufklärungsersuchen der Behörden nicht ungeteilt auf Zustimmung. Der geschäftsführende Justizminister Stefaan De Clerck jedenfalls wäscht seine Hände erst mal in Unschuld: "Überrascht" zeigte er sich in einem Zeitungsinterview über das Vorgehen der Staatsanwaltschaft. Zugleich betonte er die Unabhängigkeit des Ermittlungsrichters. Der müsse "tun, was er für richtig hält". Es stehe "in seinem Ermessen und in seiner Verantwortung".