Beim Runden Tisch Heimerziehung rückt Frage nach Entschädigungen in den Mittelpunkt

Auf der Zielgeraden

Können ehemalige Heimkinder mit einer Entschädigung für Prügel, erzwungene Arbeit und Missbrauch rechnen, die 40 bis 60 Jahre zurückliegen? Heute kommt der Runde Tisch Heimerziehung, das Gremium aus Vertretern von Kirchen, Bund, Ländern und Experten, zum vorletzten Mal zusammen, und mögliche Entschädigungen stehen auf der Tagesordnung der zweitägigen Beratungen.

Autor/in:
Bettina Markmeyer
 (DR)

Während bereits der Abschlussbericht erarbeitet wird, geben sich die Institutionen, die das Geld aufbringen müssten, in der Entschädigungsfrage zugeknöpft. Anfang 2011 will der Runde Tisch dem Bundestag seinen Bericht vorlegen. Er soll auch Lösungsvorschläge für die Entschädigungsfrage enthalten. Finanziell gefordert sind die Kirchen, ihre Wohlfahrtsverbände und Ordensgemeinschaften, die die größten Heimträger waren, sowie Bund und Länder, die als Aufsicht versagt haben. Keine Institution könne sich aus der Verantwortungskette für das "System Heimerziehung" lösen, das, so der Zwischenbericht des Runden Tisches, "große Mängel sowohl in fachlicher wie auch aufsichtlicher Hinsicht aufwies".



Das Problem: Selbst schwerste Übergriffe auf Kinder und Jugendliche wie sexueller Missbrauch oder Körperverletzung sind verjährt. Daher wird von allen Beteiligten ein Fonds für die Opfer favorisiert. Die Moderatorin des Runden Tisches, die Grünen-Politikerin und vormalige Bundestagsvizepräsidentin Antje Vollmer, hat ihn als "Fonds für Traumatisierte" ins Gespräch gebracht. Einig ist man am Runden Tisch, dass die Hilfen sich nach der Schädigung der Opfer richten sollen - und nicht danach, was diese aus ihrer Heimzeit heute noch nachweisen können. Akten und Zeugen fehlen, die bürokratischen Hürden wären unüberwindlich. Aus dem Fonds sollen therapeutische Hilfen und Beratungsangebote finanziert werden, das ist weitgehend unstrittig.



Noch keine öffentlichen Zusagen

Ob aber Entschädigungen als symbolische Ausgleichszahlungen für das den Heimkindern zugefügte Unrecht zustande kommen, hängt davon ab, ob sich Kirchen, Bund und Länder auf anteilige Zahlungen verständigen können. Weder die Spitzen der Kirchen, die prinzipiell bereit sind, Verantwortung zu übernehmen, noch der Bund oder Ländervertreter haben bisher öffentlich Zusagen gemacht.



Seit der Jesuitenorden erklärt hat, er werde Missbrauchsopfern Entschädigungen anbieten und eine Summe von 5.000 Euro pro Kopf im Gespräch ist, geraten die Kirchen stärker unter Druck - ungeachtet der Tatsache, dass es sich bei Heimkindern und Opfern sexuellen Missbrauchs aus jüngerer Zeit um verschiedene Gruppen handelt. Aus den Ländern ist indes zu hören, dass man einen Bundestagsbeschluss abwarten will. Das käme einer Blockade gleich. Das Parlament braucht Zusagen aller Seiten, wenn es die Einrichtung eines Fonds beschließen soll.



Offen ist die Anzahl möglicher Anspruchsteller

Der heikle Punkt ist, dass die möglichen Geldgeber nicht wissen, wie viele der früheren Heimkinder Ansprüche anmelden könnten. Nach den Recherchen des Runden Tisches leben noch 500.000 Erwachsene, die zwischen 1950 und den 70er Jahren in einem Heim waren. Gemessen daran hat sich bisher nur eine geringe Zahl von Opfern gemeldet, 600 bei der Beratungsstelle des Runden Tisches, 372 bei der zentralen Hotline der katholischen Kirche und etwa 300 bei regionalen Stellen der evangelischen Kirche und des Diakonischen Werks. Dabei werde es aber nicht bleiben, sagt die SPD-Abgeordnete Marlene Rupprecht, die mit am Runden Tisch sitzt: "Nicht jeder wird sich melden, wenn es Geld gibt, aber jeder kann sich melden."



Die Vertreter der Heimkinder am Runden Tisch haben unterdessen ihre Forderungen angemeldet. Ein Teil fordert eine monatliche Opfer-Rente von 300 Euro oder Einmalzahlungen von 54.000 Euro - was 15 Jahren Rente entspräche. Ein anderer Teil schlägt ebenfalls Renten oder Einmalzahlungen vor, allerdings gestaffelt nach der Schwere der Schädigungen.