Bischof von Oslo sieht zehn Jahre nach Utøya noch große Trauer

"Bei diesem Täter gibt es keine Reue"

Vor zehn Jahren wurden bei Anschlägen in Norwegen 77 Menschen getötet. Bernt Ivar Eidsvig, damals wie heute Bischof von Oslo, sagt: Die Tat ist noch präsent. Auch zur Frage, ob solch einem Täter vergeben werden kann, äußert er sich.

Gedenken auf der Insel Utøya im April 2012 / © Alya Sneep (shutterstock)
Gedenken auf der Insel Utøya im April 2012 / © Alya Sneep ( shutterstock )

DOMRADIO.DE: Der Terror am 22. Juli 2011 hat eine tiefe Wunde in Norwegen hinterlassen. Erinnern Sie sich daran, was für ein Gefühl das war, als Sie vor zehn Jahren von diesen Anschlägen erfuhren?

Bernt Ivar Eidsvig (Bischof von Oslo seit 2005): Ich war an dem Tag nicht in Norwegen, aber ich habe trotzdem sehr deutlich gespürt, dass das ganze Volk erschüttert war und in tiefer Trauer.

DOMRADIO.DE: Wie gedenkt Norwegen heute dieses Tages?

Eidsvig: Das offizielle Programm findet meistens hier in Oslo statt, auch auf der Insel Utøya, wo sehr viele Jugendliche erschossen und ermordet wurden. Das sind die zwei wichtigsten Orte für das Gedenken.

DOMRADIO.DE: Und Sie kommen gerade von einer Gedenkfeier im Dom?

Eidsvig: Ja, aus dem lutherischen Dom. Da waren König und Königin da, die Regierungsmitglieder und die führenden Sozialdemokraten. Viele von ihrer Jugendbewegung, die am meisten darunter gelitten haben.

DOMRADIO.DE: Was war das für eine Atmosphäre gerade im lutherischen Dom?

Eidsvig: Die Stimmung war sehr beherrscht. Es wurde sehr beeindruckend gepredigt von der lutherischen Bischöfin Kari Veiteberg  und auch vom Bischof Präses Olav Fykse Tveit. Der frühere Premierminister hat auch gesprochen. Der Rahmen war eine lutherische Liturgie, aber auch andere Geistliche haben teilgenommen: Muslime und Hindus habe ich jedenfalls gesehen und Katholiken.

DOMRADIO.DE: Welche Rolle spielt dieses Attentat von damals heute in Norwegen?

Eidsvig: Die Bischöfin hat eben gesagt, dass die Zeit diese Wunden nicht heilt, die sind noch offen geblieben für viele, also Eltern, Geschwister, Freunde. Wenn 77 Menschen getötet werden, dann weiß ich nicht, wie viele Hunderte in tiefe Trauer versetzt werden. Diese Trauer ist, soweit ich es beobachten kann, noch sehr stark zu spüren.

DOMRADIO.DE: Es gibt zu diesen Morden vom 22. Juli 2011 immer noch keinen richtigen Ort des Gedenkens. Warum nicht?

Eidsvig: Es gibt einen Konflikt zwischen den Einwohnern da in der Nähe und der Regierung, glaube ich. Ich weiß nicht, warum das nicht weiterkommt.

DOMRADIO.DE: Wäre es aus Ihrer Sicht wichtig, so etwas zu haben?

Eidsvig: Ja, ich glaube schon. Also es gibt eine Gedenkstätte am Regierungsgebäude, aber auf der Insel gibt es bis jetzt nichts.

DOMRADIO.DE: Der Attentäter ist verurteilt worden zu einer Höchststrafe von 21 Jahren Haft mit anschließender Sicherheitsverwahrung. Mehr ist gar nicht möglich. Und dennoch hat es Auseinandersetzungen gegeben in Norwegen. Der Täter erhalte zu viel Aufmerksamkeit. Inwiefern?

Eidsvig: Das glaube ich, stimmt nicht. Man kann nicht so einen Prozess führen, ohne dem Angeklagten Aufmerksamkeit zu schenken. Sonst kann man ihn auch nicht verurteilen. Der Prozess, glaube ich, hat ihn keineswegs in einem günstigen Licht dargestellt.

DOMRADIO.DE: Sie sind Bischof von Oslo, damals und auch heute noch. Inwieweit begegnet Ihnen bezüglich dieses Attentates die Frage nach Vergebung?

Eidsvig: Reue und Vergebung hängen eng zusammen. Und bei diesem Täter gibt es keine Reue, sondern man spürt: Hätte er die Gelegenheit noch einmal gehabt, hätte er genau das Gleiche getan. Und deswegen ist Vergebung unmöglich. Theologisch ist sie möglich, aber psychologisch nicht.

Das Interview führte Uta Vorbrodt.


Quelle:
DR
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