Beauftragter ruft Religionen zu Demokratie-Engagement auf

"Die Kraft ist da"

Im Jahr der Europawahl geraten demokratische Kräfte in der EU in Bedrängnis. Welche Rolle können Religionsvertreter dabei spielen, die Demokratie zu stärken? Darüber wurde vergangene Woche mit der Bundesregierung diskutiert.

Symbolbild Frau mit EU-Fahne / © Marian Weyo (shutterstock)
Symbolbild Frau mit EU-Fahne / © Marian Weyo ( shutterstock )

DOMRADIO.DE: Im Entwicklungsministerium in Berlin haben Sie vergangene Woche mit internationalen Vertretern aus Christentum, Judentum und Islam über den Wert der Demokratie diskutiert. Welchen Einfluss haben Religionen auf die Demokratie in Europa? Eigentlich gilt ja Religion und Staat in Europa erst mal als getrennt.

Frank Schwabe, Beauftragter der Bundesregierung für Religions- und Weltanschauungsfreiheit / © Harald Oppitz (KNA)
Frank Schwabe, Beauftragter der Bundesregierung für Religions- und Weltanschauungsfreiheit / © Harald Oppitz ( KNA )

Frank Schwabe MdB (Beauftragter der Bundesregierung für Religions- und Weltanschauungsfreiheit): Das ist sehr unterschiedlich. Wir haben laizistische und säkulare Systeme, zum Beispiel Frankreich. Wir haben aber auch Staaten, wo Religion stärker mit dem Staat verquickt ist. In Deutschland sind Kirche und Staat zwar getrennt, aber deutlich enger als in Frankreich. Der Einfluss ist natürlich besonders dort gegeben, wo Religion noch eine starke Prägung in der Gesellschaft hat. Obwohl die Religiosität in den meisten Staaten eher zurückgeht, gerade in der Europäischen Union. Aber die Kraft ist da und man kann diese Kraft positiv oder negativ einsetzen. Das ist wie bei allem anderen in der Gesellschaft. 

Religion kann etwas sehr Heilbringendes sein. So wollen wir Religion verstehen, dass sie etwas ist, was Menschen zusammenbringt, was hilft, friedliche Prozesse zu organisieren. Aber natürlich kann Religion auch zur Spaltung genutzt werden. Man muss ja nur an den russischen Angriffskrieg in der Ukraine denken und die wirklich schreckliche Wirkung, die Patriarch Kyrill dort hat. Das hat am Ende auch mit zur Spaltung der orthodoxen Kirche in der Ukraine geführt. Wir wollen diejenigen stärken, die für Demokratie eintreten und mit denen im Austausch bleiben. 

DOMRADIO.DE: Es kommt also sehr stark auf das Land und die Region in Europa an, welchen Stellenwert und Einfluss die Religionsgemeinschaften haben. Wie unterscheidet sich denn die Lage in den verschiedenen Regionen Europas? 

Schwabe: Wir haben ja unterschiedliche Formen von Religionsausübung. Wir haben durchaus Religionen und Religionsvertreter, die sich so verstehen, dass sie die demokratische, menschenrechtliche Entwicklungen in ihren Ländern unterstützen. Und wir haben auch Lagen, wo Kirche demokratische Prozesse unterminiert. 

Frank Schwabe

"Wir haben auch Lagen, wo Kirche demokratische Prozesse unterminiert."

Ich werde mich in der zweiten Jahreshälfte stark mit der Rolle orthodoxer Kirchen beschäftigen. In manchen Teilen Europas spielt die nicht immer eine progressive Rolle, sondern versucht dort, wo demokratische Prozesse in Richtung der Menschenrechte vorangetrieben werden, auch bremsend einzuwirken. 

Nehmen wir zum Beispiel die Rechte von Schwulen und Lesben. Da verstehe ich, dass Kirche gelegentlich andere Ansätze hat. Aber das darf nicht dazu führen, dass demokratische Prozesse in Frage gestellt werden. Es gibt aber auch die andere Seite. Ich erinnere mich an muslimische Geistliche aus Sarajevo, die geprägt sind aus den Erfahrungen des schrecklichen Bürgerkriegs in Bosnien-Herzegowina. Das sind Menschen, die von ihrem ganzen Wesen und ihrer ganzen Art auf Ausgleich und Verständigung aus sind und denen klar ist: Dialog ist am Ende die beste Bedingung für Demokratie. 

DOMRADIO.DE: Unterscheidet sich die Stellung zur Demokratie bei Christen, Juden und Muslimen oder ist das in sich so differenziert, dass man das gar nicht beziffern kann? 

Schwabe: Auch das ist kompliziert. Da müsste man sich einzelne Länderkontexte auch außerhalb Europas anschauen. Ich finde in allen drei Weltregionen solche und solche Ansprechpartner. Es gibt Akteure, die sich damit schwertun bestimmte demokratische Prozesse zu akzeptieren. Und es gibt welche, die den Ausgleich befördern, die Prozesse des gegenseitigen Verständnisses voranbringen. Ich tue mich immer schwer und ich finde es auch gefährlich, wenn wir da Noten vergeben oder versuchen, mit Zahlen zu operieren. 

Ich war im vorletzten Jahr in Nigeria und habe mich dort beschäftigt mit christlichen und muslimischen Vertreterinnen und Vertretern. Ich habe bei beiden Religionen jedenfalls welche gefunden, wo der Ausgleich schwerfällt, die eher das Trennende in den Vordergrund gerückt haben. Und es gab andere, die zwar auch die Probleme beschrieben haben, aber gesagt haben: Das Ziel ist, das Verständnis zu fördern. Es geht darum, diese Kräfte zu stärken und sie auch zu fragen: Was können wir politisch tun, um diejenigen zu stärken, die eine solche positive Position zu Demokratie und Menschenrechten haben? 

DOMRADIO.DE: Dabei ist der Dialog zwischen den Religionen, wenn wir in die letzten Jahrhunderte blicken, ja auch alles andere als friedvoll verlaufen, was sich ja heutzutage zumindest in Europa ganz anders entwickelt hat. Was können wir denn als Gesellschaft von diesem Lernprozess uns abschauen?

Schwabe: Wir stellen uns sowieso die Frage, wie sich die Welt gerade entwickelt. Entwickelt sie sich in die richtige Richtung oder nicht? Im Moment haben wir alle irgendwie ein bisschen den Eindruck, es wird alles schlimmer. Das mag ja auch kurzfristig so sein. Wenn man aber in die letzten Jahrhunderte guckt und überlegt, wie  es vor 200 oder 300 Jahren war, dann sind wir in der Tat ein ganzes Stück weitergekommen. Das haben Religionen nicht alleine gemacht, aber sie waren Teil des Prozesses. 

Frank Schwabe

"Da müssen Politik und Religion gemeinsam wirken."

Da müssen Politik und Religion gemeinsam wirken. Nicht in dem Sinne, dass man sich gemein macht. Es gibt unterschiedliche Aufgaben. Aber indem man voneinander und gemeinsam lernt, dass Aussöhnung und Prozesse des Dialogs von zentraler Bedeutung sind. 

Das Interview führte Renardo Schlegelmilch.

Religionsfreiheit

Die Religionsfreiheit gehört zu den grundlegenden Menschenrechten. In Deutschland heißt es in Artikel 4 des Grundgesetzes: "Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich." Die ungestörte Religionsausübung - gleich welcher Konfession - soll ebenfalls gewährleistet sein.

Religionsfreiheit weltweit eingeschränkt / © N.N. (Open Doors)
Religionsfreiheit weltweit eingeschränkt / © N.N. ( Open Doors )
Quelle:
DR