BDKJ-Vorsitzender zum Umgang mit Fällen sexuellen Missbrauchs

"Auch bei uns sind Täter übergriffig geworden"

Bei seiner bundesweiten Hauptversammlung berät der Bund der Deutschen Katholischen Jugend in Altenberg unter anderem über den sexuellen Missbrauch in der Kirche und die Auswirkungen auf die katholische Jugendarbeit. Im Interview: Der Bundesvorsitzende Dirk Tänzler zu den die Versammlung bestimmenden Themen.

 (DR)

domradio.de: Welche Rolle spielt die Debatte um sexuellen Missbrauch auf der Vollversammlung?
Tänzler: Wir als das Kinder- und Jugendparlament der katholischen Kirche in Deutschland können und wollen an diesem Thema überhaupt nicht vorbei. Auch weil wir selbst Opfer in unseren Einrichtungen und Gruppen haben. Wir haben sicherlich auch Täter: Jugendseelsorger und Gruppenleiter sind in den vergangenen Jahren auch bei uns übergriffig geworden. Aber wir leisten eine gute und bemerkenswerte Präventionsarbeit. All das wollen wir in einer großen offenen Diskussionsrunde ansprechen. Wir wollen uns gegenseitig stärken und stützen, aber auch Perspektiven aufzeigen, wie wir Kinder in der Kirche stark machen und Kirche in der Gesellschaft glaubwürdiger werden lassen können.

domradio.de: Wie kann eine Prävention aussehen?
Tänzler: Wir leisten in den katholischen Jugendverbänden ja schon Präventionsarbeit. Da geht es in erster Linie darum, zu sagen: Nehmt das Kind in den Blick, schaut genau, wo ist das Kind bedroht, wo kann man das Kind stark machen, wo können Räume geschaffen werden, in denen das Kind sich Leiterinnen und Leitern gegenüber offenbaren und sagen kann, hier bin ich bedroht. Auf der anderen Seite wollen wir Leiterinnen und Leiter stark machen, in dem sie ein gutes und gesundes Verhältnis zu Nähe und Distanz haben. Das sind Punkte, die wir schon leisten, die wir aber verbessern und weiterentwickeln müssen, wo aber auch andere kirchliche Bereiche von uns lernen können.

domradio.de: Welchen Umgang mit den Opfern favorisieren Sie?
Tänzler: Wir stellen uns eindeutig an die Seite der Opfer. Wir wollen weg von der Täter-, hin zur Opferperspektive. Genau das machen, was das Opfer braucht und will. Wir stellen uns da an dessen Seite und sagen: Wir sind für dich da und wir schützen dich.

domradio.de: Die Jugendarmut ist ein weiteres Thema.
Tänzler: Wir stellen immer mehr fest, dass sich Kinder und Jugendliche an verschiedenen Maßnahmen, sei es in der schulischen oder verbandlichen Bildung, nicht mehr teilnehmen können. Dass sie dort ausgeschlossen und ausgegrenzt werden, dass sie durch Kostendruck nicht mehr teilhaben können. Dabei ist diese Teilhabe ganz wichtig. Wir wollen junge Menschen befähigen, mit Gruppen zu erleben und Kirche zu gestalten. Da müssen wir uns auch selbstkritisch fragen, was wir leisten können, damit Kinder das mitmachen können. Da ist auch die Hartz-IV-Gesetzgebung ein Problem, wenn wir z.B. feststellen, dass Kosten für Nachhilfe, Sport- oder Freizeitangebote nicht angerechnet werden bei der Bedarfssätzeermittlung. Das ist aus unserer Sicht ein Skandal. Da wollen Öffentlichkeit herstellen. Kinder- und Jugendarmut ist ein Riesenproblem in Deutschland und wir wollen auch fragen, was Kirche und Staat dafür tun, dass dieser Skandal aufgehoben wird.

domradio.de: Was kann der BDKJ da tun?
Tänzler: Wir wollen sensibilisieren und auch uns selber fragen, wo wir mit gewissen Maßnahmen Kinder ausschließen, die aus finanziellen Gründen im Bereich der kirchlichen Jugendarbeit nicht mehr teilnehmen können. Ein Beispiel sind Ferienfreizeiten. Da kann man solidarisch sein und Töpfe anzapfen, wo man noch Leute mitfinanzieren kann. Da passiert schon viel, wir wollen das aber noch stärker in den Fokus der Öffentlichkeit rücken.

domradio.de: Auch das Thema Entwicklungspolitik steht auf der Tagesordnung.
Tänzler: Wir wollen deutlich machen, dass wir eine Weiterentwicklung brauchen. Vor 40 Jahren hat die evangelische und katholische Jugend mit Unterstützung der Hilfswerke den fairen Handel ins Leben gerufen. Nun brauchen wir eine Weiterentwicklung des fairen Handels und des entwicklungspolitischen Leitbildes.

Der Menschenrechtsansatz muss in den Mittelpunkt gestellt werden. Es geht um den Menschen an sich, wir sind da sehr nah bei Papst Benedikt XVI., der das auch zu einem zentralen Thema in seiner Schrift Caritas in veritate gemacht hat. Wir brauchen eine Weltautorität, ein gemeinsames verantwortliches Handeln auf den einzelnen Menschen hin. Da kann nicht nur jeder Staat auf sein Bruttosozialprodukt achten, das ist eine gemeinsame Verantwortung, die wir gegenüber den Schwächeren haben.

domradio.de: Welche konkreten Ergebnisse erwarten Sie?
Tänzler: Es ist eine parlamentarische Debatte, wir werden offen und ehrlich diskutieren und sicherlich auch streiten und einen Diskurs vollziehen. Wir wollen Kirche, Gesellschaft und Staat gestalten und da wird katholische Verbandsarbeit zu beitragen. Es ist häufig ein langfristiger und mühseliger Prozess, aber wir glauben, dass wir am Ende mit den Beschlüssen, z.B. zum Thema sexueller Missbrauch, Entwicklungspolitik und Kinder und Jugendarbeit, ein Stück dazu beitragen können, Kirche glaubwürdiger und menschlicher zu machen.