Bayerns ältestes stationäres Hospiz besteht seit 20 Jahren

Sterben und Humor im Alltag

An diesem Samstag werden der Welt- und der Deutsche Hospiztag begangen. Das Datum rückt ein schweres Thema in den Fokus: das Sterben. Dabei kann man das durchaus mit Lebensfreude angehen, wie ein Blick nach Augsburg zeigt.

Autor/in:
Christopher Beschnitt
Sterbebegleitung (dpa)
Sterbebegleitung / ( dpa )

Lisa Lebold steht vor einem Grenzübertritt. Wie so oft in ihrem Leben: Vor 60 Jahren ist sie aus der DDR nach Bayern geflohen, später regelmäßig in den Urlaub nach Italien gefahren. Lisa Lebolds nächste Grenze ist der Tod. Die 79-Jährige leidet an einer chronischen Lungenerkrankung, ohne Hoffnung auf Heilung. Seit zwei Monaten wohnt sie im Augsburger Sankt-Vinzenz-Hospiz. "Ich weiß, dass das die Endstation ist", sagt sie.

Ältestes stationäres Hospiz Bayerns

Die alte Dame ist einer von rund 130 Gästen, die jedes Jahr ins Sankt-Vinzenz-Hospiz kommen. Die Einrichtung für unheilbar kranke und sterbende Menschen ist das älteste, nicht an ein Krankenhaus angegliederte stationäre Hospiz Bayerns. Sie wurde vor 20 Jahren gegründet und wird von einem privaten kirchlichen Verein diözesanen Rechts getragen. "Leben bis zuletzt" lautet das Motto des Hauses. Man will dem Leben dort nicht mehr Tage geben, sondern den Tagen mehr Leben.

"Das tun wir etwa durch intensive Pflege und Gespräche, regelmäßige Gottesdienste und Angebote wie Wunschkost, Aromapflege und Musiktherapie", sagt Geschäftsführerin Christine Sieberth. Sie und die anderen rund 30 haupt- und 100 ehrenamtlichen Hospiz-Mitarbeiter betreuen die Gäste im Durchschnitt gut 25 Tage. "Manche nur 24 Stunden, einer hat ganze 534 Tage hier gelebt."

Lisa Lebold weiß nicht, wieviel Zeit ihr noch bleibt. Es erscheint irgendwie unpassend, mit ihr darüber zu reden. Zwar führt ein Sauerstoffschlauch in ihre Nase, weshalb es permanent rauscht - so, als drückte jemand eine Luftmatratze aus. Ansonsten wirkt die Seniorin putzmunter. Das Kreuzworträtsel löst sie ihm Eiltempo. Mit lauter Stimme verkündet sie die Lösungsworte und übertönt damit den Apparat. "Heute habe ich einen guten Tag", frohlockt sie. Heute.

Gestern aber, da habe sie kaum Schleim abhusten können, "deshalb musste ich brechen". Lisa Lebold legt ihren Kugelschreiber beiseite und schlagartig auch etwas von ihrer Stimmkraft ab. "Ich kann wegen meiner Atemnot nicht mal vom Bett zum Waschbecken gehen." Was sie über ihr Schicksal denkt? "Es ärgert mich." Lisa Lebold holt drei tiefe Züge Luft. Eigentlich wolle sie doch bloß daheim sein, schluchzt sie und weint wenige Tränen. "Aber jetzt muss da mein Mann eben die Fenster putzen", sagt sie dann entschlossen. Und: "Man muss es nehmen, wie es kommt."

Glaube hilft

Manchmal kommt es hart. "Ich erinnere mich an eine Nacht, in der ein Patient vor Schmerzen weder liegen noch sitzen noch stehen konnte", erzählt Notker Karcher, ein ehrenamtlicher Hospizhelfer. "Wir konnten ihm keine Linderung verschaffen. Das war schlimm." Bei der Bewältigung solcher Situationen hülfen den Mitarbeitern der Teamzusammenhalt, Supervisionen und der Glaube. Dieser sei auch anderweitig wichtig: "Denn so schwer das Nicht-Helfen-Können auch auszuhalten ist - aktive Sterbehilfe ist im Hospiz tabu. Über Leben und Tod soll nicht der Mensch entscheiden."

Gleichwohl wünsche sich das immer mal wieder ein Gast, sagt Pflegedienstleiterin Daniela Renzmann. "Wir versuchen dann, diesem Verlangen auf den Grund zu gehen, den Menschen also die Sorge vor Leid und Einsamkeit zu nehmen, ihnen zu vermitteln, dass sie keine Last sind." Als Einstieg in ein solch tieferes Gespräch könne, wenn es passe, auch Humor dienen, auch schwarzer. "Einmal hat mich jemand gefragt: 'Können Sie mich nicht erschießen?' Meine Antwort: 'Hab gerade keine Pistole dabei.'"

Es gibt auch viel zu lachen

"Hier im Hospiz gibt's viel zu lachen", bestätigt Lisa Lebold. Das sei auch gut so, auch im Sterben müsse man doch Freude haben dürfen. "Die Pfleger sagen zu meinen Tabletten zum Beispiel immer Vorspeise."

Das Kreuzworträtsel ist fertig. Was die Seniorin nun den Rest des Tages macht? "Mein Mann kommt mich besuchen, ich telefoniere mit meiner Tochter, vielleicht mit der Enkelin." Und sie wolle in Ruhe aus dem Fenster schauen. "Zu den Vögeln, die sind so frei."


Quelle:
KNA