Bahr hält an Pflegereform fest

An den großen Wurf glauben viele nicht mehr

100 Tage ist er jetzt im Amt. Ob Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr als Minister im schwierigen Gesundheitsressort weiter punkten kann, hängt wesentlich davon ab, ob er die von seinem Vorgänger Philip Rösler angekündigte Pflegereform stemmen kann.

Autor/in:
Christoph Arens
 (DR)

Am Freitag (19.08.2011) bekräftigte Bahr im Deutschlandfunk noch einmal, dass er noch im Sommer Eckpunkte für eine Reform vorlegen wolle. Und der Sommer ende schließlich erst am 23. September. "Wir sind noch mitten in den Beratungen, die sehr gut verlaufen", versuchte der Liberale, Bedenken über seinen Zeitplan zu entkräften - und vermied es zugleich, sich irgendwie festzulegen. Denn das Konfliktpotenzial ist enorm. Selbst beim Koalitionspartner CDU gibt es erhebliche Zweifel, ob das noch von Rösler angekündigte "Jahr der Pflege 2011" zu einem erfolgreichen Abschluss gebracht werden kann.



An den großen Wurf glauben viele nicht mehr. Der gesundheitspolitische Sprecher der Unionsbundestagsfraktion, Jens Spahn (CDU), sagte, es gebe Kräfte in der Koalition, "die die dringend notwendige Umgestaltung der Pflegeversicherung auf die lange Bank schieben oder sich mit einem Miniumbau begnügen wollen". Von Hinhaltetaktik ist die Rede.



Umstritten ist vor allem die Finanzierung. CSU-Parteichef Horst Seehofer und FDP-Fraktionschef Rainer Brüderle wollen Beitragserhöhungen noch in dieser Legislaturperiode vermeiden. Derzeit beläuft sich der Beitrag auf 2,2 Prozent für Kinderlose und 1,95 Prozent für Versicherte mit Kindern.



Und die Frage der Finanzierung

Demgegenüber halten Spahn und 21 weitere Unionsabgeordnete höhere Zahlungen der Bürger für unvermeidlich - mit Verweis auf hohe Belastungen künftiger Generationen. Die meist jüngeren Unionspolitiker hatten Anfang August ein Positionspapier veröffentlicht, in dem sie fordern, dass das bestehende Umlageverfahren um eine Kapitalrücklage ergänzt werden müsse.



Umstritten ist auch die Frage, wie ein solcher Kapitalstock finanziert werden soll. Im Koalitionsvertrag hatten sich Union und FDP eigentlich bereits auf eine "Ergänzung durch Kapitaldeckung" geeinigt, die "verpflichtend, individualisiert und generationengerecht" sein müsse. Das klingt nach Zwang zur privaten Zusatzversicherung. Dafür ist die FDP. Dafür ist auch der CDU-Wirtschaftsrat, der sich für eine Kopfpauschale ausspricht, die vom Einkommen unabhängig ist. Der CDU-Arbeitnehmerflügel favorisiert demgegenüber eine gemeinsame Kapitalrücklage aller Versicherten. Diese könnte auch durch höhere Beiträge finanziert werden.



Einen anderen Weg will offenbar Seehofer gehen. Er sucht nach Wegen, Leistungen etwa für Behinderte aus der Pflegeversicherung auszugliedern und durch Steuergelder zu finanzieren. Im Frühjahr wurden Pläne öffentlich, nach denen der Ministerpräsident prüfen ließ, ob die Pflegestufe eins für leichte Pflegefälle ganz abgeschafft werden könnte. Die SPD hält einen Kapitalstock ebenfalls für falsch. Gesundheitsexperte Karl Lauterbach lehnt es ab, die "überflüssige Rücklage" ausschließlich von Arbeitnehmern bezahlen zu lassen. Aus den Reihen der Sozialverbände kommt die Forderung nach einer Bürgerversicherung - und als erster Schritt nach einem Finanzausgleich zwischen privater und gesetzlicher Pflegeversicherung sowie nach einer Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze für gesetzlich Versicherte.



Weitere Baustellen

Unbestritten ist, dass die Pflege teurer wird. Nicht nur durch die absehbare Alterung der Gesellschaft, sondern auch durch bessere Leistungen für Demenzkranke. Im Koalitionsvertrag hatten Union und FDP 2009 unter anderem vereinbart, dass dafür der Pflegebedürftigkeitsbegriff neu definiert werden soll. Vorschläge liegen auf dem Tisch. Nicht mehr drei, sondern fünf Pflegestufen soll es geben. Sozialdemokraten und der Sozialverband VdK schätzen die Mehrbelastung auf bis zu 4,2 Milliarden Euro.



Darüber hinaus gibt es weitere Baustellen bei der Pflege: Etwa eine Reform der Pflegeausbildung, die den absehbaren Mangel an Pflegekräften in Deutschland begrenzen soll. Höchst umstritten ist auch die Definition der Pflegenoten, nach denen Heime und ambulante Pflegedienste bewertet werden sollen.