Ihre Entstehung zog sich über 25 Jahre hin und stellt ein eindrucksvolles musikalisches Vermächtnis dar, das Bach 1749 und damit nur ein Jahr vor seinem Tod vollendete. Bis heute ist weder geklärt, warum Bach als Lutheraner den kompletten Text der lateinischen Messe so aufwändig vertonte, noch ob es je zu seinen Lebzeiten eine komplette Uraufführung gab. Wahrscheinlich ist dies nicht. Alle Messteile sind umfangreich angelegt, schon das Kyrie dauert gut 15 Minuten.
Bereits dort finden sich unterschiedliche Stile. Das Christe eleison entwarf Bach als Arie für zwei Stimmen im Opernstil. Den Abschluss bildet wieder der Text Kyrie eleison, den Bach im alten stile antico vertonte. Der Chor ist vierstimmig gehalten, das Orchester spielt lediglich die Chorstimmen mit, hat keinen selbstständigen Part. Der Thomaskantor kannte sich in der Musikgeschichte hervorragend aus und verweist damit auf die Tradition und das Alter des Messtextes.
Genauso große Sorgfalt bei der Interpretation des Textes durch die Musik und höchste Kompositionskunst zeigt Bach auch im Credo, der Vertonung des Glaubensbekenntnisses. Das Credo steht in der Mitte der 5 Messteile. Auch hier nutzt Bach die Musiksprache, um theologische Aussagen zu verdeutlichen. Der Chor singt zum Beispiel „Et incarnatus est“. Inhaltlich geht es dabei darum, dass Jesus Christus durch den Heiligen Geist von der Gottesmutter Maria Mensch geworden ist, sozusagen hinabgekommen ist vom Himmel, deswegen singt der Chor deutliche Abwärtsbewegungen. Doch da das irdische Dasein Jesu am Kreuz enden wird, spielen die Violinen zu diesem Zeitpunkt ein Kreuzmotiv, um bereits zu Beginn seiner Menschwerdung auf das unheilvolle Ende hinzuweisen.
In der gesamten h-moll-Messe finden sich solche Deutungen des Textes durch die Musik. Etwa auch in der Arie „Et in unum dominum“ unmittelbar davor. Der Solo-Sopran und der Solo-Alt singen eine Art Kanon miteinander, Thema ist Jesus Christus und seine Wesensgleichheit mit Gott als Vater. Das enge Verhältnis der beiden wird durch die kompakte Stimmführung der Solisten verdeutlicht.
Angesichts der Sorgfalt der Komposition überrascht es, dass Bach die Musik nicht komplett neu komponierte. Erhebliche Teile stammen aus Kantaten, die Bach überarbeitete und den lateinischen Text der Messe unterlegte. Dieses so genannte Parodieverfahren war zu Bachs Zeiten üblich und war unter anderem auch der hohen Arbeitsbelastung von Bach geschuldet. Aber gerade deswegen überrascht die Existenz des Werkes. Klar ist, dass Bach eine frühe Fassung, bestehend nur aus Kyrie und Gloria, beim sächsischen Hof einreichte, um den Titels eines „Hof-Compositeurs“ zu erhalten.
Im Moment gehen Musikwissenschaftler davon aus, dass die Messe entstand, weil Bach am Ende seines Lebens vor allem mit der Vollendung von Zyklen beschäftigt war. So fasste er auch in anderen Gattungen Werke zu Zyklen wie die Kunst der Fuge zusammen. Vielleicht wollte er aus den bestehenden Fragmenten eine komplette Messvertonung formen, eine Missa tota ohne gottesdienstlichen Bezug. Bei seinen Söhnen war die h-moll-Messe als „Catholische Messe“ bekannt. Nach seinem Tod wurde das Werk zunächst wenn überhaupt nur in Teilen aufgeführt. Eine komplette Aufführung gelang Carl Friedrich Zelter erst in den Jahren 1834/35, zu anspruchsvoll waren bis dahin vor allem die Chorteile. Heute gehört die h-moll-Messe von Johann Sebastian Bach fest zum Repertoire von professionellen Chören und gehobenen Laienchören und wird weltweit sehr geschätzt.
(Erstsendedatum: 26.04.2015, Wiederholung 17.04.2016)