Avi Primor: Deutsche sagen Wahrheit nur am Stammtisch

Blätter vor dem Mund

Der frühere israelische Botschafter in Deutschland, Avi Primor, ruft die Deutschen zu offener Kritik an der israelischen Politik auf. Viele seien gehemmt und sagten ihre Meinung höchstens am Stammtisch, so Primor im domradio.

Yad Vashem (dpa)
Yad Vashem / ( dpa )

domradio.de: Wie war Ihre erste Begegnung mit einem Deutschen und wann war das?

Avi Primor: Das war ganz unerwartet und widerwillig in der Elfenbeinküste in Westafrika zu Beginn meiner Karriere in den 60er Jahren. Das war ein Deutscher, der später bekannt geworden ist, aber als ich als Botschafter nach Deutschland gekommen bin, war er schon längst kein Deutscher mehr, sondern der Prinzgemahl der holländischen Königin, das war Claus von Amsberg.

domradio.de: Traf er damals das Bild, das Sie von einem Deutschen hatten?

Primor: Ich wollte ihn nicht kennenlernen, er hat die Bekanntschaft erzwungen, was für uns beide danach ein Segen war. Der Grund war, weil ich mit einem Deutschen nicht sprechen wollte, wie es typisch für Israelis in dieser Zeit war. Wir haben den Deutschen vorgeworfen, dass sie ihre Vergangenheit verdrängen würden, wenn nicht gar leugnen würden. Wir sagten, mit Menschen, die ihre eigene Identität verschleiern, mit denen kann man keinen echten Dialog führen. Er hat aber dadurch das Eis gebrochen, dass er im Gegensatz zu dem, was wir erwartet haben, sofort mit meiner Frau und mir die deutsche Vergangenheit in aller Offenheit und Ehrlichkeit angesprochen hat, ohne irgendetwas zu beschönigen oder zu verschleiern. Daraus entstand eine lebenslange tiefgreifende Freundschaft. Klaus von Amsberg war für mich aber nicht typisch, wir hielten ihn für eine Ausnahme und nicht für einen echten Vertreter der damaligen deutschen Jugend.

domradio.de: Hat sich Ihre Einstellung seitdem geändert bis Sie dann schließlich 1993 zum israelischen Botschafter nach Deutschland berufen worden sind oder kam das erst als Sie dann tatsächlich in der Tätigkeit waren?

Primor: Nein, was mein Deutschlandbild geändert hat, waren verschiedene Entwicklungen in Deutschland, die wir leidenschaftlich verfolgt haben, wie die Deutschen sich allmählich geöffnet haben und ihre Vergangenheit wahrgenommen haben, nicht mehr verdrängt haben. Das war das Interesse in Deutschland für den Eichmann-Prozess in Israel, das war der Auschwitz-Prozess in Frankfurt, das war dann die Jugend- und Studentenbewegung 68, die ihre Eltern und Lehrer aufgerufen haben, endlich mal die Wahrheit über den Zweiten Weltkrieg zu erzählen und das war die Deutsch-Französische Freundschaft, die uns sehr sehr beeindruckt hat, das war die Europa-Politik Deutschlands. Alle diese Sachen haben allmählich das Deutschlandbild bei uns total verändert. Als ich als Botschafter nach Deutschland gekommen bin, habe ich schon ein ganz anderes Deutschland-Bild gehabt, als in meiner Jugend.

domradio.de: Was würden Sie sagen, ist heute alles gut in den Israelisch-Deutschen Beziehungen? 50 Jahre nach der Aufnahme der Beziehungen?

Primor: Alles gut, kann man nie sagen. Ich habe ja jetzt eine Autobiographie veröffentlicht unter dem Titel "Nichts ist jemals vollendet", aber sagen wir, dass Deutschland für uns der größte Partner weltweit nach den Vereinigten Staaten geworden ist, das Land mit dem wir am meisten und zwar in jedem Bereich kooperieren. Deutschland ist für uns unentbehrlich geworden. Wenn Sie die Meinungsumfragen der letzte Jahre sehen, dann sind die meisten Israelis Deutschlandfreunde geworden - nicht alle, aber die ganz große Mehrheit hat ein sehr gutes Deutschlandbild. In Deutschland hat es sich eher verschlechtert, weil man die israelische Politik - nicht Israel als Land oder als Nation - aber die israelische Politik gegenüber den Palästinensern immer weniger versteht und das ist sogar eine Untertreibung.

domradio.de: Das hat sich im letzten Sommer mit verschiedenen antisemitischen Äußerungen vermengt auch bei Demonstrationen. Die Frage um eine Lösung des Problems mit den Palästinensern beschäftigt viele Leute in Deutschland, auch in Israel natürlich. Wird Deutschland da eine Schlüsselrolle in der Zukunft spielen oder sollte sich Deutschland lieber raushalten?

Primor: Ich glaube, dass wenn Deutschland so wichtig für uns geworden ist, wenn die Freundschaft zwischen Deutschland und Israel so unentbehrlich für Israel geworden ist, dann brauchen wir diese Freundschaft. Um eine Freundschaft aufrecht zu erhalten, muss man miteinander offen und ehrlich sprechen. Die Deutschen sind in Sachen Israel noch immer sehr oft befangen, gehemmt und sagen ihre Wahrheit nicht - es sei denn am Stammtisch. Das ist schädlich, das könnte langfristig die Deutsch-Israelischen Beziehungen beeinträchtigen. Vorerst wie gesagt, läuft alles sehr gut, aber wenn wir langfristig die Unterstützung der öffentlichen Meinung in Deutschland verlieren - und das ist heute der Fall, das ist im Gang, dann sehe ich eine Gefahr für die Beziehungen langfristiger gesehen.

domradio.de: Sie waren ja in den 90er Jahren als Botschafter in Deutschland, waren sehr präsent in den deutschen Medien und sind es immer noch - Ihre Vorgänger und Nachfolger haben das ein bisschen anders gemacht. Wie sehr muss eigentlich Israel in Deutschland wieder für sich selbst werben, auch auf politischer Ebene?

Primor: Ich glaube, dass wir mit den Deutschen - so wie die Deutschen mit uns - offen und ehrlich sprechen sollen. Diplomatie ist heute nicht mehr ein Schwindel-Spiel wie im 19. oder 18. Jahrhundert. Heute geht es um die Zusammenarbeit, um die Entwicklung der Kooperation zwischen den Nationen, die die Diplomaten vertreten. Das ist die Hauptsache. Wenn das die Hauptsache ist, dann muss man offen miteinander sprechen, auch unangenehme Sachen sagen. Ich habe nie ein Blatt vor den Mund gehalten und habe auch die israelische Politik kritisiert, wenn ich es für richtig gehalten habe und das tue ich heute auch. Wenn ich das im Amt getan habe, kann ich es bestimmt heute tun. Das schafft natürlich Vertrauen, dann kann man Beziehungen aufbauen, die auf Freundschaft beruhen, ob alle es so sehen… Beamte sind nicht immer so. Sie denken eher an ihre Karriere und wollen die eigene Regierung nicht verärgern, also da habe ich einen anderen Stil.

Das Interview führte Christian Schlegel.


Avi Primor (dpa)
Avi Primor / ( dpa )
Quelle:
DR