Auszüge aus vatikanischer Instruktion "Dignitas personae"

"Als ob der Embryo bloß eine Anhäufung von Zellen wäre"

Der Vatikan hat am Freitag die Instruktion "Dignitas personae" über bioethische Fragen vorgelegt.

 (DR)

Sie folgt in ihren zentralen Argumentationslinien dem Vorgänger-Dokument "Donum vitae" aus dem Jahr 1987 und trägt dem medizinischen Fortschritt und den damit verbundenen ethischen Voraussetzungen Rechnung. Die Katholische Nachrichten-Agentur (KNA) dokumentiert Passagen der offiziellen deutschen Übersetzung.

Instruktion Dignitas personae über einige Fragen der Bioethik

Einleitung

1. Jedem Mensch ist von der Empfängnis bis zum natürlichen Tod die Würde einer Person zuzuerkennen. Dieses Grundprinzip, das ein großes "Ja" zum menschlichen Leben ausdrückt, muss im Mittelpunkt des ethischen Nachdenkens über die biomedizinische Forschung stehen, die in der Welt von heute eine immer größere Bedeutung gewinnt. Das Lehramt der Kirche hat sich schon mehrmals geäußert, um die damit zusammenhängenden moralischen Probleme zu klären und zu lösen. Von besonderem Gewicht war in dieser Hinsicht die Instruktion Donum vitae. Zwanzig Jahre nach ihrer Veröffentlichung ist es jedoch angebracht, dieses Dokument fortzuschreiben.

Die Lehre der genannten Instruktion bleibt unverändert gültig. (...) Neue biomedizinische Technologien, die im heiklen Bereich des menschlichen und familiären Lebens eingeführt worden sind, werfen aber weitere Fragen auf, vor allem auf dem Gebiet der Forschung mit menschlichen Embryonen und der Verwendung von Stammzellen zu therapeutischen Zwecken sowie in anderen Bereichen der experimentellen Medizin. So sind neue Probleme aufgetreten, die neue Antworten erfordern.(...)

Das Lehramt möchte ein Wort der Ermutigung und des Vertrauens gegenüber einer kulturellen Perspektive bringen, die in der Wissenschaft einen wertvollen Dienst am umfassenden Gut des Lebens und der Würde jedes Menschen sieht. Die Kirche schaut deshalb mit Hoffnung auf die wissenschaftliche Forschung und wünscht, dass sich viele Christen dem Fortschritt in der Biomedizin widmen und den eigenen Glauben in diesem Umfeld bezeugen.(...)

Erster Teil:

Anthropologische, theologische und ethische Aspekte des menschlichen Lebens und der Fortpflanzung

4. (...) Während seines ganzen Lebens, vor und nach seiner Geburt, kann nämlich in der Beschaffenheit des Menschen weder eine Änderung des Wesens noch eine Gradualität des moralischen Wertes behauptet
werden: Er ist ganz Mensch und ganz als solcher zu achten. Der menschliche Embryo hat also von Anfang an die Würde, die der Person eigen ist.

Die Achtung vor dieser Würde gebührt jedem Menschen, denn er trägt die eigene Würde und den eigenen Wert unauslöschlich in sich eingeprägt. Der Ursprung des menschlichen Lebens hat aber seinen authentischen Ort in Ehe und Familie, wo es durch einen Akt gezeugt wird, der die gegenseitige Liebe von Mann und Frau zum Ausdruck bringt. Eine gegenüber dem Ungeborenen wahrhaft verantwortliche Zeugung muss die Frucht der Ehe sein. (...)

10. Wenn die Kirche über die ethische Wertigkeit einiger Ergebnisse der neueren Forschungen der Medizin bezüglich des Menschen und seines Ursprungs urteilt, greift sie nicht in den Bereich ein, welcher der medizinischen Wissenschaft als solcher eigen ist, sondern erinnert alle Betroffenen an die ethische und soziale Verantwortung ihres Handelns. Sie ruft ihnen ins Gedächtnis, dass der sittliche Wert der biomedizinischen Wissenschaft abhängt von der unbedingten Achtung, die jedem Menschen in allen Momenten seines Daseins geschuldet ist, sowie vom Schutz der spezifischen Eigenart der personalen Akte, die das Leben weitergeben. (...)

Zweiter Teil: Neue Probleme bezüglich der Fortpflanzung

(...)

12. (...) Die Erfahrung (...) hat (...) gezeigt, dass alle Techniken der In-vitro-Befruchtung faktisch so angewandt werden, als ob der menschliche Embryo bloß eine Anhäufung von Zellen wäre, die man gebraucht, selektiert und ausscheidet.

Es ist wahr, dass etwa ein Drittel der Frauen, die auf die künstliche Befruchtung zurückgreifen, zu einem Kind gelangen. Wenn man das Zahlenverhältnis zwischen den produzierten und den wirklich geborenen Embryonen in Betracht zieht, muss man allerdings betonen, dass die Zahl der geopferten Embryonen sehr hoch ist. Diese Verluste werden von den Fachleuten der In-vitro-Befruchtungstechniken als Preis hingenommen, den man zahlen müsse, um zu positiven Ergebnissen zu kommen. In Wirklichkeit ist es sehr besorgniserregend, dass die Forschung auf diesem Gebiet vorwiegend darauf abzielt, bessere Ergebnisse hinsichtlich des prozentuellen Verhältnisses zwischen geborenen Kindern und behandelten Frauen zu erreichen, aber nicht wirklich ein Interesse am Lebensrecht jedes einzelnen Embryos zu haben scheint. (..)

Immer häufiger sind Fälle, in denen nicht sterile Paare auf künstliche Befruchtungstechniken zurückgreifen und dabei bloß eine genetische Selektion ihrer Kinder anstreben. (...) Es fällt auf, dass die allgemeine Ethik und die Gesundheitsbehörden in keinem Bereich der Medizin eine Technik mit einer so hohen Rate an negativen tödlichen Ausgängen zuließen. Die Techniken der In-vitro-Befruchtung werden faktisch angenommen, weil man voraussetzt, dass der Embryo keine volle Achtung verdient, wenn er mit einem zu erfüllenden Kinderwunsch in Konkurrenz gerät. (...)

16. Gemäß der Kirche ist es darüber hinaus ethisch unannehmbar, die Fortpflanzung vom ganz personalen Kontext des ehelichen Aktes zu
trennen: Die menschliche Fortpflanzung ist ein personaler Akt des Paares von Mann und Frau, der in keiner Weise delegiert oder ersetzt werden kann. Dass man bei den Techniken der In-vitro-Befruchtung die hohe Rate an tödlichen Ausgängen stillschweigend hinnimmt, zeigt in beredter Weise, dass der Ersatz des ehelichen Aktes durch eine technische Prozedur nicht nur unvereinbar ist mit der geschuldeten Achtung vor der Fortpflanzung, die nicht auf die bloße reproduktive Dimension eingeschränkt werden kann, sondern auch dazu beiträgt, das Bewusstsein der gebührenden Achtung vor jedem Menschen zu schwächen.
(...)

Der Wunsch nach einem Kind kann nicht seine "Produktion" rechtfertigen, so wie der Wunsch, ein schon empfangenes Kind nicht zu haben, nicht dessen Aufgabe oder Vernichtung rechtfertigen kann.

(...)

Das Einfrieren von Embryonen (...)

Zum größeren Teil bleiben die nicht gebrauchten Embryonen "Waisen".
Ihre Eltern wollen sie nicht und manchmal verliert man ihre Spur.
Dies erklärt, weshalb es in fast allen Ländern, in denen die In-vitro-Befruchtungen durchgeführt wird, Banken mit Abertausenden von eingefrorenen Embryonen gibt.

19. Im Zusammenhang mit der großen Anzahl von schon bestehenden eingefrorenen Embryonen stellt sich die Frage: Was soll man mit ihnen machen? (...)

Alles in allem muss man festhalten, dass die Embryonen, die zu Tausenden verlassen worden sind, eine faktisch irreparable Situation der Ungerechtigkeit schaffen. (...)

Die Präimplantationsdiagnostik

22. (...) Im Unterschied zu anderen Formen der pränatalen Diagnostik, wo die diagnostische Phase deutlich von der Phase der eventuellen Beseitigung des kranken Kindes unterschieden ist und die Paare frei bleiben, es anzunehmen, folgt auf die Präimplantationsdiagnostik gewöhnlich die Vernichtung des Embryos, der "verdächtigt" wird, Gen- oder Chromosomendefekte aufzuweisen oder Träger eines nicht gewollten Geschlechtes oder nicht erwünschter Merkmale zu sein. Deshalb ist die Präimplantationsdiagnostik - die immer mit der schon in sich unerlaubten künstlichen Befruchtung verbunden ist - faktisch auf eine qualitative Selektion mit der damit zusammenhängenden Beseitigung von Embryonen ausgerichtet, die eine frühabtreibende Praxis darstellt. (...)

Wenn man den menschlichen Embryo als bloßes "Labormaterial" behandelt, kommt es zu einer Veränderung und Diskriminierung auch bezüglich des Begriffs der Menschenwürde. (...)

Dritter Teil: Neue Therapien, die eine Manipulation des Embryos oder des menschlichen Erbgutes mit sich bringen

24. Die in den letzten Jahren gewonnenen Erkenntnisse haben neue Perspektiven für die regenerative Medizin und für die Therapie von Krankheiten auf genetischer Basis eröffnet. Vor allem die Erforschung der embryonalen Stammzellen und ihrer möglichen therapeutischen Anwendungen in der Zukunft hat großes Interesse geweckt, aber bis heute im Unterschied zur Forschung mit adulten Stammzellen zu keinen wirklichen Ergebnissen geführt. Weil manche der Auffassung waren, dass die eventuell durch embryonale Stammzellen erreichbaren therapeutischen Ziele verschiedene Formen der Manipulation und der Vernichtung von menschlichen Embryonen rechtfertigen könnten, haben sich im Bereich der Gentherapie, des Klonens und der Verwendung von Stammzellen einige Fragen ergeben, die einer sorgfältigen sittlichen Unterscheidung bedürfen. (...)

Bezüglich der moralischen Bewertung muss man folgende Unterscheidungen berücksichtigen. Eingriffe in Körperzellen mit streng therapeutischer Zielsetzung sind prinzipiell sittlich erlaubt. Derartige Eingriffe wollen die normale genetische Beschaffenheit des betreffenden Menschen wiederherstellen oder Schäden entgegenwirken, die von genetischen Anomalien oder anderen damit verbundenen Pathologien herrühren. (...)

Anders ist die moralische Bewertung der Keimbahntherapie. Jede genetische Veränderung an den Keimzellen des betreffenden Menschen würde auf dessen eventuelle Nachkommenschaft übertragen. Weil die mit jeder Genmanipulation verbundenen Risiken beträchtlich und noch wenig kontrollierbar sind, ist es zum gegenwärtigen Zeitpunkt sittlich nicht erlaubt, etwas zu tun, das mögliche davon herrührende Schäden auf die Nachkommenschaft überträgt. (...)

Das menschliche Klonen (...)

Das menschliche Klonen, das die sittliche Verwerflichkeit der künstlichen Befruchtungstechniken auf extreme Weise deutlich macht, ist in sich unerlaubt, weil es einen neuen Menschen ohne Verbindung mit dem Akt der gegenseitigen Hingabe von zwei Ehegatten und, noch radikaler, ohne irgendeine Beziehung zur Geschlechtlichkeit ins Leben rufen will. Ein solches Vorgehen öffnet die Tür für Missbräuche und Manipulationen, die schwer gegen die Menschenwürde verstoßen.

29. Beim Klonen mit einer reproduktiven Zielsetzung würde dem geklonten Menschen ein vorausbestimmtes genetisches Erbgut auferlegt; wie man gesagt hat, wäre er faktisch einer Art biologischer Sklaverei unterworfen, aus der er sich nur schwer befreien könnte. Dass einen Person sich das Recht anmaßt, willkürlich die genetischen Merkmale einer anderen Person zu bestimmen, ist ein schwerer Verstoß gegen dessen Würde und gegen die grundlegende Gleichheit aller Menschen. (...)

30. Noch schwerwiegender ist in ethischer Hinsicht das sogenannte therapeutische Klonen. die Herstellung von Embryonen mit der Absicht, sie zu zerstören, auch wenn man dadurch Kranken helfen möchte, ist mit der Menschenwürde vollkommen unvereinbar, weil so ein Mensch im Embryonalzustand zu einem bloßen Mittel wird, das man gebraucht und vernichtet. Es ist in schwerwiegender Weise unmoralisch, ein menschliches Leben für eine therapeutische Zielsetzung zu opfern.

Die ethischen Einwände, die von mehreren Seiten gegen das therapeutische Klonen und gegen die Verwendung von im Reagenzglas erzeugten menschlichen Embryonen erhoben worden sind, haben einige Wissenschaftler bewogen, neue Techniken zu entwickeln, von denen behauptet wird, dass man damit Stammzellen embryonaler Art herstellen könnte, ohne echte menschliche Embryonen zu vernichten.
Diese Techniken haben nicht wenige wissenschaftliche und ethische Fragen aufgeworfen, vor allem im Bezug auf den ontologischen Status des so erzeugten "Produktes". Solange diese Zweifel nicht geklärt sind, muss man beachten, was die Enzyklika Evangelium vitae bekräftigt hat: 'Der Einsatz, der auf dem Spiel steht, ist so groß, dass unter dem Gesichtspunkt der moralischen Verpflichtung schon die bloße Wahrscheinlichkeit, eine menschliche Person vor sich zu haben, genügen würde, um das strikteste Verbot jedes Eingriffs zu rechtfertigen, der zur Tötung des menschlichen Embryos vorgenommen wird.'

(...)

Die Verwendung von menschlichem "biologischem Material" unerlaubten Ursprungs

34. Für die wissenschaftliche Forschung und für die Herstellung von Impfstoffen und anderen Produkten werden gelegentlich Zelllinien verwendet, die das Resultat einer unrechtmäßigen Handlung gegen das Leben oder die physische Unversehrtheit eines Menschen sind. (...)

Natürlich gibt es innerhalb dieses allgemeinen Rahmens differenzierte Verantwortlichkeiten. (...) So dürfen zum Beispiel Eltern wegen der Gefahr für die Gesundheit der Kinder die Verwendung von Impfstoffen gestatten, bei deren Vorbereitung Zelllinien unerlaubten Ursprungs verwendet wurden, wobei jedoch alle verpflichtet sind, dagegen Einspruch zu erheben und zu fordern, dass die Gesundheitssysteme andere Arten von Impfstoffen zur Verfügung stellen. Man muss auch beachten, dass in Betrieben, die Zelllinien ungerechten Ursprungs verwenden, jene, die über die Ausrichtung der Produktion entscheiden, nicht dieselbe Verantwortung tragen wie jene, die keine Entscheidungsvollmacht haben.

(...)

Schluss

(...) Kraft des Lehr- und Hirtenauftrags der Kirche hat sich die Kongregation für die Glaubenslehre verpflichtet gefühlt, die Würde und die grundlegenden, unveräußerlichen Rechte jedes einzelnen Menschen - auch in den Anfangsstadien seiner Existenz - zu bekräftigen und die Forderungen des Schutzes und der Achtung deutlich zu machen, welche die Anerkennung dieser Würde von allen fordert.

Die Erfüllung dieser Verpflichtung beinhaltet den Mut, sich allen Praktiken zu widersetzen, die eine schwerwiegende, ungerechte Diskriminierung gegenüber den noch nicht geborenen Menschen darstellen, welche die Personenwürde haben und als Bild Gottes erschaffen worden sind. Hinter jedem "Nein" erstrahlt in der Mühe des Unterscheidens zwischen Gut und Böse ein großes "Ja", das die unveräußerliche Würde und den Wert jedes einzelnen unwiederholbaren Menschen anerkennt, der ins Leben gerufen worden ist. (...)  

Rom, am Sitz der Kongregation für die Glaubenslehre, am 8. September 2008, dem Fest der Geburt der seligen Jungfrau Maria.

William Kardinal Levada, Präfekt

Luis Ladaria, S.I. Titularerzbischof von Tibica, Sekretär