Australischer Erzbischof wegen Vertuschung schuldig gesprochen

"Der Schaden ist enorm"

Das Urteil gegen den australischen Erzbischof Philip Wilson wegen Vertuschung in Missbrauchsfällen könnte zum Präzedenzfall werden. Ihm drohen nun bis zu zwei Jahren Haft. Wie ist das Urteil aus Sicht der Opfer und der Kirche zu werten?

Modellhafte Nachbildung der Justitia / © Volker Hartmann (dpa)
Modellhafte Nachbildung der Justitia / © Volker Hartmann ( dpa )

DOMRADIO.DE: Ein Gericht im australischen Newcastle kam zu der Überzeugung, dass der heutige Erzbischof von Adelaide in den 1970er Jahren verhinderte, dass ein pädophiler Priester zur Rechenschaft gezogen werden konnte. Der Geistliche soll sich an mindestens vier Jungen vergangen haben. Der Erzbischof behauptete, keine Erinnerung an ein Gespräch mehr zu haben, in dem sich ihm damals einer der Jungen offenbart hatte. Das Gericht schenkte ihm aber keinen Glauben. Ihm drohen nun zwei Jahre Haft. Das wäre schon außergewöhnlich, oder?

Anian Christoph Wimmer (Chefredakteur der deutschen Ausgabe der Catholic News Agency): Falls es dazu kommen sollte – das Strafmaß erfahren wir erst am 19. Juni – dann ist das nicht nur ein Signal, sondern ein Präzedenzfall. Die Opfer haben jetzt schon die Hoffnung geäußert, dass dieses Urteil nicht das erste und letzte ist, sondern das erste von vielen sein wird. Nicht nur wer Kinder und junge Menschen missbraucht, sondern jeder, der diese Täter auch deckt und diese Verbrechen vertuscht, soll endlich aus Sicht der Opfer dafür geradestehen. Man geht davon aus, dass nicht nur die Sicht der Opfer so ist, sondern dass der gesellschaftliche Sensus in Australien mittlerweile ganz klar in diese Richtung geht.

DOMRADIO.DE: Der australische Kardinal George Pell muss sich ebenfalls wegen Missbrauchs vor Gericht verantworten. Eine Untersuchung hat ergeben, dass zehntausende Kinder in Australien sexuell missbraucht wurden, vor allem in kirchlichen Einrichtungen. Was ist da los in der katholischen Kirche Australiens? 

Wimmer: Positiv gesagt: Die Kirche in Australien versucht zumindest sicherzustellen, dass es nie wieder Missbrauch geben kann. Das bescheinigen hier auch übrigens deutsche Experten. Dazu gehört aber nicht nur Präventionsarbeit, sondern auch diese Aufarbeitung; das gilt für die ganze Gesellschaft, und für die Kirche ganz besonders. Die Gerichte und diese richterliche Untersuchungskommission, diese Royal Commission, spielen dabei eine ganz besondere Rolle.

DOMRADIO.DE: Hat das auch etwas mit Papst Franziskus zu tun, dass jetzt überall aufgeräumt wird?

Wimmer: Ja und nein. Sicherlich ist das Augenmerk des Papstes auf diesem Thema sehr stark. Das sehen wir auch jetzt mit Blick auf die chilenischen Bischöfe und darin, dass er sich auch selbst für sein Verhalten entschuldigt hatte.

Andererseits muss man zugeben: Nicht nur Papst Franziskus, schon seine Vorgänger – vor allem Papst Benedikt, als Papst wie als Präfekt der Glaubenskongregation – haben ja angefangen, zumindest konsequent aufzuräumen. Wie sich das dann in den einzelnen Gliedern der Weltkirche umsetzt, ist natürlich sehr unterschiedlich. 

DOMRADIO.DE: Ist es in Australien denn ein strukturelles Problem der Kirche oder fliegt mehr auf, weil mehr aufgedeckt wird?

Wimmer: Das ist eine gute Frage. Sicherlich ist die Aufklärung in Australien aus mehreren Gründen besonders gründlich. Davon können sich viele auch eine Scheibe abschneiden. Ich würde mir vielleicht auch so eine Royal Commission in anderen Ländern wünschen. Aber so eine richtige Kommission zeigt auch strukturelle Probleme auf: Sieben Prozent der Priester der Kirche sollen zwischen 1950 und 2010 in Australien selber Kinder missbraucht haben. Das sind zehntausende Fälle. Diese Untersuchen zeigen auch, dass in einigen Orden bis zu einem Fünftel der Geistlichen daran beteiligt war. Da spielen auch strukturelle Probleme eine Rolle, wie zum Beispiel ein Orden kontrolliert wird, genauso wie gesellschaftliche Trends und der Umgang mit Missbrauch eine Rolle spielen.

DOMRADIO.DE: Das heißt, es gibt mehr kirchliche Missbrauchsfälle als in nicht-kirchlichen Einrichtungen?

Wimmer: Ja und nein. Es hat damit zu tun, dass ungefähr sechzig Prozent des Missbrauchs, den diese Royal Commission aufgedeckt hat, mit religiösen Organisationen in Australien zu tun haben. Das liegt auch daran, dass natürlich im Bildungssektor oder im Bereich Pflege Schutzbedürftige besonders stark vertreten sind. Davon waren aber wiederum zwei Drittel katholisch. Nun sind die Katholiken stark vertreten. Aber die Zahl ist schon sehr hoch.

Was aber noch schwerer wiegt: Ausgerechnet Christen haben sich besonders unchristlich verhallten – und zwar ihren eigenen Schützlingen gegenüber. Das wiegt schwer.

DOMRADIO.DE: Das bedeutet wahrscheinlich auch einen großen Imageschaden für die Kirche in Australien. Treten die Menschen da jetzt reihenweise aus?

Wimmer: In der Tat ist der Schaden enorm. Denn eine Organisation, deren Wahrheitsanspruch mit Glaubwürdigkeit zu tun hat, kann sich schwer erlauben, mit solchem Personal unterwegs zu sein. Andererseits ist das schwer zu testen, da wir ungleich zu Deutschland keine Kirchensteuer haben und somit auch kein Wissen über die exakten Ein- und Austrittszahlen. Hinzu kommt, dass die katholische Kirche in Australien nie den Rang hatte wie in Deutschland, in Köln oder Bayern. Auch dadurch ist die Kirche immer ein eher kleiner Spieler gewesen, der zunehmend aber wichtige gesellschaftliche Rollen erfüllt und dafür eben besonders kritisch beäugt wird.

Das Interview führte Uta Vorbrodt.


Anian Christoph Wimmer (privat)
Anian Christoph Wimmer / ( privat )

Erzbischof Philip Wilson / © Peter Lorimer (dpa)
Erzbischof Philip Wilson / © Peter Lorimer ( dpa )
Quelle:
DR