Ausstellung über Utopien und Sehnsüchte

"Das Paradies ist anderswo"

Glaubt man der Werbung, ist das Paradies leicht erreichbar, wahlweise in Form von Garten-, Wellness- oder Einkaufsparadiesen. Am Anfang der biblischen Menschheitserzählung steht dagegen die Vertreibung aus dem Garten Eden. Was aber beinhaltet der Traum vom Paradies heute? Wo ist es zu finden? Fragen, denen die Stuttgarter Ausstellung "Das Paradies ist anderswo" nachgehen will.

Autor/in:
Volker Hasenauer
 (DR)

Dabei versucht die Schau, zu der das Institut für Auslandsbeziehung
(ifa) sechs Nachwuchskünstler eingeladen hat, einen Perspektivwechsel. Nicht die deutschen Sehnsüchte stehen im Mittelpunkt, sondern Bilder und Utopien aus Asien und Australien werden thematisiert. Damit will die Ausstellung zugleich zeigen, dass Vorstellungen vom Paradies länder- und kulturübergreifend sein können und tief im menschlichen Denken verankert sind.

Die Australierin Nicole Andrijevic etwa setzt sich in ihrer aus gefärbtem Sand, Zucker und Plastikedelsteinen ausgestreuten Miniaturlandschaft "Imaginäre Länder und ferne Kulturen" mit den Mythen und der Religion der südamerikanischen Inka-Kultur auseinander. In mühevoller, tagelanger Feinarbeit streut sie ihre bunten Sand-Zucker-Kreise. Es entstehen Bilder von Bergen, Wellen und Seen. Ein Regenbogen hält die meterlange Installation zusammen. Wichtiger Aspekt ihres Kunstwerks ist die Vergänglichkeit: Es wird sich nach Ausstellungsschluss wieder in feine Sandkörner auflösen.

Einem verloren gegangenen Paradies, nämlich einer unbewohnten Felseninsel in der Meeresstraße von Singapur, geht Jason Wee nach.
Das Pedra Branca - weißer Felsen - genannte Eiland galt mit seinem pittoresken Leuchtturm lange als romantisch verklärter Sehnsuchtsort. Nach einer handfesten diplomatischen Auseinandersetzung zwischen Malaysia und Singapur, bei der es um den heute in einer wichtigen internationalen Handelsstraße liegenden strategischen Punkt geht, wurde die Insel zum militärischen Sperrgebiet. "Ich selbst wurde von einem Militärboot verfolgt, als ich für Fotografien die Insel umsegelte", erzählt Jason Wee. Aus dem Grundriss der Lichtanlage des Leuchtturms entwickelt er eine wie eine Mandala wirkende Neonröhrenform. Meeresfotos gestaltete er am Computer zu idealisierten Wellenbildern.

"So unterschiedlich die künstlerischen Auseinandersetzungen sind, sie sprechen immer von der menschlichen Sehnsucht nach dem Unberührten und Unschuldigen, nach Frieden und Geborgenheit", beschreibt Kuratorin June Yap die Klammer der Ausstellung. Paradiese könnten konkrete oder erfundene Ort sein, erhoffte Gefühl oder Bewusstseinszustände. Immer zeige sich das Paradies aber im Gegensatz zur erlebten Gegenwart. "Und durch diese Brechung verraten uns die Arbeiten wieder viel über das wirkliche Leben."

Die Arbeiten des in Hongkong lebenden Leung Chi Wo greifen diese Spannung auf. Er fragte Bürger, was sie sich für ein besseres Leben in ihrer Stadt wünschten: "Mehr Parks, saubere Luft und zuverlässigere Politiker" lauteten einige der Antworten, die der Künstler dann auf Plakaten druckte und aufhängte. Zum Missfallen der Behörden, die diese Rufe nach einer besseren Welt schnell wieder beseitigten.

Als plakatives Gegenstück zur Hauptausstellung präsentiert sich der kurze Dokumentarfilm der deutschen Regisseurin Dorothee Wenner: Sie begleitete indische Touristen in die Schweizer Alpen. Kühe, Alphorn und Bergseen sind für das indische Filmpublikum zum Inbegriff romantischer Flitterwochen geworden, weil die Schweiz immer öfter als Traumkulisse der Bollywoodfilme diente. Ein frappierendes Beispiel dafür, dass moderne Massenkultur gesellschaftliche Paradiesvorstellungen prägt oder neu erschafft.

Hinweis: Die Ausstellung in der ifa-Galerie Stuttgart ist bei freiem Eintritt bis zum 14. Juni geöffnet. Öffnungszeiten sind Dienstag bis Sonntag von 12-18.00 Uhr, Donnerstag bis 20.00 Uhr.