Aus der Essener Kirche St. Gertrud wird eine "Kreativkathedrale"

"Geschenk des Himmels"

Die Essener Innenstadtgemeinde muss ihre Pfarrkirche St. Gertrud aufgeben, hat aber eine Lösung gefunden. Sie verkauft die Kirche, sodass daraus eine "Kreativkathedrale" entstehen kann, so Dompropst Michael Dörnemann.

Kirche St. Gertrud in Essen / © BalkansCat (shutterstock)
Kirche St. Gertrud in Essen / © BalkansCat ( shutterstock )

DOMRADIO.DE: Es ist immer schmerzhaft für eine Gemeinde, eine Kirche aufzugeben. Wie war das bei der Kirche St. Gertrud? 

Michael Dörnemann (Essener Dompropst und Pfarrer von St. Gertrud in Essen): Die Kirche St. Gertrud steht seit ungefähr 150 Jahren im Norden der Essener Innenstadt am Viehofer Platz. Die Kirche stammt aus den Zeiten der Industrialisierung, wo viele Menschen ins Ruhrgebiet gekommen sind, viele Katholiken aufgebaut worden. Im Krieg wurde die Kirche stark zerstört, aber die Innenstadt hat sich natürlich auch in den letzten Jahrzehnten sehr verändert. Die Gemeinde ist sehr klein geworden. 

St. Gertrud Kirche im Zentrum von Essen / © Marc Venema (shutterstock)
St. Gertrud Kirche im Zentrum von Essen / © Marc Venema ( shutterstock )

Die Pfarrkirche St. Gertrud ist zwar auch die Pfarrkirche für die größere Essener Innenstadt-Pfarrei nach der ersten großen Umstrukturierung 2000/2008 im Bistum Essen geworden. Aber die letzten 20 Jahre haben nochmal gezeigt, dass es einfach schwierig ist, dieses große Gebäude, wo die Gemeinde immer kleiner wird, zu halten.

Wir haben in den letzten Jahren verschiedene Versuche unternommen, für die Kirche eine Nachnutzung zu finden. 2018 hatten sich der Kirchenvorstand und der Pfarrgemeinderat im Rahmen dieses sogenannten Pfarreientwicklungsprozesses des Bistums Essen dazu entschieden, die Kirche nach 2025 aufzugeben beziehungsweise eine Nachnutzung für sie zu finden. 

Michael Dörnemann

"Im vergangenen Jahr - ich kann das nur als ein Geschenk des Himmels betrachten - kam die Hochschule für Bildende Künste auf uns zu und haben Interesse an dem Gebäude geäußert."

Im vergangenen Jahr kam die Hochschule für Bildende Künste auf uns zu und hat Interesse an dem Gebäude geäußert. Ich kann das nur als ein Geschenk des Himmels betrachten.

Wir sind dann in den letzten Monaten mit den Verantwortlichen der Hochschule, die auch die Gesellschaft bildet, die von uns die Kirche kauft und das Grundstück übernimmt, zum Abschluss gekommen. Damit werden im kommenden Wintersemester in der Kirche und um die Kirche herum, Studierende der Hochschule sein.

DOMRADIO.DE: Sie nennen das so schön "Kreativkathedrale". Was heißt das genau?

Dörnemann: Es ist ein Campus für die Studierenden. Es geht um digitale Kunst, da natürlich auch um die bildliche Kunst. Die Hochschule, die bislang in Wuppertal und in Essen-Kupferdreh ihre beiden Standorte hat, will die Standorte jetzt in der Essener Innenstadt zusammenziehen.

Die Hochschule ist der Überzeugung, dass Kunst den Dialog mit der Stadtgesellschaft braucht. Sie fanden dieses gesamte Areal, die Kirche, das Umfeld für den Standort dieser Hochschule gut und richtig. Wir haben in der Kirche auch viele Nebenräume, die sie für Vorlesungen, aber auch für Ateliers oder als als Verwaltungsgebäude nutzen können. All das zieht ab Juli so langsam in das Gebäude ein.

DOMRADIO.DE: An St. Gertrud gab es viele soziale Angebote. Was wird aus denen? Für Obdachlose zum Beispiel? 

Dörnemann: Dem Kirchenvorstand und auch mir persönlich war es wichtig, dass es für diesen Tagesaufenthalt der Wohnungslosen, für die Suppenküche und auch für die Lebensmittelausgabe der Tafel, sofort andere Orte gibt, wo das im Bereich der Innenstadt stattfindet. 

Michael Dörnemann

"Aber es ist klar, die stehen nicht auf der Straße, sondern es gibt eine Versorgung über den 1. Juli hinaus."

Es ist uns gemeinsam mit der Caritas Essen gelungen, andere Gebäude zu finden. Zum Beispiel geht der Tagesaufenthalt in das Kolpinghaus an die Stielerstraße in die Essener Innenstadt. Für Sprachkurse, für das Flixmobil, für Angebote für Familien mit Migrationshintergrund wird es demnächst in anderen Orten einen Standort geben.

Dazu gibt es gerade die finalen Abstimmungen. Aber es ist klar, die stehen nicht auf der Straße, sondern es gibt eine Versorgung über den 1. Juli hinaus. 

DOMRADIO.DE: Jetzt heißt es bald Abschied nehmen von St. Gertrud als Pfarrkirche. Wie wird das aussehen? 

Dörnemann: Wir werden am Fronleichnamstag, am 19. Juni, so wie wir das in den letzten Jahrzehnten mit der Essener Stadtprozession immer gehalten haben, noch einmal eine Segenstation an St. Gertrud halten. Der Bischof wird auch dabei sein.

Dann werden wir an dem Freitag nach Fronleichnam Abends einen gemütlichen Abschiedsabend machen, wo wir alle Menschen aus der Pfarrei St. Gertrud einladen, aber auch all diejenigen, die früher mal hier gewohnt haben, in der Kirche geheiratet haben oder zur Erstkommunion gegangen sind. Wir erzählen uns Geschichten über St. Gertrud, über das Persönliche, was wir mit der Kirche verbinden. 

Und am Sonntag, dem 22. Juni, wird der Bischof um 10 Uhr mit der Gemeinde noch einmal die Heilige Messe feiern. Wir werden danach in einer Sakramentsprozession das Allerheiligste zum Dom bringen, beziehungsweise in die dem Dom vorgelagerte Sankt Johannes Kirche, die Anbetungskirche. 

Michael Dörnemann

"Hier sind gerade die Räumlichkeiten fertig geworden, sodass die Pfarrei, die Gemeinde hier ein gutes neues Zuhause finden kann. Auch das stimmt mich zuversichtlich."

Denn sie wird die zukünftige Pfarrkirche der Pfarrei werden. Die liegt ungefähr 600 Meter von St. Gertrud entfernt. Hier sind gerade die Räumlichkeiten fertig geworden, sodass die Pfarrei, die Gemeinde hier ein gutes neues Zuhause finden kann. Auch das stimmt mich zuversichtlich. 

DOMRADIO.DE: Jetzt, wo diese Dinge geregelt sind, würden Sie sagen, der Fall St. Gertrud hat das Zeug zum Modell für andere Gemeinden zu werden, die ihre Kirchbauten aufgeben müssen?

St. Gertrud in Essen / © Bistum Essen  (Bistum Essen)

Dörnemann: Ich bin schon seit 20 Jahren in unterschiedlichen Positionen im Bistum als Pfarrer und als Dezernent für die Seelsorge tätig und kann nur sagen, es braucht letztendlich für jede Kirche, für jedes kirchliche Grundstück eine Einzelfallbetrachtung. 

Man kann nicht sagen, dass das, was wir jetzt in St. Gertrud erreicht haben, ein Prototyp ist, der an vielen anderen Stellen auch gelingt. Das mag vielleicht an der ein oder anderen Stelle möglich sein, aber letztendlich ist jede Kirche so eigen, dass man das von Fall zu Fall entscheiden muss. 

Wir sind glücklich, dass wir es hier mit der Hochschule so hinbekommen haben. Woanders ist vielleicht eher die Wohnbebauung oder der Kindergarten in der Kirche eine Lösung. Oder wenn man nach Bochum zum Anneliese Brost-Kulturzentrum schaut, da ist die Alte Marienkirche jetzt das Forum beziehungsweise der Vorraum der Philharmonie für die Bochumer Symphoniker.

Das Interview führte Hilde Regeniter. 

Bistum Essen

Das Bistum Essen ist eines der jüngsten und kleinsten unter den 27 römisch-katholischen Bistümern in Deutschland. Auch in Nordrhein-Westfalen ist es mit 1.877 Quadratkilometern und knapp 680.000 Mitgliedern das kleinste Bistum.

Es wurde am 1. Januar 1958 aus Teilen der (Erz-)Bistümer Köln, Münster und Paderborn errichtet; damals zählte die Diözese noch rund 1,5 Millionen Mitglieder. Heute sind es 638.000 Mitglieder (Stand März 25). 

Blick auf den Essener Dom / © frantic00 (shutterstock)
Quelle:
DR

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