Wohin mit straffällig gewordenen Priestern?

Auf Lösungssuche

"Wegsperren - und zwar für immer", forderte Bundeskanzler Gerhard Schröder einst für den Umgang mit Kinderschändern. Es folgten Debatten um die Sicherungsverwahrung. Bei diesem Thema sucht auch die katholische KIrche nach Lösungen.

Autor/in:
Christoph Renzikowski und Christian Wölfel
Symbolbild Holzkreuz und Handschellen / © NoonVirachada (shutterstock)
Symbolbild Holzkreuz und Handschellen / © NoonVirachada ( shutterstock )

Menschen, die sich an Kindern vergangen haben, sind oft therapieresistent und hochgradig rückfallgefährdet. Im Strafrecht wird bei Serientätern deshalb häufig Sicherungsverwahrung angeordnet.

Sie greift für die Zeit nach der Verbüßung der Freiheitsstrafe. Als Schröder 2001 seine populistische Forderung nach unbegrenztem Wegschließen medienwirksam platzierte, begann jedoch eine ganz andere Serie.

In den Folgejahren schritt der Europäische Menschenrechtsgerichtshof in Straßburg insgesamt 25 mal ein und verurteilte die Bundesrepublik - wegen der nachträglich angeordneten und rückwirkenden Verlängerung von Sicherheitsverwahrung. Es dauerte einige Jahre, bis sich Karlsruhe der Sache annahm. Für den Umgang mit den Sicherheitsverwahrten gilt jetzt: Sie müssen in gesonderten Einrichtungen untergebracht werden und die Möglichkeit zu einer Therapie erhalten. Alle zwölf Monate muss die Maßnahme überprüft werden, nach einer Gesamtdauer von zehn Jahren alle neun Monate.

Außerdem besteht die Möglichkeit, Sicherungsverwahrung zur Bewährung auszusetzen - und entsprechende Auflagen anzuordnen.

Keine rechtliche Befugnis

Die katholische Kirche hat keine rechtliche Befugnis, Täter aus ihren Reihen, also Priester und sonstige Mitarbeiter, einzusperren.

Insofern ist der Begriff "kirchliche Gefängnisse", wie er von Pater Hans Zollner in die Debatte geworfen wird, etwas irreführend. Der päpstliche Kinderschutzexperte weiß natürlich, dass die Europäische Menschenrechtskonvention das Einverständnis der Betroffenen mit ihrer eigenen Verwahrung voraussetzt, um sie in speziellen kirchlichen Häusern unterbringen zu können. Und auch, dass es keine Handhabe gäbe, sie am Verlassen solcher Einrichtungen zu hindern, sollten sie ihre Ansicht ändern.

In einem Interview mit dem ORF verwies Zollner indes unlängst auf positive Erfahrungen mit solchen Häusern in den USA. Die Täter gingen freiwillig an diese abgelegenen Orte, sie wüssten um die dort geltenden Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen. Eines der wichtigsten Instrumente im Umgang mit Missbrauchstätern sei Kontrolle, verbunden mit der genauen Festlegung, "was sie tun dürfen, wen sie treffen dürfen, wie sie Kontakt halten, wie sie das Internet benutzen", erläuterte der Jesuit und schlug solche Einrichtungen auch für Europa vor.

Blick ins Bistum Essen

Nachfrage im Bistum Essen, wohin der Intensivtäter Peter H. aus Bayern inzwischen wieder verzogen ist, der in der Debatte um die Rolle von Joseph Ratzinger/Papst Benedikt XVI. beim Umgang mit Kindesmissbrauch eine Schlüsselfigur ist. H., der 1980 nach aktenkundig gewordenen, aber nicht angezeigten Vorfällen aus Essen nach München geschickt wurde, um sich dort einer Therapie zu unterziehen, wurde bald wieder in der Seelsorge eingesetzt - und rückfällig. 1986 verurteilte ihn ein bayerisches Amtsgericht zu einer Freiheitsstrafe auf Bewährung. H. wurde dessen ungeachtet abermals in die Gemeindeseelsorge geschickt und erneut übergriffig.

Und heute? Darf er nicht mehr als Priester und Seelsorger tätig sein, sein Bischof hat es ihm untersagt. Außerdem habe er, so der Essener Bistumssprecher in einer knappen Auskunft, "eine Reihe von Auflagen erhalten, die u.a. zum Ziel haben, dass er sich intensiv mit seinen Taten und dem großen seelischen und körperlichen Leid auseinandersetzt, das er Betroffenen zugefügt hat". Die Einhaltung werde "kontinuierlich kontrolliert".

Bewachung, Betreuung und Begleitung

Bewachung, Betreuung und Begleitung, diese drei Punkte führt auch Wunibald Müller an, wenn er über die Einrichtungen für Priester in den USA spricht, die übergriffig wurden. Der Theologe und Psychotherapeut hat zwei solcher Häuser vor Jahren selbst besucht.

Mit einem Gefängnis will sie der frühere Leiter des Münsterschwarzacher Recollectio-Hauses im Gespräch mit der KNA nicht vergleichen: "Da gibt es keinen Zaun drum rum." Wichtig sei auch, dass die Täter bereits zuvor eine Therapie begonnen hätten. Der Umzug in die Häuser selbst sei letztlich freiwillig, selbst wenn es Druck von Seiten des Orden oder des Bischofs gebe.

"Bei der Überwachung des Heilungsprozesses haben sich diese Einrichtungen als gut erwiesen", bilanziert Müller. Die Geistlichen unterschrieben, dass sich auch Bischöfe und Therapeuten austauschen dürften. So gebe es bei Anzeichen für Rückfälle eine direkte Kommunikation. Generell trügen intensive Therapie und Betreuung zu einer Verringerung des Rückfallrisikos bei. Zudem zeige die Kirche, dass sie auch Verantwortung für die Täter und deren Heilungsprozess übernehme. Diese müssten dafür ihren Beruf und ihre Verbindungen, ihre persönliche Freiheit aufgeben, da sie meist für den Rest ihres Lebens in den klosterähnlichen Gemeinschaften blieben und dort auch mitarbeiteten, in der Küche oder im Garten.

Kritik an den Einrichtungen übt dagegen die US-amerikanische Betroffenenvereinigung SNAP in einer Stellungnahme von Ende Juli. Sie verweist darauf, dass dort die Schlimmsten der Schlimmen untergebracht seien, etwa der frühere Washingtoner Kardinal Theodore McCarrick. Natürlich sei es besser, wenn Täter überwacht würden. Doch SNAP stellt in Frage, ob dies in der Obhut der Kirche geschehen solle. Gewissermaßen überwache der Fuchs den Hühnerstall.

Keine Sicherheitsgarantie

Fest steht, dass alle Maßnahmen keine 100-prozentige Sicherheit garantieren. Die von Betroffenenvertretern wie Matthias Katsch immer wieder vorgebrachte Forderung, Täter endlich aus dem Priesterstand zu entlassen, bietet ebenfalls keine Gewähr. Weil die kirchliche Verwaltung damit noch das letzte bisschen an Zugriffsmöglichkeiten verliert. Mitarbeiter des Münchner Kirchengerichts erinnern sich an einen schmerzlichen Fall eines bereits wegen mehrfachen Kindesmissbrauchs vorbestraften Priesters, dessen Laisierung sie 2021 letztinstanzlich bestätigten. Mit gefälschtem Ausweis erschlich sich der Ex-Geistliche vor einigen Jahren in Niederbayern erneut das Vertrauen eines Pfarrers und frommer Mütter. So fand er neue Opfer.

Mit Blick auf die Biographien solcher Täter sei die Entfernung aus dem Klerikerstand sicher nicht der Königsweg, sagt ein Kirchenrichter. Auch in Deutschland sähen Bischöfe und Generalvikare vor der Priesterweihe bisweilen über "grottenschlechte" Abschlussbeurteilungen hinweg und weihten ungeeignete Kandidaten dennoch. Gehe das schief, übten sie anschließend Druck auf Kirchengerichte aus, um die zur Last gewordenen Priester wieder los zu werden. Verantwortung sehe anders aus.


Quelle:
KNA