Caritas beklagt zu langsame Auszahlung staatlicher Fluthilfen

"Auf das Geld warten wir noch"

Nach der Flutkatastrophe im vergangenen Jahr sind für den Wiederaufbau viele Spenden eingegangen. Die Verteilung ist nun aber ein Problem. Tausende Menschen warten auf die Auszahlung der staatlichen Wiederaufbauhilfen.

Blick auf Schuld an der Ahr nach der Flutkatastrophe. Hilfskräfte waten durch den Fluss neben einer Brücke / © Julia Steinbrecht (KNA)
Blick auf Schuld an der Ahr nach der Flutkatastrophe. Hilfskräfte waten durch den Fluss neben einer Brücke / © Julia Steinbrecht ( KNA )

DOMRADIO.DE: Wo liegt aktuell das Problem. Das Geld ist ja theoretisch da. Wieso kommt es nicht bei den Betroffenen an?

Andreas Sellner (Fluthilfe-Koordinator für das Erzbistum Köln beim Diözesan-Caritasverband): Man muss da noch einmal unterscheiden zwischen den Geldern, die gespendet worden sind und den Wiederaufbauhilfen. Die Wiederaufbauhilfen sind in der Zuständigkeit des Staates, also des Landes. Und es ist auch zugesagt worden, dass sie unbürokratisch und schnell hier, entsprechend der Schäden, die vor Ort entstanden sind, Hilfen leisten und Geld zur Verfügung stellen. Auf genau dieses Geld warten wir noch. Die Anträge sind alle gestellt, oder viele sind auf jeden Fall gestellt.

Wir haben insgesamt im Erzbistum Köln 60.000 Menschen, die von der Flut betroffen sind. Von denen müssen nicht alle dann auch einen Gebäudeschaden haben oder einen Elementarschaden haben, den sie da geltend machen, aber das sind doch viele. Und von denen ist, wie es bekannt ist, bis jetzt noch keine oder nur einer oder zwei, wenn überhaupt, bewilligt worden, sodass sie tatsächlich über dieses Geld verfügen.

DOMRADIO.DE: Aber woran liegt das, dass die Anträge nicht bewilligt werden?

Sellner: Soweit das uns bekannt ist und soweit das auch über die Medien kommuniziert worden ist nach Aussage der Bezirksregierung, sind sie gerade erst am Anfang der Bearbeitung, weil dort die Stellen noch nicht besetzt sind, die da in Aussicht gestellt worden sind, um diese ganze Sache bearbeiten zu können.

DOMRADIO.DE: Allein im Erzbistum Köln sind mehr als 60.000 Menschen von der Flut betroffen. Was fordert die Caritas, was fordern Sie jetzt konkret vom Land NRW, damit die Menschen das Geld eben doch möglichst schnell bekommen?

Sellner: Also die Dinge liegen ja vor. Wenn da natürlich kein Mensch ist, der das bearbeitet, dann kommt da auch kein Geld rüber, dann gibt es auch keine Zuwendungsbescheide. Insofern muss man da erst mal sehr schnell Leute aktivieren, die das machen können. Ich weiß, dass das auch geht. Ich habe in anderen Bereichen mit der Bezirksregierung in Köln zu tun und da läuft das völlig unproblematisch: Zum Beispiel was die Kältehilfe, die Winternothilfe für Obdachlose angeht. Das haben wir innerhalb von zwei Wochen an die Ausgabestellen NRW-weit verteilt. Das ist sehr gut gelaufen, aber denen fehlen einfach die Menschen.

Und da müssen sie jetzt gucken, dass sie da entsprechende Leute an Bord kriegen, die diese Sachen bearbeiten und so schnell wie möglich bewilligen. Und wenn das jetzt nicht so geht in dem Umfange, ich weiß auch nicht, wie das dann als Überbrückung geregelt werden kann. Aber das Mindeste, was die Menschen erwarten können, ist, dass sie zumindest mal eine Abschlagszahlung bekommen, also dass sie irgendwie Geld in die Hand bekommen, sodass sie loslegen können und dann auch wieder Mut fassen, dass das irgendwie klappt.

DOMRADIO.DE: Wie hilft die Caritas den Menschen vor Ort denn gerade aktiv beim Warten auf diese Zahlungen auch?

Sellner: Das ist ein Geduldsspiel. Wir müssen die Füße still halten, weil diese staatlichen Gelder vorrangig zu gewähren sind. Das heißt also Spendengelder, die wir dann noch dazu legen würden, wenn die Menschen nicht über entsprechendes Eigenkapital/Eigenmittel verfügen, sodass man dann insgesamt den Schaden beheben kann oder der manchmal auch noch darüber hinausgeht, sind nachrangig. Wenn man jetzt keine neue Ölheizung mehr einbaut wegen des Klimas, sondern etwas anderes, das macht es manchmal dann noch teurer, als es vorher war. Da legen wir dann auch was drauf. Aber wir können die Spendengelder erst bezahlen, wenn der Bewilligungsbescheid vorliegt. Das ist nachrangig.

Dann können wir auch entsprechend unserer Spendenmittel, die wir bekommen haben, noch dazu legen. Bereits ausgegeben haben wir natürlich für viele Menschen in den Flutgebieten die Soforthilfen und die Haushaltsbeihilfen als erste Starthilfen. Da haben wir inzwischen von Anfang an 3,8 Millionen Euro ausgegeben an die jeweiligen Haushalte.

DOMRADIO.DE: Sie sind ja sicher auch als Koordinator im Kontakt mit den Betroffenen. Jetzt hat es die vergangenen Tage wieder viel geregnet. Viele Menschen in den Flutgebieten kriegen aktuell ein ganz blödes Gefühl, wenn auf einmal wieder so viel Wasser vom Himmel runterkommt. Geht es vielen anderen dort auch so?

Sellner: Das geht ganz vielen so. Ich will es nicht übertreiben oder überzeichnen, aber das sind Traumata, die man auch verarbeiten muss. Also ich kenne das von Einzelfällen her, dass wenn es dort irgendwo nur regnet oder wenn einer nachts nur eine Klospülung anmacht, dann schreckt man aus dem Schlaf heraus, ob man das will oder nicht. Insofern kann ich das sehr gut nachvollziehen. Da ist die Sorge einfach da.

Die habe ich ja selber auch, weil ich eben diese Einzelschicksale kenne. Ich wohne in der Kölner Innenstadt. Und wenn ich jetzt dann aus dem Fenster gucke und es regnet wieder länger, dann denke ich immer direkt automatisch schon reflexartig an die Menschen, die jetzt da wieder die Erft oder oder die Ahr anschwellen sehen.

Das Interview führte Michelle Olion.


Andreas Sellner / © Melanie Trimborn (DR)
Andreas Sellner / © Melanie Trimborn ( DR )

Eva Maria Welskop-Deffaa / © Jannis Chavakis (KNA)
Eva Maria Welskop-Deffaa / © Jannis Chavakis ( KNA )
Quelle:
DR
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