Böhmermann gegen Erdogan: Meinungs- und Kunstfreiheit gegen den Schutz der Persönlichkeitsrechte ausländischer Politiker. Die Beleidigung fremder Staatschefs kann in Deutschland mit bis zu fünf Jahren Gefängnis geahndet werden.
Der Grund für diese Vorschrift sei das "staatliche Interesse an einem Mindeststandard korrekter Auslandsbeziehungen", beschrieb der Journalist und frühere Staatsanwalt Heribert Prantl in der "Süddeutschen Zeitung" den Sinn dieser Vorschrift. Bislang allerdings ist die deutsche Justiz sehr zurückhaltend mit Paragraf 103 des Strafgesetzbuchs "Beleidigung von Organen und Vertretern ausländischer Staaten" umgegangen. Chiles Diktator Augusto Pinochet, der Schah von Persien, aber auch die Päpste beschäftigten in diesem Zusammenhang die deutsche Justiz.
Kurz vor Prozessbeginn Klage zurückgezogen
2012 zog der Vatikan kurz vor Prozessbeginn seine Klage gegen das Satiremagazin "Titanic" wegen einer verunglimpfenden Darstellung des Papstes als Staatsoberhaupt des Vatikanstaats zurück. Die Zeitschrift hatte Papst Benedikt XVI. als inkontinenten Greis dargestellt. Das Cover zeigte das Kirchenoberhaupt mit einem großen gelben und einem braunen Fleck auf der Soutane. In Anspielung auf den Skandal um den Verrat von internen Vatikan-Dokumenten hieß es: "Halleluja im Vatikan - Die undichte Stelle ist gefunden!"
Warum der Heilige Stuhl vorzeitig die Reißleine zog, konnte nur vermutet werden: Die "Titanic"-Macher hatten den Prozess jedenfalls zu einem werbewirksamen Medienspektakel für sich genutzt. Einige Medienexperten hatten von Anfang an gewarnt, dass der Heilige Stuhl mit der Klage nicht gewinnen konnte. Gäbe das Gericht den Satiremachern recht, wäre das ein triumphaler Erfolg gegen den übermächtigen Goliath in Rom gewesen. Wenn aber "Titanic" verlöre, geriete der Vatikan in den Ruf einer mächtigen Institution, die per Gericht Zensur durchsetzt.
Papst mit Aidsschleife abgebildet
Auch 2010 beschäftigte die Würde des Staatsoberhaupts des Vatikanstaats die deutsche Justiz: Damals entschied der Verwaltungsgerichtshof Bayern, dass eine Abbildung von Papst Benedikt XVI. bei der Homosexuellen-Parade Christopher Street Day vier Jahre zuvor zu Unrecht aus dem Verkehr gezogen worden war.
Der Papst war unter anderem mit Aidsschleife und Kondomen abgebildet worden. Die Polizei holte das als "Papamobil" präsentierte Fahrzeug von der Straße. Dieses Verbot beurteilte der Verwaltungsgerichtshof schließlich als rechtswidrig. Im Mittelpunkt habe nicht die Verunglimpfung des Staatsoberhaupts gestanden, sondern ein Beitrag zur Debatte über die Sexualethik der Kirche.
Überhaupt reizten die Deutschlandbesuche der Päpste Gegendemonstranten immer wieder zu kritischen Äußerungen, die im juristischen Graubereich von Demonstrationsfreiheit und Beleidigung standen. 2006 kündigte der Münchner Polizeipräsident Wilhelm Schmidbauer im Vorfeld der Visite Benedikt XVI. einen harten Kurs an: Das Kirchenoberhaupt genieße bei seinem Besuch den rechtlichen Status als Staatsgast. "Es wird keine Beleidigungen Benedikts XVI. geben." Auch beim Besuch von Papst Johannes Paul II. 1996 in Berlin wies die Polizei die zahlreichen Gegendemonstranten im Vorfeld eigens darauf hin, dass die Beleidigung des Papstes als Staatsoberhaupt des Vatikan mit bis zu drei Jahren Gefängnis geahndet werde.
Der "Schah-Paragraf"
Erfolg hatte ein Strafverlangen Chiles in den frühen 80er-Jahren. Demonstranten hatten 1975 vor der Botschaft des südamerikanischen Landes ein Spruchband gegen Diktator Augusto Pinochet postiert. Der chilenische Botschafter fühlte sich durch das Wort "Mörderbande" beleidigt. Das Bundesverwaltungsgericht bejahte in dem Fall eine Strafbarkeit.
In Fachkreisen ist Paragraf 103 auch als "Schah-Paragraf" bekannt. Nach dem Deutschland-Besuch des Schahs 1967 leitete die Justiz auf sein Verlangen hin Ermittlungen wegen der Plakate ein, auf denen "Persien ein KZ" stand. Die Ermittler wiesen allerdings darauf hin, dass man sich dann auch mit den Zuständen in Persien beschäftigen müsse. Das wurde der Bundesregierung zu heikel. Bundesinnenminister Paul Lücke reiste eigens nach Teheran und bewegte den Schah zu einem Verzicht auf Strafverfolgung.