Wie man der Lebensmittelverschwendung Herr werden soll

Auch eine Frage der eigenen Moral

Wieder mal etwas im Müll gelandet, was noch genießbar gewesen wäre? Die Politik versucht seit geraumer Zeit der Lebensmittelverschwendung Herr zu werden. Mit mäßigem Erfolg. Dabei sind längst nicht die Verbraucher alleine Schuld.

Lebensmittel im Müll / © Frank May (dpa)
Lebensmittel im Müll / © Frank May ( dpa )

DOMRADIO.DE: Wir stehen noch ziemlich am Anfang der Fastenzeit. Richtige Ernährung ist bei vielen gerade das Thema und man merkt, dass dabei gerade eine Art Moralisierung Einzug hält. Ist das übertrieben oder ist das längst überfällig?

Prof. Dr. Michael Rosenberger (Institut für Moraltheologie an der katholischen Privatuniversität Linz): Grundsätzlich ist es lange überfällig. Man muss aber genauer sagen, dass es eigentlich eine Re-Moralisierung, also ein Wiedergewinnen einer moralischen Einstellung zum Essen und Trinken ist.

In den letzten 50, 60 Jahren ist das Thema der Ernährung relativ stark aus dem ethischen Fokus herausgenommen worden. Das hat schlicht und ergreifend damit zu tun gehabt, dass wir in den Industrieländern seit einigen Jahrzehnten in einer Überflussgesellschaft leben. Wir haben so viele Lebensmittel, dass wir es uns leisten konnten oder meinten uns leisten zu können, mit diesen Lebensmitteln unethisch umzugehen.

Im Grunde muss man aber sagen, dass Essen und Trinken in den Jahrtausenden der Menschheitsgeschichte immer ein hochethisch relevanter Vorgang war, weil Lebensmittel sehr knapp waren und weil natürlich Lebensmittel unverzichtbar sind, damit der Mensch leben kann. Sie gehören zu seiner Existenzgrundlage.

DOMRADIO.DE: Lebensmittelverschwendung ist heute ein ganz großes Thema. Im Jahr 2012 hat das Europäische Parlament in einer Resolution das Ziel gesetzt, den Lebensmittelmüll bis 2025 zu halbieren. Ist das zu erreichen?

Rosenberger: Wenn man sich wirklich sehr entschlossen und gezielt an die Sache ranmacht, halte ich das durchaus für möglich. Aber diese Bedingung ist natürlich nicht so leicht zu erfüllen. Hier müsste die Politik eine ganze Menge tun.

Es entstehen etwa 50 Prozent des Lebensmittelmülls in den europäischen Industrieländern in den verschiedenen Phasen der Produktion und des Handels. Die anderen 50 Prozent fallen bei den Endverbraucherinnen und Endverbrauchern an.

Für die ersten 50 Prozent, nämlich die Kette von der Produktion auf dem Acker bis zum Handel, sind natürlich wesentliche politische Maßnahmen nötig, um etwas zu erreichen. Da muss man schauen, dass man die Effizienz steigert und die Lebensmittel, die auf dem Acker wachsen, mit möglichst wenig Verlust bis zum Endverbraucher bringt. Da kann die Politik etwas durch finanzielle Rahmenbedingungen tun.

Wenn ich zum Beispiel daran denke, dass jetzt die neue Runde ansteht, wie die Landwirtschaft in Zukunft in der Europäischen Union subventioniert wird, stellt sich natürlich die Frage, an welche Kriterien man eine Förderung der Landwirtschaft bindet. Da könnten Kriterien dabei sein, die für einen sorgsameren Umgang mit den Lebensmitteln sorgen. Das würde dazu führen, dass sich sowohl der Landwirt als auch alle in der folgenden Kette vorhandenen Glieder besser um eine Ausnutzung dieser Lebensmittel bemühen.

Wenn man jetzt auf die Seite der Verbraucherinnen und Verbraucher schaut, da muss man leider sagen, dass da preisliche Mechanismen relativ wenig wirken. Wenn wir heute den Lebensmittelmüll auf null reduzieren würden, würde jeder Haushalt in Europa im Durchschnitt pro Tag eine Tasse Kaffee mehr trinken können. Das ist einfach sehr wenig. Es sind zwar einige Hundert Euro im Jahr, aber gerechnet auf einen Tag ist es relativ wenig. Das spüren die Menschen einfach zu wenig.

Das heißt, hier braucht es auch ein ganzes Stück mehr Bildungsarbeit und eine praktische Hilfe, wie man das eigentlich umsetzen kann. Da sind die Kirchen ganz stark gefordert.

DOMRADIO.DE: Der achtsame Umgang mit Lebensmitteln spielt auch in allen großen Religionen eine große Rolle. Die Beteiligung an Bewegungen gegen Lebensmittelverschwendung ist aber eher verhalten. Man kriegt nicht viel mit. Tun die Kirchen da zu wenig?

Rosenberger: Da tun sie definitiv zu wenig. Meines Erachtens müssten die Kirchen in der gesellschaftlichen Bewegung gegen Lebensmittelverschwendung ganz vorne dabei sein. Gerade für die christliche Religion müsste das so gelten. Denn wir sind eine der wenigen Religionen, wenn nicht die einzige große Weltreligion, in deren Mittelpunkt das Essen und Trinken steht, nämlich im Mahl der Eucharistie.

Wenn wir uns anschauen, dass wir mit der Eucharistie ganz behutsam umgehen und zusehen, dass bloß kein Stückchen von der Eucharistie zu Boden fällt oder der Wein verschüttet wird, oder wir sehen, dass wir alles, was von einer Eucharistiefeier übrig bleibt, aufgehoben wird und beim nächsten Mal wiederverwendet wird, dann haben wir ja zumindest in unserem rituellen Kontext eine große Behutsamkeit mit den Lebensmitteln drin.

Aber dass das praktisch auch eine Konsequenz für das Alltagsleben und für die alltägliche Ernährung von Menschen hat, scheint den meisten Bischöfen und Priestern noch gar nicht bewusst zu sein.

Das Interview führte Verena Tröster.


Prof. Dr. Michael Rosenberger / © Rosenberger (privat)
Prof. Dr. Michael Rosenberger / © Rosenberger ( privat )

Julia Klöckner / © Kay Nietfeld (dpa)
Julia Klöckner / © Kay Nietfeld ( dpa )
Quelle:
DR