Auch 15 Jahre nach dem Genozid in Ruanda sind viele Drahtzieher nicht gefasst

Völkermörder auf der Flucht

15 Jahre nach dem Völkermord in Ruanda hat Roland Amoussouga schon viele Fahndungsfotos durchgestrichen - für jeden gesuchten Kriegsverbrecher, der verhaftet wurde, eines. Noch 13 sind auf der Flucht - die Drahtzieher des Genozids. Eine Reportage über die Suche nach ihnen und erschwerende Seilschaften.

Autor/in:
Marc Engelhardt
 (DR)

"Von den 97 Angeklagten haben wir 84 festnehmen können", bilanziert der Sprecher des internationalen Kriegsverbrechertribunals für Ruanda im tansanischen Arusha. "Nur 13 sind noch auf der Flucht." Doch bei diesen, das muss Amozussouga zugeben, handelt es sich um Drahtzieher des Genozids: Hintermänner des Todes, die sich seit anderthalb Jahrzehnten geschickt versteckt halten.

Augustin Bizimana ist noch auf freiem Fuß. Er war Verteidigungsminister während des Völkermords, dem im Frühjahr 1994 innerhalb von 100 Tagen fast eine Million Tutsi und moderate Hutu zum Opfer fielen. Auch der Chef der besonders brutalen Präsidialgarde, Protais Mpiranya, hält sich versteckt. Bislang erfolglos gesucht werden zudem der Chef der extremistischen Interahamwe-Miliz in Gisenyi, Bernard Munyagishari, und Félicien Kabuga, den die Anklage für die Finanzierung des Genozids verantwortlich macht. Der Millionär war zudem Chef von Radio Télevision Libre des Mille Collines, wo Moderatoren offen zur Vernichtung aller Tutsi aufriefen.

Nicht alle Regierungen sind kooperativ
"Bei vielen wissen wir ungefähr, wo sie sich aufhalten", erklärt Hassan Jallow, der Chefankläger des von den UN eingerichteten Tribunals. Doch das allein reicht nicht, denn für die Festnahme ist das Tribunal auf Amtshilfe der Regierung der Länder angewiesen, in denen sich die Flüchtlinge verstecken. "Nicht alle Regierungen sind so kooperativ, wie wir uns das wünschen würden", formulierte Jallow diplomatisch. In keinem Fall ist das so offensichtlich wie in dem von Félicien Kabuga.

Am 3. September 2004, nicht einmal zwei Monate nach Ende des Genozids, reiste Kabuga in Kenias Hauptstadt Nairobi ein. Zuvor hatte er erfolglos versucht, Asyl in der Schweiz und im Kongo zu beantragen. Mit tatkräftiger Hilfe des schon während des Völkermords amtierenden ruandischen Botschafters, der den Hutu-Extremisten treu ergeben war, erhielt Kabuga nicht nur den Status eines Flüchtlings, sondern zudem eine Geschäftserlaubnis. Kenia hatte Kabuga nicht zufällig ausgewählt: Zahlreiche Potentaten der Hutu-Regierung pflegten schon seit Jahren gute geschäftliche Beziehungen zu dem ostafrikanischen Land.

So hatte auch Kabuga offenkundig persönliche Beziehungen zum Chef des Geheimdienstes. Seine Kontakte reichten angeblich auch bis zum damals regierenden Präsidenten Daniel arap Moi. Die Verbindungen Kenias zu den ehemaligen Völkermördern aus Ruanda waren eng. Im Herbst 1994 ließen sich zahlreiche Führungsfiguren in Nairobi nieder, die anderswo sofort verhaftet worden wären. Auch die Tutsi-feindliche Hetzschrift "Kangura", die in kongolesischen Hutu-Flüchtlingslagern verteilt wurde, wurde in Nairobi gedruckt.

"Kenia meint es nicht ernst"
Beobachter sind überzeugt, dass diese Seilschaften Kabuga bis heute vor einer Festnahme schützen. "Kenia meint es nicht ernst", sagt der kenianische Journalist Cyrus Ombati, der den Fall Kabuga seit 15 Jahren verfolgt. "Die Regierung behauptet, er sei nicht im Land, aber gleichzeitig hat sie ihn gerade wegen Steuerhinterziehung angeklagt." Das Finanzimperium Kabugas - Immobilien, ein Busunternehmen, eine Import-Export-Firma und mindestens fünf weitere Firmen - funktioniert bis heute, obwohl seine Guthaben offiziell eingefroren wurden.

"Kabuga bleibt einer der wichtigsten Flüchtlinge", gibt sich Chefankläger Jallow kämpferisch. Fünf Millionen US-Dollar Kopfgeld sind auf Hinweise, die zur Ergreifung Kabugas führen, ausgesetzt. Doch seitdem ein kenianischer Geschäftsmann, der bei der Festnahme helfen wollte, verraten und erschossen wurde, halten sich die Menschen mit Hinweisen zurück. Jallow will dennoch nicht aufgeben. "Diese Verbrechen verjähren nicht", sagt er. "Irgendwann werden wir Kabuga finden, er kann wegrennen, aber er kann sich nie in Sicherheit wiegen."