Atomkatastrophe von Japan bietet Ökopartei ungeahnte Chancen

Aufwind für das grüne Original

Es ist den Grünen fast ein bisschen peinlich, welchen Zuspruch die Atomkatastrophe in Japan ihrem Kernthema beschert. Immer wieder unterstreichen die Grünen-Spitzen am Samstag auf dem Länderrat in Mainz, nicht sie hätten das Thema Atomenergie auf die Tagesordnung und in den Wahlkampf gehoben. "Wir machen das seit 30 Jahren", sagt Grünen-Parteichef Cem Özdemir.

Autor/in:
Gisela Kirschstein
 (DR)

Die Grünen platzen in diesen Tagen geradezu vor Selbstbewusstsein. Wenige Worte genügen, und jeder hat wieder die Proteste der vor 30 Jahren gegen die Atomenergie gegründeten Ökopartei vor Augen. Es ist so, wie Cem Özdemir am Samstag stolz sagt: "Atomkraft, nein Danke - das steht in der Geburtsurkunde dieser Partei."



Durch die atomare Katastrophe im japanischen Fukushima fühlt man sich in dem Ringen bestätigt. Jahrzehntelang seien die Grünen "mal als Weicheier, mal als Spinner" diffamiert worden, sagt Özdemir. Nun kann er darauf verweisen, dass "bei uns ist der Widerstand gegen Atom Grundüberzeugung ist".



Die Grünen erleben gerade, wie die Gesellschaft im Schnelldurchgang zu ihren Haltungen aufschließt: In jüngsten Umfragen sind 75 Prozent der Bundesbürger für den schnellen Ausstieg aus der Atomenergie. Jetzt seien auch "Menschen, die bisher den Grünen nicht nahe standen, offen für unsere Argumente", registriert Özdemir. Gleichzeitig legt die Partei seit der Katastrophe in Japan etwa drei Prozentpunkte zu.



Das nährt die Befürchtung, als selbstgerechte Besserwisser dazustehen. Schließlich hatten die Grünen etwa in Rheinland-Pfalz schon vor der Katastrophe in Japan ein Plakat "Game Over für die schwarz-gelbe Atompolitik" geklebt. Ein dazu passendes Pacman-Spiel habe man nicht herausgegeben, aus Achtung vor den Opfern in Japan, sagt Grünen-Landeschef Daniel Köbler. So leitet Grünen-Chefin Claudia Roth zu Beginn des Parteitags die Gedenkminute mit den Worten ein: "Wir sind mit unseren Gedanken und Herzen bei den Menschen in Japan."



Bescheidenheit statt Besserwisserei

Statt Besserwisserei demonstrieren die Grünen Bescheidenheit: "Ich habe mir die Dimension von Fukushima nicht vorstellen können," sagt selbst das grüne Urgestein Jürgen Trittin. Der frühere Bundesumweltminister und heutige Fraktionschef im Bundestag fordert, auch die Grünen müssten ihre Positionen überprüfen.



Die Konsequenz fällt dabei freilich anders aus als bei anderen Parteien: Wenn der Atomausstieg nach den derzeitigen Modellen 2020 erreichbar sei, "dann können wir auch schneller raus", sagt Trittin und fordert unter lautem Beifall den Ausstieg noch vor 2017.



Die Grünen müssten jetzt die Republik in das Zeitalter der erneuerbaren Energien führen, lautet Özdemirs Schlussfolgerung, um zugleich gegen die Bundesregierung zu schießen: Die könne das nicht, sie habe "jegliche Glaubwürdigkeit verloren".



Überhaupt mutiert Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) mit ihrem Atomkraft-Moratorium zur Lieblingsfeindin. Die Kanzlerin müsse wohl "kurz den Verstand verloren haben", sagt Özdemir. Merkel müsse sagen, ob sie weiter "an der Seite der Atomlobby" stehen wolle, "oder folgt sie uns auf dem Weg zum Ausstieg". Und Parteichefin Roth bescheinigt der Bundesregierung gar, sie sei mit ihrer Atompolitik "selbst ein Sicherheitsrisiko".



Die Versuchung zum Abheben scheint groß: Am Sonntag wollten die Grünen wieder in den Landtag von Sachsen-Anhalt einziehen, in Rheinland-Pfalz winkt kommende Woche gar der Durchmarsch in eine rot-grüne Regierungskoalition.



Kretschmann als Hoffnungsträger

Die große Hoffnung aber heißt Winfried Kretschmann, Grünen-Spitzenkandidat in Baden-Württemberg. Der etwas spröde Schwabe könnte er der erste grüne Ministerpräsident der Republik werden - und die Chancen stehen gut. "Ob ich"s werden will, entscheide nicht ich, sondern der Souverän", sagt er bescheiden. Wenn das Amt aber "auf mich zukommt, werde ich es annehmen und kraftvoll gestalten", verspricht er.



"Wir machen das Unmögliche möglich", raunt selbst Parteichef Özdemir, und stichelt in Richtung Merkel: "Da hilft auch kein Arzt mehr, da helfen nur die Wähler."