Arnon Grünberg über seinen Roman 'Besetzte Gebiete'

Heimat ist eine Hoffnung

“Nächstes Jahr in Jerusalem”. Diesen Ausspruch zum Pessach-Fest zitiert Arnon Grünberg, um zu beschreiben, dass der Wunsch nach einem Zuhause immer eine Hoffnung ist. “Man hofft auf eine Heimat”, sagt er im DOMRADIO.DE Interview.

Arnon Grünberg / © Bettina Fürst-Fastré (KiWi)
Arnon Grünberg / © Bettina Fürst-Fastré ( KiWi )

Es geht um die Suche. Es geht darum, dass die Neugier nie befriedigt ist, dass man nie genug weiß und dass man auch versteht, dass es gefährlich sein kann, wissen zu wollen. Und es geht auch darum zu fragen, wo sein zuhause ist. Otto Kadoke trägt die Heimatlosigkeit in sich”. Arnon Grünberg erzählt in dem Roman ‘Besetzte Gebiete’ die Geschichte von Otto Kadoke. Der lebt als Psychiater in Amsterdam. Dort wird er - nicht ganz schuldlos - Opfer einer Medienkampagne. Er soll sich einer Patientin gegenüber übergriffig verhalten haben. Kadoke verliert die Erlaubnis, als Psychiater tätig sein zu dürfen.

Der erste Teil des Romans, der in Amsterdam spielt, erzählt von der Unbarmherzigkeit der neuen sozialen Medien in der digitalen Welt. Hier gibt es nur schwarz oder weiß, Urteile sind schnell gefällt und brandmarken die Verurteilten bis in alle Ewigkeit, denn das www-Netz vergisst nichts. Kadokes Zukunft in Amsterdam ist zerstört. Da kommt es ihm gelegen, dass er sich zeitgleich in eine weit entfernte Cousine aus Israel verliebt, die ihn in Amsterdam besucht. Sie lebt in einer ultraorthodoxen Gemeinde jüdischer Siedler. Der aufgeklärt lebende Psychiater flieht aus Amsterdam und folgt ihr in die ‘besetzten Gebiete’ nach Israel. “Ich finde die Frage spannend, wieviele Opfer man für die Liebe bringen kann”, sagt Grünberg, “wieviel man von sich selber, von der eigenen Identität beiseite schieben kann, wenn man verliebt ist. Ich glaube, es gehört auch zur Liebe und zu Beziehungen dazu, dass man solche Sachen immer wieder tut”.

Man kann die Vernunft auch überschätzen

Der Romanheld Kadoke stößt hier an seine Grenzen. Er, der überzeugte Humanist, hat nicht viel mit Glauben und Religion im Sinn. Seine Geliebte aber lebt ihre orthodox-jüdische Überzeugung konsequent. “Das war für mich eine wichtige Frage, ob seine Vernunft, seine Aufklärung, ein gewisser Glaube an den Humanismus, ob das nicht nur etwas Altmodisches zu sein scheint, sondern auch ein machtloser Glaube. Gibt es eine Zukunft für diese Art von Humanismus, an den er glaubte, bevor er nach Israel fliehen musste?”, fragt der Autor Grünberg und ergänzt, dass er da durchaus einiges mit seinem Romanhelden gemeinsam habe. Auch deswegen, weil beide, Romanheld und Autor, die Frage nach Gott zumindest offenhalten. Atheisten sind sie jedenfalls nicht. “Man kann auch die eigene Rationalität überschätzen”, erklärt Grünberg, “und das macht Kadoke. Wenn man glaubt, man hat alles im Griff, fängt die Überschätzung schon an. Ich habe das auch vielleicht mal geglaubt. Und ich tue das jetzt weniger. Also: ich bin kein gläubiger Mensch, aber ich finde es auch zu einfach, zu uninteressant und einfach nicht wahr, alles rational zu sehen. Wenn man sich wirklich versucht kritisch zu sehen, kann ich nicht behaupten, ich sei ausschließlich und immer der Vernunft treu, ich sei immer der Rationalist. Wenn man wirklich mit kritischer Distanz sich selbst beobachtet, sollte man auch die Möglichkeit offenlassen, dass man selbst nicht immer so aufgeklärt ist und dass das Irrationale auch in mir steckt”.

Die Sehnsucht nach Gott

Im Roman scheitert Kaduke in der streng religiös lebenden jüdischen Gemeinde mit seiner Rationalität. Er muss auch erkennen, dass die Rationalität nicht unbedingt das allein seligmachende Lebenskonzept sein kann. “Für mich ist Gott wichtig”, sagt Grünberg, “weil man die Geschichte der Menschheit ohne Religion nicht verstehen kann. Es gibt eine urmenschliche Sehnsucht nach Gott. Das kann etwas sehr Schönes sein. Aber jede Sehnsucht ist auch eine Schwäche. Und es kann auch unheimlich gefährlich sein”.

Das Nachhausekommen ist eine Hoffnung

Sehnsucht nach Gott und Sehnsucht nach Heimat seien sich da nicht ganz unähnlich, sagt Grünberg. Der Begriff Heimat sei emotional so aufgeladen, dass er schon religiöse Dimensionen habe. Grünberg selbst sieht sich als europäischen Juden. Für ihn ist Heimat eine Hoffnung: “Beim jüdischen Pessach sagen die Juden: ‘Nächstes Jahr in Jerusalem’. Das ist ein Wunsch. Das Schöne an dieser Aussage ‘Nächstes Jahr Jerusalem’ ist, dass sie bedeutet, die wirkliche Heimat oder das Nachhausekommen, das ist eine Hoffnung. Das finde ich eine schöne Definition von Heimat. Man hofft auf einen Heimat”.


Quelle:
DR