Armutsexpertin kritisiert Pläne zur Kindergrundsicherung

"Kinder haben keine Lobby"

Die Kindergrundsicherung soll eine Bündelung der vielen unterschiedlichen Sozialleistungen sein. Die FDP hat die Mehrausgaben dafür abgelehnt. Armutsexpertin Michaela Hofmann sagt, man müsse die Grundsicherung völlig neu denken.

Frau mit Kindern / © Harald Oppitz (KNA)
Frau mit Kindern / © Harald Oppitz ( KNA )

DOMRADIO.DE: Familienministerin Lisa Paus hat für das Jahr 2025, wenn die Kindergrundsicherung in Kraft treten soll, einen Bedarf von mindestens zwölf Milliarden Euro zusätzlich angemeldet. Finanzminister Christian Lindner will nur zwei Milliarden einplanen. Wie können denn die Kalkulationen so weit auseinanderliegen? 

Michaela Hofmann (Diözesan-Caritasverband Erzbistum Köln)

Michaela Hofmann (Armutsexpertin beim Diözesan-Caritasverband für das Erzbistum Köln): Naja, das sind eben Kalkulationen. Damit richtig berechnet werden kann, braucht man ein Konzept und das liegt noch nicht vor. Das liegt aber auch deshalb noch nicht vor, weil sich im Vorhinein schon darüber zerstritten worden ist, was denn alles in diese Kindergrundsicherung rein soll und wer davon profitieren soll.

Wir haben ja ein Steuerrecht, ein Sozialrecht und ein Unterhaltsrecht für die bereits Posten bezahlt werden. All das zu harmonisieren und zu schauen, was sich ändern würde, ist so komplex, dass die Kalkulationen sehr weit auseinandergehen können. Ich glaube, dass Frau Paus mit ihren Berechnungen richtiger liegt. Denn bisher waren die Regelsätze für Kinder viel zu niedrig angesetzt.

DOMRADIO.DE: Die FDP kritisiert, dass die Familienministerin noch immer kein durchgerechnetes Konzept vorgelegt hat. Und in der Tat hat sie das bis heute nicht richtig erklären können. Hat die FDP da einen wichtigen Punkt? 

Michaela Hofmann

"Man kriegt diese Sachen nur hin, indem alle Parteien wirklich miteinander arbeiten."

Hofmann: Ja, in dem Punkt, dass das Konzept nicht stimmt, hat die FDP recht. Aber die Lage ist so komplex. Ich finde es aber nicht besonders nett - um das mal fein auszudrücken - dass die FDP und der Finanzminister immer nur ein Konzept einfordern, wobei bei ihnen die Zahlen liegen. Da muss mehr zusammengearbeitet werden. Man kriegt diese Sachen nur hin, indem alle Parteien wirklich miteinander arbeiten und auch sagen, dass sie diese Kindergrundsicherung, eine Veränderung für die Kinder, wollen und Kinderarmut vermeiden wollen. 

DOMRADIO.DE: Noch mal grundsätzlich, Frau Hofmann, wie kann es denn eigentlich sein, dass in so einem reichen Land wie Deutschland die Kinderarmut ständig steigt? 

Michaela Hofmann

"Es wird anders priorisiert und Kinder haben meiner Meinung nach immer noch keine ordentliche und gute Lobby."

Hofmann: Ja, das frage ich mich auch schon lange. Schon seit 20 Jahren bleiben diese Zahlen so hoch. Für meine Begriffe ist das eine Haltungsfrage. Zwar wird immer gesagt "kein Kind zurücklassen, die Kinder sind unsere Zukunft". Aber wenn es dann darum geht, Geld auszuzahlen und das umzusetzen, was versprochen wird, dann wird zwischen Kindern und anderen Projekten abgewogen. Es wird anders priorisiert und Kinder haben meiner Meinung nach immer noch keine ordentliche und gute Lobby. 

DOMRADIO.DE: Jedes fünfte Kind in Deutschland gilt als armutsgefährdet. Gleichzeitig kommen staatliche Hilfen für Kinder und Jugendliche nicht an. Wäre denn diese Kindergrundsicherung, wie sie die Ministerin plant, ein wirklich schlagkräftiges Instrument gegen die Kinderarmut? 

Michaela Hofmann

"Wenn die Kindergrundsicherung so umgesetzt wird, dann ist das nur wieder Makulatur."

Hofmann: Nachdem was ich gelesen habe, würde ich Nein sagen. Wenn die Kindergrundsicherung so umgesetzt wird, dann ist das nur wieder Makulatur. Wir bauen noch mal eine Bürokratie-Schiene hoch, weil alles über die Familienkasse ausgerichtet werden soll, die Eltern aber gleichzeitig auch im Bürgergeld bleiben.

Ich weiß nicht, ob da wirklich tatsächlich mehr bei den Kindern ankommt. Es wäre mir lieber, man erhöht die Regelsätze vernünftig, gibt auch mehr Geld ins Bildungssystem. Ich glaube, es wäre der bessere Weg, dann nochmal die Kindergrundsicherung von Grund auf neu zu denken. 

Thema: Kinderarmut in Deutschland (dpa)
Thema: Kinderarmut in Deutschland / ( dpa )

DOMRADIO.DE: Die Regierung hat drei Milliarden Euro für den Tank-Rabatt ausgegeben. Zehn Milliarden Euro möchte Christian Lindner für eine Aktien-Rente ausgeben. Was geht Ihnen als Armuts-Expertin durch den Kopf, wenn Sie hören, dass für arme Kinder nur zwei Milliarden Euro veranschlagt werden sollen? 

Hofmann: Andere Sachen sind dann immer mehr wert. Wir sehen die Kinder nicht und wir sehen auch nicht wirklich, dass Kinder eine Möglichkeit brauchen, sich zu entwickeln.

Wenn man das Geld in Tank-Rabatte steckt, denke ich mir: Was tut ein Auto für uns? Menschen sind das, was wir brauchen. Wenn wir nicht in Menschen und Kinder investieren, dann finde ich das nicht besonders gut. Ich ärgere mich sehr über die Politik, dass sie das nicht endlich umsetzt, was sie sagt.

Das Interview führte Tobias Fricke.

Diözesan-Caritasverband für das Erzbistum Köln e.V.

Der Diözesan-Caritasverband für das Erzbistum Köln e.V. ist der Dachverband der katholischen Wohlfahrtspflege im Erzbistum Köln. Ihm sind 250 Mitglieder als Träger von mehr als 2.000 Diensten und Einrichtungen im Rheinland und den angrenzenden Kreisen angeschlossen.

Das Spektrum seiner Aufgaben reicht von Krankenhäusern über Altenheime bis zu Kindergärten und Beratungsstellen, wie etwa Schwangerschafts- oder Schuldnerberatung. Der Diözesan-Caritasverband berät seine Einrichtungen und Dienste in wirtschaftlichen Fragen und vertritt sie in Kirche, Gesellschaft und Politik. 

Die Caritas gibt es in über 160 Ländern / © Karolis Kavolelis (shutterstock)
Die Caritas gibt es in über 160 Ländern / © Karolis Kavolelis ( shutterstock )
Quelle:
DR