Argentiniens "Beinahe-Papst" Kardinal Bergoglio ist 75

Bescheidener Arbeiter im Weinberg

Glaubt man den Indiskretionen einiger "Vaticanisti", dann war er im Konklave von 2005 der aussichtsreichste Gegenkandidat zu Joseph Ratzinger, dem heutigen Papst Benedikt XVI.. Kardinal Jorge Mario Bergoglioder, der Erzbischof von Buenos Aires, ist 75 Jahre alt.

Autor/in:
Alexander Brüggemann
Kardinal Bergoglio (KNA)
Kardinal Bergoglio / ( KNA )

Im dritten Wahlgang, so heißt es, hätten bis zu 40 Kardinäle für Kardinal Jorge Mario Bergoglio gestimmt - und mit diesem Stimmendrittel hätte der Erzbischof von Buenos Aires theoretisch jede andere Wahl verhindern können. Der Verzicht des Jesuiten habe dann aber den Weg für die Wahl Ratzingers frei gemacht.



Chemiker, Schwimmer, Opernliebhaber und mehr

Bergoglio wurde am 17. Dezember 1936 als eines von fünf Kindern italienischer Einwanderer in Buenos Aires geboren. Bis heute hat er deshalb neben der argentinischen auch die italienische Staatsangehörigkeit. Der gelernte Chemiker ist ein Multitalent - etwa auch fürs Kochen, was er von seiner Mutter geerbt haben soll.

Ein Liebhaber der Oper, der griechischen Klassiker, von Shakespeare und Dostojewski. Ein Schwimmer, der körperlich anpacken kann - auch wenn er schon seit der Kindheit mit Lungenproblemen zu kämpfen hat.



Nach dem Diplom als Chemie-Ingenieur entschied sich Bergoglio für den Priesterberuf und trat in die Gesellschaft Jesu ein. Er studierte Philosophie und Theologie und lehrte währenddessen Literatur und Psychologie. Nach seiner Priesterweihe im Dezember 1969 brachte er es schnell zum Jesuiten-Provinzial Argentiniens. In diese Amtszeit fiel auch die Zeit der argentinischen Militärdiktatur (1976-1983). Im Foltergefängnis inhaftierte Ordensbrüder warfen Bergoglio Schwäche im Umgang mit dem Regime vor, weil er sich nicht vor sie gestellt habe.



Bergoglio spricht auch Deutsch

Von 1980 bis 1986 war Bergoglio Rektor der Theologischen Hochschule von San Miguel. Um seine Dissertation zu beenden, kam er 1985 zu einem längeren Aufenthalt nach Deutschland - und spricht seither neben Spanisch und Italienisch auch Deutsch. Seit 1992 Weihbischof in Buenos Aires, ernannte ihn Johannes Paul II. im Sommer 1997 zum Erzbischof-Koadjutor und im Februar 1998 zum Erzbischof der Hauptstadt-Diözese. Seit 2001 gehört Bergoglio dem Kardinalskollegium an; von November 2005 bis 2011 war er Vorsitzender der Argentinischen Bischofskonferenz.



Der Naturwissenschaftler liebt nicht die großen Auftritte. Er gilt als wortkarg und medienscheu. Zur Tagespolitik hält er möglichst Distanz. Obwohl er selten eine Rolle im Streit zwischen Bischöfen und der argentinischen Regierung spielte: Die Chemie mit der hohen Politik und der Wirtschaft stimmt auch bei ihm oft nicht. Die Eliten ermahnt er wegen der herrschenden Korruption und ihres frivol verschwenderischen Lebenswandels.



Bus statt Bischofslimousine

Bergoglio lebt Bescheidenheit vor. Statt seiner Bischofsresidenz bewohnt er ein schlichtes Appartement. Er geht selbst im Supermarkt einkaufen, liebt lange Spaziergänge durch seine Heimatstadt - und fährt ansonsten lieber Bus als Bischofslimousine. Sein Vater war Eisenbahnangestellter; vielleicht rührt daher seine Vorliebe für öffentliche Verkehrsmittel.



Theologisch eher gemäßigt und dialogbereit, gilt Bergoglio als schüchterner und doch volksnaher "Versöhner", der der konservativen und sozial engagierten Bewegung "Comunione e Liberazione" nahe steht. Seine vergleichsweise wenigen Worte haben im traditionell katholischen Argentinien Gewicht. Und an Weihnachten und Ostern besucht er ein Krankenhaus für arme Kinder oder ein Gefängnis, wäscht den Kranken oder Gefangenen die Füße. Für seine Landsleute geht von dem asketischen Einzelgänger eine besondere Aura aus. Manche beschreiben ihn als faszinierend, manche als rätselhaft.



Zuletzt, rund um seine turnusgemäße Abwahl als Vorsitzender der Bischofskonferenz, machten Gerüchte über einen verschlechterten Gesundheitszustand die Runde. Doch von einer schweren Grippe zeigte sich der Kardinal zuletzt gut erholt - und wahrscheinlich innerlich bereit, wie die meisten Hauptstadt-Erzbischöfe auch über das Erreichen der Altersgrenze hinaus weiter zu amtieren.