Ansprache von Papst Benedikt XVI. über Wurzeln der Kultur

Absage an den Fundamentalismus

Papst Benedikt XVI. hat jede Form von Extremismus als gottlos verurteilt. Die Bibel schließe alles aus, "was man heute Fundamentalismus nennt", sagte er am Freitag vor Vertretern aus Politik, Kultur und Wissenschaft im Pariser Collège des Bernardins. Das Oberhaupt der katholischen Kirche warnte in seiner mit Spannung erwarteten Rede auch vor einer Verkürzung des Freiheitsbegriffs: "Bindungslosigkeit und Willkür sind nicht Freiheit, sondern deren Zerstörung."

 (DR)

Benedikt war am Vormittag zu seinem viertägigen Besuch in Frankreich eingetroffen. Beim Empfang durch Staatspräsident Nicolas Sarkozy im Elyséepalast warb er dafür, über die strikte Trennung von Staat und Kirche, wie sie in Frankreich gilt, nachzudenken. Diese Laizität sei zwar notwendig, um Religionsfreiheit und die Verantwortung des Staates garantieren. Allerdings müsse deutlicher werden, was Religion zum «grundsätzlichen ethischen Konsens in der Gesellschaft» beitrage.

Bei einer Begegnung mit Vertretern des Judentums verurteilte der Papst «jede Form von Antisemitismus, für den es keine annehmbare theologische Rechtfertigung gibt». Bereits sein Vorgänger Pius XII. habe darauf hingewiesen, dass «antisemitisch sein auch antichristlich sein bedeutet». Geistlich seien alle Christen «Semiten», zitierte er aus einer Ansprache von Papst Pius XI. von 1938. Benedikt äußerte den Opfern des Holocausts und denjenigen, die die Erinnerung daran wachhalten, «tiefe Ehrerbietung», denn «Gott vergisst nicht».

Die Auslegung der Bibel sei «als Aufgabe auch unserer Generation gegenüber den Polen von subjektiver Willkür und fundamentalistischem Fanatismus neu gestellt», sagte der Papst im Kolleg der Bernhardiner vor Kirchenleuten, Muslimen, Politikern und Intellektuellen. Das Alte und das Neue Testament seien kein einheitlicher Text, «sondern eine Sammlung von Literatur, deren Entstehung sich über mehr als ein Jahrtausend hin erstreckt». Die darin enthaltenen Bücher «stehen in erkennbaren Spannungen zueinander». Die Bibel bedürfe daher der Auslegung und der Gemeinschaft, in der sie gelebt werde.

Das Kirchenoberhaupt wies darauf hin, dass Gott in der Gegenwart für viele «der große Unbekannte» geworden sei. «Gott suchen und sich von ihm finden lassen, das ist heute nicht weniger notwendig denn in vergangenen Zeiten», mahnte der Papst. Er wandte sich gegen eine «positivistische Kultur», von der die Gottesfrage unwissenschaftlich ins Subjektive abgedrängt werde. Dies wäre die «Kapitulation der Vernunft», der Verzicht auf ihre Möglichkeiten und damit ein «Absturz der Humanität».  

Benedikt betonte die Bedeutung nicht des Wortes allein sondern der Auslegung der Schriften. Ohne die Regensburger Rede von 2006 direkt zu erwähnen, stellte er damit klar, dass seine Äußerungen damals falsch ausgelegt worden seien. Auf den Tag genau vor zwei Jahren hatte er in seiner Vorlesung in Regensburg antiislamische Äußerungen eines mittelalterlichen Kaisers zitiert und damit heftige Kritik in der islamischen Welt ausgelöst. In deren Folge kam es zu gewaltsamen Zusammenstößen mit Todesopfern.

Benedikt würdigte in seiner Ansprache im Pariser Collège des Bernardins zudem das auf das europäische Mönchstum zurückgehende Arbeitsethos. Diese auf dem jüdischen Erbe fußende Kultur habe «das Werden Europas, sein Ethos und seine Weltgestaltung» entscheidend beeinflusst. Wenn diese Arbeitskultur ihren Bezug zu Gott verliere, drohe «Weltgestaltung schnell zur Weltzerstörung» zu werden.  

Der Papst besucht bis Montag Paris und den südfranzösischen Wallfahrtsort Lourdes. Auf dem Programm der zehnten Auslandsreise Benedikts XVI. stehen Messen und Gebetsveranstaltungen. Frankreich ist von einer strikten Trennung von Staat und Religion bestimmt. Rund die Hälfte der etwa 60 Millionen Franzosen bezeichnen sich Umfragen zufolge als Katholiken.