Anselm Grün sieht in Jesus die innere Ruhe

"Kann uns der äußere Sturm nicht nehmen"

Was tun, wenn es im Leben plötzlich unruhig wird? Wenn es einen Trauerfall gibt, Krankheit, herbe Enttäuschungen oder Schwierigkeiten in der Familie? Pater Anselm Grün ist davon überzeugt, dass man mit Jesus zur inneren Ruhe findet.

Anselm Grün / © Harald Oppitz (KNA)
Anselm Grün / © Harald Oppitz ( KNA )

DOMRADIO.DE: Ihre Lesungen und Vorträge sind oft ausgebucht. Wenn man Sie als Redner einladen möchte, dann braucht es eine Vorlaufzeit von anderthalb Jahren. Haben Sie überhaupt mal Zeit für sich? 

Pater Anselm Grün OSB (Mönch der Benediktinerabtei Münsterschwarzach und Bestseller-Autor): Ich habe auch drei Wochen Urlaub. Den genieße ich immer. Da gehe ich mit meinen Geschwistern im Gebirge wandern oder fahre mit dem Fahrrad durch das Moor in Murnau.

Sonntagnachmittag versuche ich mir frei zu nehmen. Da freue ich mich eigentlich darauf, etwas zu schreiben. Aber vorher mache ich eine halbe Stunde einen Spaziergang. Wir haben hier eine schöne Bachallee. 

DOMRADIO.DE: Sie waren früher viel im Ausland unterwegs, unter anderem in Spanien, Korea, Mexiko, Argentinien. Dort haben Sie auch Vorträge gehalten. Welches Land hat Sie am meisten beeindruckt?

Anselm Grün

"Nach dem Vortrag habe ich in einer riesigen Traube gestanden und von allen Seiten wollten die Menschen gesegnet werden."

Grün: Brasilien und Argentinien haben mir sehr gut gefallen. Die Menschen dort waren sehr, sehr herzlich. Nach dem Vortrag habe ich in einer riesigen Traube gestanden und von allen Seiten wollten die Menschen gesegnet werden. Das war sehr schön. In Asien war ich auch sehr gerne in Taiwan oder Ostmalaysia, weil die Menschen dort sehr offen sind.

DOMRADIO.DE: In Deutschland, Österreich und der Schweiz sind Sie heute auch noch unterwegs. Lange Flugreisen machen Sie heute nicht mehr ganz so viele. Fahren Sie dann eigentlich selbst mit im Auto oder nehmen Sie die Bahn? 

Grün: Nach Hamburg oder Berlin zum Beispiel fahre ich mit der Bahn, aber sonst fahre ich nach den Vorträgen auch häufig wieder zurück. Nach 22 Uhr kann man mit der Bahn nicht mehr fahren, da braucht man ewig lang.

DOMRADIO.DE: Eines Ihrer Bücher heißt “Lebensmitte als geistliche Aufgabe” und das wurde 2018 von Papst Franziskus höchstpersönlich empfohlen. Wie stehen Sie denn eigentlich persönlich zu Franziskus? 

Grün: Ich bin sehr dankbar, dass er Papst ist und ich unterstütze ihn ganz in seiner Politik, in seiner Mentalität. Er ist wirklich ein Seelsorger. Aber natürlich hat er auch Grenzen, weil er viel Widerstand innerhalb der Kirche bekommt. Es ist nicht so einfach für ihn, da seine Politik durchzusetzen. 

Anselm Grün

"Ich denke immer, dass das Markusevangelium zeigt, dass die Jünger Jesus nicht verstanden haben, bis zuletzt nicht."

DOMRADIO.DE: Lass Sie uns einmal auf das Tagesevangelium (Markus Kapitel 3 Verse 35 bis 41) blicken. Es geht um Stürme und um Vertrauen. Kennen die Jünger Jesus noch nicht so gut?

Grün: Ich denke immer, dass das Markusevangelium zeigt, dass die Jünger Jesus nicht verstanden haben, bis zuletzt nicht. Sie laufen davon, auch als Jesus am Kreuz hängt, laufen sie davon. Zwischendurch gibt es auch Situationen, in den sie davonlaufen und sie verstehen nicht wirklich wer Jesus war. 

In dieser Geschichte schläft Jesus. Man könnte sagen, der hat die Ruhe weg. Aber für mich ist das eher ein Bild: Ich bin nicht in Beziehung zu ihm. Wenn er aufsteht in meinem Boot, dann habe ich keine Angst vor den Stürmen. Das Boot kann auch ein Bild für die Kirche sein. Die Kirche hat momentan auch stürmische Zeiten. Wenn Christus in der Kirche aufsteht und wir in Beziehung zu ihm sind, dann haben wir nicht so viel Angst.

Symbolbild Boot im Sturm / © Nejron Photo (shutterstock)
Symbolbild Boot im Sturm / © Nejron Photo ( shutterstock )

Auch im persönlichen Bereich gibt es ja auch stürmische Zeiten. Wirbelstürme sind etwas sehr Heimtückisches. Man weiß nicht, woher sie kommen. Man kann sich überhaupt nicht gegen sie wehren und das ist auch ein Bild für unsere Zeit, für die vielen Dinge, die von außen kommen und uns durcheinanderwirbeln.

Wenn wir aber in Beziehung zu Jesus stehen und Jesus auch immer ein Bild für unser wahres Selbst ist, wenn wir also ganz wir selbst sind, können wir ruhig durch diese Stürme unseres Lebens fahren und haben keine Angst, denn dann wird es auf einmal ruhig. Die innere Ruhe kann der äußere Sturm uns nicht nehmen. 

DOMRADIO.DE: Heißt das dann im Umkehrschluss, dass wir in gefährlichen Situationen nur genug Gottvertrauen brauchen, um diese Situationen unbeschadet zu überstehen? Muss man nur fest genug glauben? Oder tut man damit doch vielleicht vielen Christen Unrecht, die ja schon glauben und trotzdem schlimme Schicksalsschläge erfahren?

Anselm Grün

"Glaube ist eben nicht nur Glauben, sondern auch das Spüren und Erfahren."

Grün: Gottes Schicksalsschläge werden uns davon nicht genommen, sondern die Frage: Wie gehen wir damit um? Wir sollten den Glauben nie bewerten. Natürlich ist das eine Hoffnung, dass wir mit Krankheiten und schweren Schicksalsschlägen besser zurechtkommen, wenn Christus in uns ist.

Aber natürlich zweifeln wir auch und erleben die Schmerzen. Also man sollte nie jemandem seinen Glauben absprechen. Das Ziel ist es Jesus zu erfahren. Glaube ist eben nicht nur Glauben, sondern auch das Spüren und Erfahren.

DOMRADIO.DE: Worauf kommt es denn ganz praktisch an, wenn man in diesem Sturm des Lebens steht? 

Grün: Auf der einen Seite ist es wichtig, sich zum Beispiel der Trauer zu stellen. Darüber kann man nicht hinweg gehen. Bei der Krankheit muss man natürlich auch tun, was man tun kann, aber trotzdem spüren. Das gibt mir diesen inneren Raum. Zumindest dort, wo Christus aufgeht, ist Ruhe.

Emotional bin ich vielleicht auch erschüttert und durcheinander. Aber im inneren Raum hat die Welt keinen Zutritt, haben die Stürme keinen Zutritt. Dort kann ich versuchen, von dem Aufgewühltsein zu dem Grund meiner Seele zu kommen und da nur Ruhe zu spüren.

Das Interview führte Elena Hong.

Quelle:
DR