Annette Schavan wünscht sich ein neues Pfingsten

Eine Revolution in der Kirche

Was feiern Christen und Christinnen an Pfingsten? Verständigung, wo sie unmöglich erscheint, sagt Annette Schavan. In ihrem neuen Buch plädiert sie mit weiteren prominenten Stimmen aus der Kirche für einen Aufbruch im Hier und Jetzt.

Annette Schavan / © Julia Steinbrecht (KNA)
Annette Schavan / © Julia Steinbrecht ( KNA )

DOMRADIO.DE: Pfingsten ist das wichtigste Fest im Kirchenjahr nach Weihnachten und Ostern. Der Geburtstag der Kirche, das Fest des heiligen Geistes, der Schritt der christlichen Gemeinschaft in die Öffentlichkeit. Pfingsten zu erklären ist nicht ganz einfach. Wie würden Sie diese Frage beantworten?

Annette Schavan (frühere Bundesministerin und Vatikanbotschafterin): Alles, was Sie gesagt haben, stimmt. Ich füge hinzu, es ist die Erfahrung der Jünger, die verängstigt beieinander sitzen und nicht so recht wissen, wie es weitergehen soll. Deren Hoffnung geschwunden ist, dass etwas Großes entstehen kann. 

Annette Schavan

"Verständnis ist möglich, wo es unmöglich scheint."

Es ist deren Erfahrung zur Verständigung, wo Verständigung unmöglich scheint. Sprachen verstehen, die sie eigentlich nicht verstehen. Das finde ich die wichtige Erfahrung für heute. Verständnis ist möglich, wo es unmöglich scheint. Wir sind in einer Welt, in der wir zunehmend den Eindruck haben, Verständigung ist nicht mehr möglich, wo sie einmal möglich war. 

DOMRADIO.DE: Ich füge noch den Begriff Begeisterung hinzu, denn ohne Begeisterung wären die Jünger nie in die Welt gegangen und hätten andere von dieser Botschaft überzeugt. Was aber war der Grund für diese Begeisterung? Das Revolutionäre an Jesus waren nicht unbedingt die Wunder, oder?

Schavan: Die Revolution war eine neue Sicht auf den Menschen. Alle Begegnungen Jesu mit Menschen zeigen, dass eine Perspektive für diese Menschen entsteht, dass das jeweils ein Gespräch mit großer Dynamik ist. Das gilt für den reichen Mann, für die Frau am Jakobsbrunnen, für die Ehebrecherin. Jesus bestätigt nicht deren Leben. Er sagt nicht: Alles, was ihr tut, ist gut. Sondern er redet so mit ihnen, dass sie ihre Perspektive für ihr weiteres Leben finden. 

Das haben auch die Jünger erlebt. Das hat die Jünger schon damals begeistert, manchmal auch irritiert. Nehmen wir die Ehebrecherin mit dem Satz Jesu "Wer ohne Sünde ist, werfe den ersten Stein". Sie sind irritiert, aber immer wieder auch begeistert. Das ist etwas ganz Neues, mit dem Menschen so umzugehen, den Menschen so zu sehen, jenseits von Herkunft, Rolle, Verdienste, Leistungen. 

Annette Schavan

"Die Revolution war eine neue Sicht auf den Menschen."

die Knospe der Pfingstrose  / © St.Q.
die Knospe der Pfingstrose / © St.Q.

Der Mensch, wie er ist, kann eine neue Perspektive für sein Leben entdecken. Das hat, denke ich, durch alle Jahrhunderte hindurch immer wieder die Aufmerksamkeit der Kunst, der Musik, der Literatur geweckt. 

Wenn es ums Christentum geht, geht es auch immer um diese Frage: Wie sehen wir den Menschen, von dem wir überzeugt sind, dass ihm eine unverwirkbare Würde zukommt, dass er Geschöpf Gottes ist? Und zwar jeder Mensch, nicht nur die, die wir mögen und die ohnehin zu uns gehören. 

DOMRADIO.DE: In Ihrem neuen Buch "Pfingsten!" haben Sie mit 29 Menschen aus dem katholischen Kontext jeweils einen Aufsatz geschrieben. Es geht darum, diese Pfingst-Botschaft ins Heute zu übersetzen. Warum braucht es denn dieses Pfingsten, diese Revolution in der Kirche heute wieder? 

Annette Schavan

"Die Welt um uns herum sagt, die sind mit sich beschäftigt, die wirken irgendwie knatschig"

Schavan: Weil wir in der Versuchung sind, vor allem über das zu reden, was nicht gut ist. Da fällt einem ja genug ein. Darin kann es sich aber nicht erschöpfen, zumal wir uns damit eher erschöpfen. Die Welt um uns herum sagt, die sind mit sich beschäftigt, die wirken irgendwie knatschig. Aber was ist denn deren Botschaft an die Welt, die so zerbrechlich wirkt, in der so vieles zerbrochen ist? 

Deshalb fand ich, jetzt sollten wir uns auch mal die Frage stellen: Was bedeutet uns das Christentum? Warum werden wir darauf nicht verzichten? Warum sind wir davon überzeugt, dass es für diese Gesellschaft, für die globale Weltgemeinschaft bedeutsam ist? Und die Antworten sind interessant. Sie stammen größtenteils nicht von Theologinnen und Theologen, sondern von Publizisten, von Menschen aus der Wissenschaft, der Politik. 

Ich wusste vorher ja nicht, was sie schreiben würden. So ein Sammelband ist immer eine kleine Überraschung. Ich bin doch sehr berührt gewesen über diese Texte, die von Hoffnung sprechen, die sehr persönlich sind, auch vom Ringen mit dem Glauben. Wer glaubt, kämpft immer auch mit Zweifeln, kämpft immer auch mit der angemessenen Sprache, in der wir über Gott sprechen. 

Annette Schavan

"... es gibt keinen Grund anzunehmen, warum der Geist die Kirche jetzt verlassen sollte."

Es ist so viel Potenzial im Christentum heute, in den vielen Sprachen dieser Welt die Botschaft von einer neuen Sicht auf den Menschen zu sagen. Das war das Anliegen. Das ist für mich Pfingsten. Eine Gruppe derer, die verängstigt sind, die nicht weiter wissen, machen eine für sie ganz verblüffende Erfahrung. 

Eine weiße Taube als Symbold für Frieden / © Mak Rahman (shutterstock)
Eine weiße Taube als Symbold für Frieden / © Mak Rahman ( shutterstock )

Niemand von uns weiß, was damals wirklich geschehen ist. Das Johannesevangelium wurde 100 nach Christus geschrieben, also aus der Erinnerung. In der Apostelgeschichte ist davon die Rede. In den drei anderen Evangelien ist ja gar keine Rede davon. 

Aber da, wo daran erinnert wird, wird beschrieben, wie Aufbruchsstimmung aufkommt. Petrus beginnt zu predigen. Er ruft dazu auf, sich taufen zu lassen. Und dann sagt er an die Adresse derer, die sich taufen lassen: Das Wichtigste ist der Geist, ich übersetze einmal laienhaft, der Geist dessen, den wir als den menschgewordenen Gott glauben. Der Geist, der besagt, es war nicht zu Ende mit dem Leben Jesu. Es hat sich eine Bewegung entwickelt, die von diesem Geist immer begleitet wird, über die Zeiten hinweg und es gibt keinen Grund anzunehmen, warum der Geist die Kirche jetzt verlassen sollte. 

DOMRADIO.DE: Das ist im Prinzip auch der Standpunkt von Papst Franziskus in Bezug auf die Reformen der deutschen Kirche. Wir sollen mehr vom Glauben erzählen, weniger theoretisieren. Sie waren vier Jahre lang Vatikanbotschafterin. Wie stehen Sie zu der Reform-Debatte? 

Annette Schavan

"Was bedeutet uns das Christentum? Warum werden wir darauf nicht verzichten?"

Schavan: Das Buch enthält keine Reformagenda. Nicht, weil ich die für falsch halte, sondern weil es jenseits der Reformagenda, die sich auf die Institution und deren Verhalten und Entscheidungen bezieht, auch die Frage an uns Christinnen und Christen geben muss: Was bedeutet es mir? Warum werde ich nicht darauf verzichten? Warum ringe ich mit dieser Frage? Diesen Ansatz habe ich ganz bewusst gewählt, auch weil ich sehr überzeugt bin von Papst Franziskus. 

Ich war in Rom am Beginn des Pontifikates. Da war auch noch viel Aufbruchsstimmung. Ich weiß, dass das heute komplizierter ist. So ist das bei langen Amtszeiten immer, dass sich auch viel Ärger aufstaut. Und die Weltkirche denkt zu vielen Fragen höchst unterschiedlich auf den verschiedenen Kontinenten. Das Papstamt als Amt der Einheit muss versuchen, aus diesen vielfältigen Stimmen immer wieder auch die Einheit zu erhalten. Das ist das, was wir im Moment spüren. Das ist schwer. Es gibt eine Menge Konflikte. Es gibt enttäuschte Hoffnungen. 

Papst Franziskus mit Bundeskanzlerin Angela Merkel und Annette Schavan bei einer Privataudienz im Jahr 2016 / © Stefano Dal Pozzolo (epd)
Papst Franziskus mit Bundeskanzlerin Angela Merkel und Annette Schavan bei einer Privataudienz im Jahr 2016 / © Stefano Dal Pozzolo ( epd )

Dieser Papst hat uns eine Theologie der Peripherie formuliert. Das ist nicht so, wie wir uns Theologie an den deutschen Fakultäten vorstellen. Es ist unkonventioneller, es ist eigentlich ein Auftrag, sie zu entwickeln. Der Kern ist, wenn wir an die Peripherie gehen, im eigenen Leben, in dieser Welt, in der Kirche. Dann werden wir mehr verstehen von dem, was uns weiterbringen kann. Das hat mich damals überzeugt, und das überzeugt mich immer noch. 

Wir können an dieser Stelle weiterdenken, wo ist der Platz der Kirche, sodass Menschen wirklich begeistert sind? Für mich gehört zum Beispiel hier in Köln Franz Meurer dazu, der Pfarrer, der wirklich an der Peripherie wirkt und eine große Ausstrahlung weit über Köln hinaus hat. Oder Sant'Egidio in Trastevere, in der Zeit nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil gegründet. 

Dieser Papst hat uns Wegweisung gegeben, die uns Europäern schwerfällt, weil wir ganz anders organisiert sind, weil uns das viel Veränderung abverlangt. Aber es ist vielleicht in dieser Zeit um Pfingsten herum eine gute Gelegenheit, doch mal zu schauen, ob wir nicht noch mehr solcher Orte schaffen können, die für die Kirche so wichtig sind wie unsere Dome und Kathedralen. 

DOMRADIO.DE: Sind das die Orte, an denen das Pfingsten entsteht, das wir im 21. Jahrhundert für die Kirche brauchen? 

Schavan: Davon bin ich überzeugt. Dieses schöne Pfingstlied "Komm, Heiliger Geist, der Leben schafft, erfülle uns mit deiner Kraft" heißt für mich heute "Erfülle uns mit der Kraft, solche Orte zu schaffen". 

Das Interview führte Renardo Schlegelmilch.

Pfingsten

Pfingsten ist für Christen das Fest des Heiligen Geistes und gilt als Geburtsfest der Kirche. Damit endet die 50-tägige Osterzeit. Das Wort Pfingsten leitet sich ab von "Pentekoste", dem griechischen Begriff für "fünfzig". Die Bibel versteht den Heiligen Geist als schöpferische Macht allen Lebens. Er ist nach kirchlicher Lehre in die Welt gesandt, um Person, Wort und Werk Jesu Christi lebendig zu erhalten.

Flammenzungen über Männern und Frauen in der Kuppel der Kirche Sankt Katharina, Saint Catherine, in Spring Lake (USA). / © Octavio Duran/OSV News (KNA)
Flammenzungen über Männern und Frauen in der Kuppel der Kirche Sankt Katharina, Saint Catherine, in Spring Lake (USA). / © Octavio Duran/OSV News ( KNA )
Quelle:
DR