Ankündigung der Papstteilnahme am G7-Gipfel sorgt für Wirbel

Sensation oder politisches Kalkül?

Erstmals wird ein Papst bei einem G7-Gipfel dabei sein. Franziskus wurde zu dem Treffen der Regierungschefs der sieben größten Industrienationen der Welt eingeladen. Der Politikwissenschaftler Ralph Rotte dämpft die Erwartungen.

Papst Franziskus / © Cristian Gennari/Romano Siciliani (KNA)
Papst Franziskus / © Cristian Gennari/Romano Siciliani ( KNA )

DOMRADIO.DE: Seit einigen Jahren laden die G7-Chefs auch andere Länder zu dem Treffen ein. Mexiko, Indien, Südafrika standen zum Beispiel schon häufiger auf der Liste. Jetzt wurde Papst Franziskus im Rahmen der sogenannten G7-Outreach-Initiative eingeladen. Wie ungewöhnlich ist dieser Schritt? 

Prof. Ralph Rotte, Lehrstuhlinhaber für Internationale Politik, RWTH Aachen / © Universität Aachen (privat)
Prof. Ralph Rotte, Lehrstuhlinhaber für Internationale Politik, RWTH Aachen / © Universität Aachen ( privat )

Prof. Dr. Ralph Rotte (Hochschulprofessor für internationale Beziehungen an der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule in Aachen): Das ist dahingehend ungewöhnlich, als dass der Vatikan beziehungsweise der Heilige Stuhl zwar ein Völkerrechtssubjekt ist, aber auch die Spitze einer Glaubensgemeinschaft. Deswegen ist es schon etwas Besonderes und deutet darauf hin, dass der Papst von quasi allen anderen Staaten, auch den wichtigen Staaten, als Völkerrechtssubjekt "sui generis" - wie das immer heißt - gesehen wird.

Das heißt er ist den Staaten gleichgestellt. Ich kann mir durchaus vorstellen, dass das bei anderen Religionsgemeinschaften wieder zu Unmut führen könnte. 

DOMRADIO.DE: Das heißt, da geht es mehr um die Rolle des Oberhauptes der großen Weltreligion und nicht um seine Funktion als Staatsoberhaupt des kleinsten Staates der Welt?

Rotte: Das gehört zusammen. Der Heilige Stuhl ist sozusagen das Völkerrechtssubjekt. Das ist noch nicht mal der Staat beziehungsweise der Vatikanstaat, der hier relevant ist, sondern es ist der Papst als Spitze dieses Heiligen Stuhls. Da er den Staaten völkerrechts- und gewohnheitsrechtsmäßig gleichgestellt ist, ist das auch formal kein Problem, dass er da eingeladen wird; wie die anderen Akteure, die bei dieser Outreach-Initiative schon öfter dabei waren.

DOMRADIO.DE: Beim letzten G7-Gipfel 2022 in Elmau wurden sogar die Kreuze abgehängt. Inwiefern könnte das problematisch sein, dass sich Religion und weltliche Politik in so einer Form vermischen? 

Ralph Rotte

"Es wird vielleicht etwas Protest geben von anderen Religionsgemeinschaften. Aber dass das in diesem Kreis der Staaten ein größeres Problem geben wird, glaube ich nicht."

Rotte: Das wird kein massives Problem sein. Es wird vielleicht etwas Protest von anderen Religionsgemeinschaften geben. Aber dass es in diesem Kreis der Staaten ein größeres Problem geben wird, glaube ich nicht. 

Frau Meloni hat ihn offensichtlich eingeladen. Sie wird dabei wahrscheinlich auch ihre eigenen Motive gehabt haben. Das Ganze findet kurz nach der Europawahl statt. Möglicherweise ist es ihr innenpolitisches Kalkül, eine gewisse Geste gegenüber den Katholiken zu zeigen, die sie vielleicht bei der Wahl erreichen möchte.

Zweitens ist die Gefahr gering, dass es da zu irgendwelchen inhaltlichen Kontroversen oder so etwas kommt. Zu dem Thema Künstliche Intelligenz wird der Papst sicherlich aus ethischer Perspektive einiges zu sagen können. Aber nachdem er selber bei aller Vorsicht nicht wirklich technikfeindlich ist, glaube ich nicht, dass es da große Kontroversen gibt. 

Außerdem haben wir wieder diesen völkerrechtlichen Aspekt, dass der Papst laut Lateranverträgen neutral sein muss. Das heißt, er darf sich zum Beispiel nicht groß mit Italien anlegen. Entsprechend ist das Ganze aus der Perspektive Italiens durchaus in gutem Fahrwasser. Die anderen Staaten werden da auch keine großen Probleme machen, weil sie den Papst per se als Völkerrechtssubjekt anerkennen und zum anderen auch der Gastgeberin nicht in die Parade fahren werden.

DOMRADIO.DE: Wenn das alles so unkompliziert ist, kann man sich die Frage stellen, weshalb es so etwas bis jetzt noch nicht gegeben hat. Die G7 existieren jetzt seit fast 50 Jahren. 1975 wurden sie unter anderem von Helmut Schmidt ins Leben gerufen. Weshalb ist das so etwas Besonderes? Warum ist noch nie vorher jemand auf diese Idee gekommen, den Papst einzuladen?

Rotte: Möglicherweise hat es etwas damit zu tun, dass die G7 mittlerweile nicht mehr das unumstrittene Führungsgremium in der Welt ist, was die Governance von Wirtschaft angeht. Es handelt sich mittlerweile doch wieder eher um einen Club der westlichen Staaten, teilweise auch in Konfrontation mit Russland oder China oder anderen Herausforderungen. 

Ralph Rotte

"Ob sich der Papst da wirklich 100prozentig auf diese Rolle einlassen wird, sei mal dahingestellt."

Deswegen ist es vielleicht auch durchaus im Sinne der G7, sich da so zu positionieren, dass man auch ein gewisses ethisch-moralisches Gewicht an den Tag legt.

Ob sich der Papst wirklich 100-prozentig auf diese Rolle einlassen wird, sei mal dahingestellt. Ich denke schon, dass er vielleicht am Rande der Veranstaltung ein paar kritische Worte zu sozialen Fragen, zu Migrationsfragen oder Ähnlichem sagen wird.

Aber im Großen und Ganzen versucht man den eigenen globalen Anspruch vonseiten der G7 noch ein bisschen zu unterfüttern.

DOMRADIO.DE: Welchen Einfluss könnte der Papst konkret auf die internationale Politik in so einem Treffen haben? Normalerweise ist das eher eine Soft power, die hinter den Kulissen ausgeübt wird, wenn wir über den Vatikan und den Heiligen Stuhl sprechen. 

Ralph Rotte

"Vielleicht liegt gerade in dieser Soft Power das Potenzial, ein bisschen Einfluss zu nehmen."

Rotte: Vielleicht liegt gerade in dieser Soft Power das Potenzial, ein bisschen Einfluss zu nehmen. Das heißt, wenn der Papst im tête-à-tête mit den anderen Staats- und Regierungschefs sehr überzeugend rüberkommt, kann es möglicherweise durchaus sein, dass es ein paar Perspektiven gibt, die sie vielleicht noch nicht auf dem Schirm hatten.

Im Großen und Ganzen kann man nicht erwarten, dass der Papst richtungsweisend wirken kann. Es ist in erster Linie ein diplomatisches Event. 

Das Interview führte Renardo Schlegelmilch.

Stichpunkte zu G7

Ursprung: Die Weltwirtschaftskrise 1975 brachte Kanzler Helmut Schmidt und Frankreichs Präsidenten Valéry Giscard d'Estaing auf die Idee eines Gipfels der größten Industrienationen, um Lösungen zu suchen. Beim ersten Treffen auf Schloss Rambouillet bei Paris kamen die Staats- und Regierungschefs aus Frankreich, Deutschland, den USA, Großbritannien, Japan und Italien zusammen. Ein Jahr später komplettierte Kanada die G7 für die nächsten fast 30 Jahre.

G7-Gipfel in Hiroshima / © Stefan Rousseau (dpa)
G7-Gipfel in Hiroshima / © Stefan Rousseau ( dpa )
Quelle:
DR