Anglikanischer Domkapitular über den Brexit und Themen der Synode

Welche Auswirkungen der Brexit für die Kirche hat

Das Brexit-Votum in Großbritannien ist erst drei Wochen her. Schon lange vorher war die Synode der Anglikanischen Kirche geplant, die seit Freitag tagt. Der anglikanische Domkapitular im englischen Leicester Johannes Arens spricht im domradio.de-Interview über die Auswirkungen der Entscheidung auf die Kirche.

Brexit in London / © dpa (dpa)
Brexit in London / © dpa ( dpa )

domradio.de: Vorab gefragt: Ist denn der Brexit-Schock bei Ihnen in der Gemeinde so langsam verdaut?

Johannes Arens (anglikanischer Domkapitular im englischen Leicester): Der ist noch überhaupt nicht verdaut, zumal noch immer niemand weiß, was jetzt passiert. Es stellt sich immer mehr heraus, dass die Wahlversprechen nicht haltbar sind. Im Moment geht es darum: Wer drückt den roten Knopf mit dem Artikel 50. Aber niemand ist bereit. Jeder, der das tun könnte, ist zurückgetreten.

domradio.de: Artikel 50 regelt den EU-Austritt. Seit Freitag tagt die anglikanische Synode im britischen York. Deren Vorsitzender, der Erzbischof von Canterbury Justin Welby, sagt zum Thema: "Wir werden vielleicht die EU verlassen, aber wir werden nicht Europa verlassen." – Was für ein Gewicht hat es, wenn ein Kirchenmann solche Worte spricht?

Arens: Schwer zu sagen. Es ist immer die Frage, ob es Sinn macht, dass sich die Kirche politisch äußert. Und normalerweise äußert sich die Synode zu politischen Fragen fast gar nicht. Sie ist dafür da, disziplinarische Kirchenfragen zu entscheiden. Nichts desto weniger gibt es hier eine Ausnahme.

domradio.de: Welche?  

Arens: Es kam in den letzten Wochen zu massiven fremdenfeindlichen und rassistischen Übergriffen. Es widerspricht auch völlig dem britischen Sinn von Fair-Play. Das schreckt die allgemeine Bevölkerung sehr auf. Die meisten Leute sind davon schockiert und angewidert. Und da sagt die Kirche zu Recht, das ist eine völlig andere Ebene und da werden wir uns ganz deutlich äußern, dass das nicht geht.

domradio.de: Im Moment denkt Schottland über ein weiteres Referendum nach, um eventuell das Vereinigte Königreich zu verlassen. Das würde allerdings noch einige Jahre dauern - kann man denn sagen, welche Konsequenzen das für die anglikanische Kirche hätte?

Arens: Das kann man überhaupt nicht sagen. Ob das denn passiert und ob das Referendum wirklich stattfindet, das hängt ja von London ab. Im Moment gibt es zehn bis 20 mögliche Szenarien, was sich politisch entwickeln könnte: ob Großbritannien wirklich aus der EU austritt oder ob es so was gibt, wie ein norwegisches Modell…

domradio.de: …bei dem man, salopp gesagt, selbst entscheiden kann, welche Gesetze man umsetzt, und sich offensichtlich noch immer guter Handelsbedingungen erfreut…

Arens: … oder, ob das Parlament die ganze Geschichte wieder rückgängig macht, weil das Referendum ja nicht bindend ist, sondern nur beratende Funktion hat. Welche Folgen das dann für die Kirche hat, das kann man noch nicht voraussagen. Das Einzige, was abzusehen ist und zunehmend deutlich wird, ist, dass das Ganze massive finanzielle Auswirkungen hat. Das Pfund und der Börsen-Markt sind im freien Fall, mehrere große Arbeitgeber wollen in andere Länder. Plötzlich merken viele, dass der Austritt nicht einfach so geht, sondern dass da Arbeitsplätze dranhängen und auch Geld.

domradio.de: Merken Sie das als Kirche auch?

Arens: Ja, das merkt die Kirche sehr deutlich. Wir sind nämlich als Kirche in England ohne Kirchensteuer-System und sind ausschließlich von Spenden abhängig. Die wirtschaftliche Lage merken wir sofort.

domradio.de:  Schauen wir auf ein weiteres großes Thema bei der Synode ... da geht es um die Trauung gleichgeschlechtlicher Paare. Wie steht die Anglikanische Kirche momentan zu diesem Thema?

Arens: Die Frage ist die, ist das eine Glaubensfrage, oder eine disziplinarische Frage. Die Anglikanische Kirche trifft keine Glaubensentscheidungen, dafür baucht es ein Konzil. Wir sind nur Teil der Kirche und nicht die ganze Kirche.

domradio.de: Und wie gehen Sie als Teil der Kirche mit dem Thema um?

Arens: Wir stellen uns die Frage: Ist es eine Änderung des Ehesakramentes, oder eher nicht? Da gibt es Leute, die sehen das in die eine oder in die andere Richtung. Ganz klar: Da gibt es eine sehr scharfe und dringliche Diskussion, weil Leute sagen: "Unsere Lebens-Realität wird von der Kirche nicht gesehen." Und die Diskussion wird in der Anglikanischen Kirche normalerweise etwas offener geführt. Wir sind uns bewusst, dass der Vatikan uns sehr genau beobachtet, wie wir mit den Konflikten umgehen. Am Ende sind diese in allen Kirchen gleich, aber bei uns sind sie vielleicht ein bisschen offener. 

domradio.de:  Unabhängig von diesen Themen: Was erhoffen Sie sich von der Synode für die Kirche in England?

Arens: Die Synode macht was ganz ähnliches wie die vatikanische Synode im letzten Jahr, dass sie sich den Lebensrealitäten der Menschen stellt. Heute Nachmittag hat sie Leute eingeladen, die über ihre Situation berichten. Ein Kollege spricht darüber, wie er seit 26 Jahren in Treue und Liebe mit seinem männlichen Partner zusammenlebt. Die Synode hat sich entschlossen, sich das anzuhören. Sie will sich auch dem stellen, wenn jemand sagt: "Ihr akzeptiert mich nicht und ihr folgt nicht dem Evangelium, wenn ihr uns nicht zuhört." Ich bin gespannt, was das für einen Effekt auf die Synodalen hat.

Das Interview führte Daniel Hauser.

 


Dr. Johannes Arens / © leicestercathedral.org
Dr. Johannes Arens / © leicestercathedral.org
Quelle:
DR