Andrea Nahles über ihre Kirche und ihre Partei

"Kompass für Gerechtigkeitsfragen"

"Frau, gläubig, links" lautet der Titel eines Buches, das die SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles an diesem Donnerstag in Berlin vorgestellt hat. Im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) äußerte sich die 39-jährige Katholikin, die von 1995 bis 1999 Juso-Chefin war, zum Verhältnis von "gläubig" und "links", von Sozialdemokratie und Kirche.

 (DR)

KNA: Frau Nahles, «Frau, gläubig, links». Wie weit ist es von gläubig nach links?

Nahles: Aus meinem Christsein lässt sich mein Kompass für Gerechtigkeitsfragen entwickeln. Und deshalb habe ich mich für die Frage interessiert, was unser Land im Innersten zusammenhält. Im Grunde entstand das linke, das sozialdemokratische Engagement aus meinem Engagement in der katholischen Kirche.

KNA: Aber ein Dorf hinter Mayen vor mehr als 20 Jahren - da war das Engagement einer Messdienerin oder sonntäglichen Kirchgängerin bei der SPD doch sicher nicht selbstverständlich.
Nahles: Überhaupt nicht. Meine Eltern sind ja in der Kirche aktiv, mein Vater leitete damals den Kirchenchor. Anfangs hatten sie Sorge: Wie kommt das an? Bringt das Unruhe ins Dorf? Aber das hat sich alles gut entwickelt. Es hat die Menschen im Dorf geöffnet, dass ich natürlich weiter in die Kirche gegangen bin und das gemeinsame Wertefundament im Dorf nicht völlig verlassen habe.

KNA: Aber die meisten dort engagierten sich sicher eher bei der CDU.
Nahles: Ich bin halt parteipolitisch einen anderen Weg gegangen. Bis heute habe ich einen großen Rückhalt im Dorf. Das zeigen ja schon die Wahlergebnisse. Gerade war ich auf einem Pfarrfest: Da spüre ich, dass die Menschen es gut finden, dass ich so, wie ich in der SPD bin, selbstverständlich auch noch zur Pfarrei Sankt Castor zähle. Das bringen wir im Dorf gut zusammen. Mich hat mehr irritiert, dass ich als Juso-Vorsitzende nie, nicht ein einziges Mal die Frage zu hören bekam, ob ich gläubig sei oder christliche Wurzeln hätte. Alle haben vorausgesetzt, dass dem nicht so sein kann. Weil man immer sagt: Links - da kann ja nur Atheismus dahinter stecken. Als ich im Frühjahr bei der Spätabtreibungs-Debatte im Bundestag Stellung bezogen habe, machte das auch deutlich, dass Christsein nicht an eine politische Richtung gebunden ist.

KNA: Bei diesem Thema engagierten sich christlich gebundene Abgeordnete über Parteigrenzen hinweg. Gehen kirchlich gebundene Parlamentarier anders mit Ihnen um?
Nahles: Nach meiner Rede zum Thema Spätabtreibung kamen Abgeordnete von der CDU, den Grünen, der FDP, der CSU auf mich zu und haben mir ganz ehrlich gesagt, dass sie das nicht von mir erwartet hätten, dass sie sich von meiner Rede am besten ausgedrückt gefühlt hätten oder ich ihre Empfindungen getroffen hätte. Dazu zählten Kollegen, mit denen ich beim Mindestlohn oder in der Frauenpolitik kräftig streiten kann. Das hat mich gerührt. Denn es gibt nur seltene Momente, wo wir das Blockdenken oder das Denken in Parteigrenzen überwinden können.

KNA: Wie würden Sie heute das Verhältnis zwischen der SPD und der katholischen Kirche beschreiben?
Nahles: Neulich war ich im Priesterseminar in Lantershofen. Da kam diese Frage auch auf - das Thema steht also an. In den letzten zehn Jahren, glaube ich, sind wir uns eher in einer Vermeidungshaltung begegnet. Man wollte keinen Krach schlagen bei heiklen Fragen wie dem Abtreibungsthema oder der Rolle der Frauen in der Kirche. Und heute? Ich habe den Eindruck, dass junge Priester in Predigten oder anderen Beiträgen ganz gezielt in einem guten Sinne provozieren und herausfordern. Ihnen begegnen aber momentan noch zu wenig Gesprächspartner. Beide Seiten müssen mehr zusammenkommen und Grundfragen thematisieren. Die Kirche muss sprechfähig bleiben mit Blick auf gesellschaftliche Grundfragen, und die Politik muss sie als Gesprächspartner ernstnehmen.

KNA: Manchmal macht unterschiedliche Sprache den Dialog schwer.
Nahles: Kirche - denken Sie an die Situation in Ostdeutschland - darf nicht nur formelhaft antworten. Ich war neulich im Bonner Münster. Dort haben sie zu den einzelnen Exponaten in der Kirche kleine Erklär-Karten, mit denen die Leute dann rumlaufen konnten. Das ist ein schönes Beispiel dafür, dass man in unserer modernen Zeit regelrechte Übersetzungsarbeit leisten muss.

KNA: Sie sehen dafür Perspektiven?
Nahles: Viele junge Priester scheinen das so zu wollen, ohne sich allerdings anzupassen. Mein Eindruck aus dem Bistum Trier ist, dass sie bereit sind, Auskunft zu geben. Und das sollten wir von politischer Seite, gerade auch von meiner Partei aus nutzen. Darum werde ich mich als Generalsekretärin auch gerne kümmern. Es wäre für beide Seiten wichtig, für die SPD und die anderen Parteien, aber auch für die katholische Kirche, hier wieder einander zu begegnen und - mit oder ohne Erklär-Karte - wenigstens die Brücken zu stabilisieren, die sonst vielleicht wegbrechen.

KNA: Aktuelles Beispiel Finanzkrise. Haben die Kirchen mit ihren Mahnungen die Politik überhaupt erreicht?
Nahles: Von den Kirchen kamen ja schon früh sehr deutliche Worte. Das stand in einer guten Tradition der gemeinsamen ökumenischen Erklärungen und auch der «Politik» von Johannes Paul II. und auch Benedikt XVI. Diese Mahnungen haben uns in der politischen Debatte ermutigt. Aber jetzt - diese Sorge habe ich - darf die Politik das Thema nicht für abgehakt erklären. Es wird doch schon wieder gezockt, das große Casino geht wieder los. Allerdings: Die internationalen Transaktionssteuer, neue Regeln für Rating-Agenturen oder mehr Eigenkapital-Unterlegung, um nur drei Baustellen zu nennen, fehlen noch. Das muss auch die Kirchen umtreiben. Sie müssen nachhaken. Denn die nächste Krise wird sicher kommen. Und die Staaten haben sich so verausgabt - das können sie kein zweites Mal leisten. Und das geht dann an die Substanz unserer Demokratien.

KNA: Der Buchtitel beinhaltet nicht nur gläubig und links, sondern auch gläubig und Frau. Wie erleben Sie diese Aspekte?
Nahles: Gerade als junge Erwachsene habe ich mich manchmal massiv geärgert. Und der Umgang meiner Kirche mit Frauen, ihr Ausschluss vom Amt bleibt für mich ein wunder Punkt. Wie für viele Frauen in der katholischen Kirche. Und das wird weiter Reibungsfläche sein. Aber das ist dennoch kein Grund, aus der Kirche auszutreten. Viele Christen in der Kirche teilen ja meine Position. Es ist gut, dass über diese Frage weiter gesprochen wird, an der Basis, im Zentralkomitee der Katholiken, auch in der Bischofskonferenz. Meinen persönlichen Zugang zu Jesus und zur katholischen Theologie mache ich aber nicht davon abhängig, dass die Kirche derzeit noch nicht alles richtig interpretiert (lacht).

Das Interview führte Christoph Strack.