Amnesty befürchtet Armut für bis zu 90 Millionen Menschen durch weltweite Rezession

Finanzkrise ist Menschenrechtskrise

Die Lage der Menschenrechte wird sich nach Einschätzung von Amnesty International durch die Wirtschaftskrise weiter verschärfen. Die weltweite Rezession werde 50 bis 90 Millionen Menschen zusätzlich in die Armut treiben, sagte der Direktor des Brüsseler EU-Büros der Organisation, Nicolas Beger, bei der Vorstellung des Jahresberichts 2009 am Mittwoch in Berlin. Auch Deutschland hat wieder ein Kapitel in dem Bericht.

 (DR)

Der Report beschreibt die aktuelle Menschenrechtslage in 157 Staaten. Wer Menschenrechtsverletzungen bekämpfen will, müsse die Rechte der Armen schützen und respektieren, betonte Beger. Die Staaten sollten daher mindestens genauso in Menschenrechte investieren wie in Wirtschaftswachstum.

Arm zu sein bedeute, keinen Zugang zu Bildung sowie kaum eine Chance zu haben, sich gegen Gewalt zu wehren. Armut erschwere es zudem, seinem Leben aus eigener Kraft eine andere Richtung zu geben oder vor Gericht sein Recht durchzusetzen. Nach Schätzungen der UN haben derzeit vier Milliarden Menschen keinen Zugang zur Justiz. «Das sind knapp zwei Drittel der Menschheit», sagte Beger.

Auch Deutschland betroffen
In Deutschland werden Menschenrechte insbesondere im Umgang mit Flüchtlingen und Asylsuchenden, aber auch im Rahmen der Terrorismusbekämpfung verletzt, sagte der stellvertretende Generalsekretär der deutschen Amnesty-Sektion, Wolfgang Grenz. Die Praxis von BKA und BND, in anderen Ländern unter Folter erlangte Beweismittel in den Ermittlungen zu verwenden, verstoße grob gegen das gültige absolute Folterverbot.

Auch Abschiebungen von Flüchtlingen in Länder wie Tunesien oder Eritrea, von denen bekannt sei, dass sie foltern und töten, seien mit einem Rechtsstaat unvereinbar, sagte Grenz. Unverantwortlich sei zudem der Umgang der Behörden mit sogenannten Illegalen, die durch die Praxis der Meldepflicht praktisch gesundheitlich nicht versorgt werden können.

In 81 der von Amnesty beobachteten Länder wurde 2008 die Meinungsfreiheit verletzt, darunter auch in den EU-Staaten Bulgarien, Tschechien, Griechenland, Litauen und Lettland. Diese Länder hinderten Homosexuelle systematisch in ihrer freien Meinungsäußerung zum Beispiel durch Verbote des Christopher-Street-Days.

In 50 Ländern wie China, Russland oder Birma befanden sich im vergangenen Jahr Menschen wegen ihrer politischen oder religiösen Überzeugung hinter Gittern. 27 Staaten, darunter auch Deutschland, hätten Menschen auch dann abgeschoben, wenn ihnen in ihrem Heimatland Folter, Verfolgung oder die Todesstrafe drohten. In 24 Ländern seien Menschen gewaltsam aus ihren Wohnungen vertrieben worden, weil die Städte verschönert werden sollten. Beispiele dafür seien Phnom Penh in Kambodscha oder Luanda in Angola.

Ein miserables Zeugnis stellt Amnesty auch den G-20 Ländern aus, «die ja eigentlich die Welt aus der Krise führen sollen», wie Beger sagte. In 19 der Länder, darunter Brasilien, China, die USA, aber auch die EU-Staaten Deutschland, Großbritannien, Frankreich und Italien, würden die Menschenrechte überdurchschnittlich verletzt. 78 Prozent aller Hinrichtungen entfielen auf G-20-Staaten. In neun Staaten gab es illegale Tötungen, in 15 Ländern wurden Menschen gefoltert misshandelt, in 14 Staaten sitzen Menschen lange ohne Prozess in Haft.

Auch die EU-Staaten sind keine menschenrechtlichen Leuchttürme. In zwölf der 26 Mitgliedsstaaten sei es zu Folter und Misshandlung gekommen, in zehn Staaten war missbräuchliche Polizeigewalt zu verzeichnen und 19 EU-Mitglieder gehen nicht menschenrechtskonform mit Flüchtlingen um. Dramatisch ist zudem nach Einschätzung von Amnesty die Situation der Roma in Tschechien, Italien und Ungarn, wo sie systematisch Anfeindungen ausgesetzt seien und diskriminiert würden. «Das trägt zuweilen schon Züge von Apartheid», sagte Beger.