Amerikas Pfadfinderinnen feiern ihr 100-Jähriges

Mehr als Cookie-Verkäuferinnen

Der Engländer Robert Baden-Powell gilt als Begründer der Pfadfinderbewegung. Von ihm inspiriert trug Juliette Gordon Low die Idee nach Amerika – mit nachhaltigem Erfolg: Mehr als drei Millionen Girl Scouts gibt es heute in den USA.

Autor/in:
Ronald Gerste
 (DR)

Die Mall, jene große parkähnliche Achse, die sich durch Amerikas Hauptstadt Washington zieht, hat schon viele Großveranstaltungen erlebt: Partys und Protestzüge und die berühmte "I have a dream"-Rede Martin Luther Kings. Am Samstag steht rund um den Obelisken, das Washington Monument, ein durchweg fröhliches Ereignis an: Mit einer Vielzahl von Aufführungen und Präsentationen, vor allem aber mit viel Live-Musik feiern die US-amerikanischen Pfadfinderinnen, die Girl Scouts, ihr 100-jähriges Bestehen.



Die Festivitäten stehen unter dem Motto "Girl Scouts Rock the Mall" und versprechen dezibelstarken und auch multikulturellen Frohsinn. Denn die Organisation legt Wert darauf, ein Spiegelbild der amerikanischen Gesellschaft mit ihrem hohen Anteil von Einwanderern zu sein. Die offizielle Hymne der Girl Scouts wird von der zwölfjährigen Ani Hesse gesungen, die in Guatemala zur Welt kam.



Mit 18 Mädchen geht es los

Die Geschichte der Organisation, die etwas jünger ist als die in Großbritannien entstandenen Boy Scouts, begann mit Juliette Gordon Low, einer aus Savannah im Bundesstaat Georgia stammenden, hörbehinderten Frau, die vor dem Ersten Weltkrieg ausgedehnte Reisen unternahm und bei einem England-Aufenthalt 1911 Sir Robert Baden-Powell, den Gründer der Pfadfinderbewegung, kennenlernte.



Soziale Anliegen hatten sie schon länger bewegt: im Spanisch-Amerikanischen Krieg von 1898 hatte sie die Gründung eines Hospitals für vom Kriegsschauplatz in Kuba heimkehrende Verwundete organisiert. Am 12. März 1912 versammelte sie in Savannah die ersten



18 Mädchen, mit der sie die Keimzelle der Girl Scouts gründete. Ihr Ziel war es, den Teenagern und auch Jüngeren die Gelegenheit zu geben, im Kontakt mit Gleichaltrigen und oft in freier Natur - und also außerhalb manchmal beengter familiär Verhältnisse - Selbstvertrauen zu gewinnen.



Sich für andere einzusetzen, auch gemeinnützige Arbeit zu verrichten, wurde Teil des Selbstverständnisses; ebenso wie die damals nicht selbstverständliche Vorbereitung vieler ihrer Schützlinge auf ein Berufsleben, mit dem die um 1920 zunehmend ins Wanken geratende traditionelle Rolle der Frau dank einer guten Ausbildung endgültig überwunden werden konnte. Und noch etwas war neu an den Girl Scouts: Mädchen mit Behinderungen, sonst von öffentlichen Aktivitäten weitgehend ausgeschlossen, waren praktisch vom ersten Tag an willkommen.



Heute: 59 Millionen waren mal Pfadfinderinnen

Nach Juliette Gordon Laws Krebstod 1927 gründeten Freunde eine Stiftung in ihrem Namen, mit deren Mitteln die Girl Scouts noch heute weltweite Hilfsprojekte finanzieren. US-Präsident Ronald Reagan (1981-1989) unterzeichnete 1983 einen Erlass, mit dem ein neues Regierungsgebäude in Savannah nach ihr benannt wurde: erst das zweite seiner Art landesweit, das den Namen einer Frau trug.



Heute hat ihre Organisation 3,2 Millionen Mitglieder. 59 Millionen Amerikanerinnen sind "Alumnae", waren also in ihrer Jugendzeit bei den Girl Scouts aktiv. Die wichtigsten Aufgaben der Organisation sind - jenseits von Spaß mit Gleichaltrigen und dem Knüpfen von manchmal lebenslangen Freundschaften - gesellschaftspolitische Anliegen.



So etwa ein gesunder Lebensstil für Mädchen, wozu neben einer Ernährung, die die in den USA weit verbreitete Fettsucht verhindert, auch ein guter Umgang mit Aggressionen in Beziehungen gehört. Zugang und Verständnis von Mädchen für Wissenschaft und Technologie soll gefördert werden; Mädchen aus benachteiligten Gemeinden werden unterstützt. Das Credo der Organisation lautet, ganz im Sinne ihrer Gründerin: "Seid ehrlich und fair, mutig und stark, benutzt Ressourcen umsichtig, respektiert euch selbst und andere. Und macht die Welt zu einem besseren Ort."