Amerikas evangelikale Rechte hat jetzt eine neue Titelfigur

"Christlicher Nationalismus im Maßanzug"

Der christliche Nationalismus in den USA hat mit Mike Johnson eine neue Titelfigur. Der an die Spitze des US-Kongresses aufgestiegene evangelikale Staatsrechtler aus Louisiana ist kein Haudrauf-Politiker. Er wirkt lieber im Stillen.

Autor/in:
Thomas Spang
Mike Johnson, Sprecher des US-Repräsentantenhauses, trifft sich vor einer entscheidenden Abstimmung über die Verlängerung der Haushaltsmittel, eine Maßnahme, die vom harten rechten Flügel seiner Partei nicht unterstützt wird, am 14.11.2023 mit Reportern im Kapitol.  / © J. Scott Applewhite/AP/dpa +++ dpa-Bildfunk +++ (dpa)
Mike Johnson, Sprecher des US-Repräsentantenhauses, trifft sich vor einer entscheidenden Abstimmung über die Verlängerung der Haushaltsmittel, eine Maßnahme, die vom harten rechten Flügel seiner Partei nicht unterstützt wird, am 14.11.2023 mit Reportern im Kapitol. / © J. Scott Applewhite/AP/dpa +++ dpa-Bildfunk +++ ( dpa )

Mike Johnson hat ein eigenwilliges Verständnis der frühen US-Geschichte. Christoph Kolumbus habe "den Menschen das Evangelium gebracht", dozierte der junge Kongressabgeordnete in der First Baptist Church von Haughton im Südstaat Louisiana.

"Heute würden wir Kolumbus als einen Evangelikalen bezeichnen." Ergo seien die USA eine "christliche Nation". Johnson sei nicht nur ein bibeltreuer Mann, meint Robert P. Jones, Präsident des Public Religion Research Institute.

Der neue Sprecher des US-Repräsentantenhauses und somit zweiter in der Nachfolge des US-Präsidenten verkörpere "den weißen, christlichen Nationalismus im Maßanzug". Diese Auszeichnung habe sich Johnson mit seinem eigenen Verständnis von Kirche und Staat verdient.

"Die Gründer der Verfassung wollten die Kirche vor dem Staat schützen, nicht umgekehrt", so Johnson noch im April vor dem Repräsentantenhaus.

Mike Johnson wirkt lieber im Stillen

Die Regierung sei deshalb in keiner Weise daran gehindert, "religiöse Überzeugungen zu unterstützen." Damit vertritt der studierte Staatsrechtler eine Minderheitsposition.

Dass sich der mild wirkende "Speaker" bisweilen extrem positioniert, stellte er bereits unter Beweis.

Mike Johnson, Sprecher des US-Repräsentantenhauses, beantwortet während seinem Treffen mit Reportern im Kapitol am 14.11. 2023 Fragen. Er steht vor einer entscheidenden Abstimmung über die Verlängerung der Haushaltsmittel, eine Maßnahme, die vom harten rechten Flügel seiner Partei nicht unterstützt wird.  / ©  J. Scott Applewhite/AP/dpa +++ dpa-Bildfunk +++ (dpa)
Mike Johnson, Sprecher des US-Repräsentantenhauses, beantwortet während seinem Treffen mit Reportern im Kapitol am 14.11. 2023 Fragen. Er steht vor einer entscheidenden Abstimmung über die Verlängerung der Haushaltsmittel, eine Maßnahme, die vom harten rechten Flügel seiner Partei nicht unterstützt wird. / © J. Scott Applewhite/AP/dpa +++ dpa-Bildfunk +++ ( dpa )

Während sein Mentor und Förderer, der Rechtsaußen Jim Jordan, als verlängerter Arm Donald Trumps im Kongress die "große Lüge" von den angeblich gestohlenen Wahlen 2020 verbreitete, wirkte Johnson im Stillen.

Er trug scheinbar rationale Argumente für die Anfechtung der Präsidentschaftswahl-Ergebnisse zusammen. Der Kolumnist David French macht bei dem Architekten der Anfechtung im Kongress eine "Rücksichtslosigkeit" aus, die exemplarisch für den Aufstieg des christlichen Nationalismus unter den Evangelikalen stehe.

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Hinter der staatstragenden Fassade Johnsons verstecken sich gesellschaftspolitische Positionen, die auch bei den Republikanern nicht mehr mehrheitsfähig sind.

So versuchte er, das Urteil des Obersten Gerichts zur gleichgeschlechtlichen Ehe im Kongress zu unterminieren.

Angefeuert wird er dabei von seiner Frau Kelly, die mit einem "Beratungsdienst" Geld verdient, der hilft, aus Homosexuellen Heteros zu machen. Aus ihrer Sicht ist homosexueller Geschlechtsverkehr mit Sodomie und Inzest gleichzusetzen.

So sieht es wohl auch Johnson, der sich vehement für eine nationale Version des "Don't Say Gay"-Gesetzes von Florida einsetzt. Damit wäre es Schulen überall in den USA verboten, Kinder unter zehn Jahren mit LGBTQ-Themen zu konfrontieren.

Auch ein landesweites Abtreibungsverbot gehört zu seinen Forderungen

Solche Initiativen gehören zum Standard-Repertoire der Organisation, für die Johnson vor seiner erstmaligen Wahl ins Repräsentantenhaus 2016 arbeitete.

Johnson war als Sprecher für "Alliance Defending Freedom" tätig, die von Kritikern als Hassorganisation eingestuft wird.

Mike Johnson, Vorsitzender des US-Repräsentantenhauses, Hakeem Jeffries, Minderheitsführer des Repräsentantenhauses, Chuck Schumer, Mehrheitsführer im Senat, und Senator Joni Ernst reichen sich auf der National Mall am 14.11.2023 in Washington die Hände / © Mark Schiefelbein/AP (dpa)
Mike Johnson, Vorsitzender des US-Repräsentantenhauses, Hakeem Jeffries, Minderheitsführer des Repräsentantenhauses, Chuck Schumer, Mehrheitsführer im Senat, und Senator Joni Ernst reichen sich auf der National Mall am 14.11.2023 in Washington die Hände / © Mark Schiefelbein/AP ( dpa )

Der Republikaner hatte in der Vergangenheit Schwangerschaftsabbrüche wiederholt als "Holocaust" an Ungeborenen bezeichnet.

Im Repräsentantenhaus unterstützte er drei chancenlose Gesetzentwürfe, die auf ein landesweites Abtreibungsverbot abzielten.

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Mit seinen Positionen zur Entstehung der Erde gibt Johnson überdies eine Nähe zum christlichen Fundamentalismus zu erkennen, der die Bibel wörtlich auslegt.

Er arbeitete etwa mit der Organisation "Answers in Genesis" zusammen, die behauptet, das Universum sei 6.000 Jahre alt.

Die Liberty University in Virginia, so etwas wie die Kaderschmiede der fundamentalistischen Evangelikalen, heuerte Johnson 2019 als Dozent an. Dafür zahlt ihm die Hochschule jährlich 30.000 Dollar.

Ein nennenswertes Vermögen habe er trotz solcher Nebeneinkünfte nicht, versichert Johnson. Er sei ein "Mann bescheidener Herkunft".

Einfluss der Evangelikalen schwindet und wächst zugleich

Sein beachtlicher politischer Aufstieg wirkt für viele Beobachter paradox. Während der Einfluss der Evangelikalen in der Gesellschaft insgesamt schwinde, so der Politologe Ryan Burge, "wächst er in der republikanischen Wählerschaft".

Rechte Christen in den USA / © Ben Von Klemperer (shutterstock)
Rechte Christen in den USA / © Ben Von Klemperer ( shutterstock )

Und seit Donald Trumps Einstieg ins politische Geschäft gewann der christliche Nationalismus zusehends an Bedeutung.

Insofern bestätigt die Wahl Johnsons an die Kongressspitze einen Trend innerhalb der Republikaner, der schon länger zurückreicht.

Wurzeln der evangelikalen Bewegung

Die evangelikale Bewegung hat ihre Wurzeln im Pietismus und Methodismus sowie in der deutschen Erweckungsbewegung des 19. Jahrhunderts, für die etwa Ludwig Hofacker in Württemberg und Johann Hinrich Wichern in Hamburg stehen. Vorläufer der heutigen Organisationsvielfalt im evangelikalen Bereich sind Bibel- und Missionsgesellschaften, die Christlichen Vereine Junger Männer und Frauen sowie die evangelischen Gemeinschaften, die sich 1888 in Gnadau bei Magdeburg zu einer ersten Pfingstkonferenz versammelten. Einen Schub erlebte die evangelikale Bewegung in der zweiten Hälfte des 20.

Symbolbild: Gottesdienst einer evangelikalen Glaubensgemeinschaft / © Paul shuang (shutterstock)
Symbolbild: Gottesdienst einer evangelikalen Glaubensgemeinschaft / © Paul shuang ( shutterstock )
Quelle:
KNA