Am Internationalen Tag der Behinderung bietet der Arbeitsmarkt traurige Zahlen

Die Diskriminierten

In Deutschland leben fast zehn Millionen Menschen mit anerkannter Behinderung. Viele werden diskriminiert: Während die allgemeine Arbeitslosigkeit seit Monaten sinkt, steigt sie bei den Schwerbehinderten stetig an. Die Arbeitsagentur im hessischen Wetzlar will deshalb mit gutem Beispiel vorangehen.

Autor/in:
Stefanie Walter
 (DR)

Für Barbara Muskatewitz lief die Arbeitssuche ausgesprochen schlecht: Zwei Jahre war die gelernte Reiseverkehrskauffrau und studierte Touristikfachwirtin arbeitslos. "Ich habe jede Menge Bewerbungen geschrieben", erzählt die 44-Jährige. Doch das Bewerberprofil passe nicht, hieß oft lapidar in den Absagen der Firmen. Der wahre Grund dürfte ein anderer sein: Muskatewitz ist seit der Geburt stark sehbehindert. Jetzt hat sie endlich einen Job gefunden, bei der Wetzlarer Agentur für Arbeit.



Dort möchte man nämlich etwas ausprobieren. Die Agentur hat in ihrem Service-Center sechs schwerbehinderte Arbeitnehmer eingestellt. Die Agentur will Vorbild sein, Mut machen, zeigen, dass die Behinderten die gleiche Arbeit leisten können wie andere Beschäftigte.



Fachkräftemangel ändert Situation

Während die allgemeine Arbeitslosigkeit zwischen August 2009 und Mitte dieses Jahres um 15 Prozent sank, erhöhte sie sich bei den Schwerbehinderten um 7,6 Prozent, stellte der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) in einer kürzlich veröffentlichten Studie fest. "Viele setzen Schwerbehinderung noch immer gleich mit weniger Leistungsfähigkeit", erklärt der Verfasser der Studie, Wilhelm Adamy.



"In der Vergangenheit waren die Unternehmen gewohnt, dass sie unter einem Heer von Arbeitslosen auswählen konnten", sagt Adamy. Wegen des Fachkräftemangels wird es sich die Wirtschaft allerdings künftig nicht mehr leisten können, auf die oft gut ausgebildeten Schwerbehinderten zu verzichten, sagt Frank Martin, Leiter der Regionaldirektion Hessen der Bundesagentur für Arbeit. "Wir haben in einigen Bereichen und Regionen schon jetzt Probleme, die Arbeitsplätze so zu besetzen, wie die Unternehmen sich das wünschen."



Firmen erhalten finanzielle Hilfen

Laura Eva Zimmer fand nach der Schule sofort eine Ausbildungsstelle als Bürokauffrau. Als die Firma sie anschließend nicht übernehmen konnte, schrieb sie Dutzende Bewerbungen. "Von manchen Firmen, die absagten, war ich schon enttäuscht", erzählt die 20-Jährige, die seit einem Verkehrsunfall im Rollstuhl sitzt.



Miriam Löber zeigte sich bei der Arbeitssuche flexibel. Die 29-jährige Fremdsprachensekretärin zog sogar von Marburg nach München, weil sie dort bessere Chancen vermutete. Sie suchte auch in Köln und Frankfurt - vergeblich, denn sie ist sehbehindert.



Dabei bekommen Firmen, die Schwerbehinderte einstellen, viele finanzielle Hilfen. Allein in Hessen stehen dafür 170 Millionen Euro pro Jahr bereit. Doch die meisten Firmen kaufen sich über die sogenannte Ausgleichsabgabe frei: Sie zahlen lieber die Abgabe, als die vorgeschriebene Zahl von Schwerbehinderten zu beschäftigen. Diese Abgabe müsse erhöht werden, fordert Adamy, um den Solidarausgleich zwischen den Unternehmen zu stärken. Außerdem könnten Arbeitsagentur und Arbeitgeber mehr für die Einstellung von Schwerbehinderten werben.



Arbeiten sie erst einmal im Betrieb, zeigt sich nämlich oft, wie einfach alles geht. Anfangs müssten die Chefs vielleicht etwas mehr Zeit investieren, um die Behinderten einzuarbeiten, sagt Martin, und auch das eine oder andere technische Gerät zusätzlich anschaffen. Die sechs Neuen in der Wetzlarer Arbeitsagentur bekamen zunächst Kollegen als Paten an die Seite gestellt. Sie können die Schrift am Bildschirm vergrößern, einer benutzt zwei Bildschirme parallel.



Doch schon jetzt arbeiten sie selbstständig. Laura Eva Zimmer ist glücklich über den Job: "Die Kollegen nahmen mich auf, als ob ich schon Jahre hier arbeite", freut sich die 20-Jährige: "Ich bekam gleich einen Parkplatz, und die Kollegen fragten, ob ich Hilfe bei den Türen benötige. Das brauche ich aber nicht."