"Alternativer Nobelpreis" für Sima Samar

Eine afghanische Ärztin trotzt den Taliban

Täglich riskiert Sima Samar ihr Leben in einem der gefährlichsten Länder der Welt. Für ihren Einsatz für Menschenrechte, besonders für die Rechte der Frauen, erhält sie im Ausland viel Anerkennung - und in Afghanistan Todesdrohungen.

Autor/in:
Agnes Tandler
 (DR)

Ihr Job ist schwierig und gefährlich. Doch Sima Samar ist keine Frau, die sich einfach abschrecken lässt. Die 55-jährige Ärztin leitet die unabhängige Menschenrechtskommission in Afghanistan - einem Land, in dem Rechte und Freiheiten oft wenig bedeuten. Für ihren Mut und ihre Beharrlichkeit ist Samar nun mit dem "Alternativen Nobelpreis" ausgezeichnet worden.



Seit der Westen einen Teilabzug der NATO-Truppen im vergangenen Jahr ankündigte, wächst die Angst vor der Rückkehr der radikal-islamischen Taliban. Aber schon jetzt kümmert sich die Menschenrechtskommission um die existenziellen Nöte der Menschen. Ganz oben steht der Schutz vor Gewalt und Hilfe für die Armen. Eindringlich appelliert die Kommission an alle bewaffneten Gruppen, die Zivilbevölkerung zu schonen.



Für die Rechte der Frauen

Wie kaum eine andere Persönlichkeit steht Samar für die Rechte der Frauen und der ethnischen Minderheiten in dem von Krieg und Konflikt zerrütteten Land. Die doppelte Diskriminierung kennt sie aus eigener Erfahrung. Samar gehört zu den Hasara, einer in Afghanistan unterdrückten ethnischen Gruppe, die auf fünf bis zehn Millionen Menschen geschätzt wird. Die Hasara sind schiitische Muslime, anders als die Mehrheit der Afghanen, die Sunniten sind.



Samar studierte Medizin an der Universität Kabul und machte dort 1982 ihr Examen - als erste Hasara-Frau überhaupt. Zwei Jahre später verhaftete das damalige kommunistische Regime in Kabul ihren Ehemann. Die junge Ärztin musste um ihr Leben bangen und floh mit ihrem kleinen Sohn nach Pakistan. Ihren Mann sah sie nie wieder. Er gilt als verschollen.



Alphabetisierung und Nahrung

Entsetzt von den hygienischen und medizinischen Zuständen in den Flüchtlingslagern in Pakistan begann Samar, sich um die Versorgung der afghanischen Flüchtlinge zu kümmern. Sie gründete 1989 Shuhada, eine Organisation, die Kliniken für Frauen und Kinder einrichtet und medizinische Helfer ausbildet. Später baute die Ärztin auch Kliniken auf afghanischem Boden auf. Sie reiste zwischen Pakistan und Afghanistan hin und her, organisierte Alphabetisierungsprogramme für Frauen und Mädchen und kümmerte sich um Nahrungsmittel und Sauberkeit.



Sie trotzte mit ihrer Arbeit dem in Kabul herrschenden Taliban-Regime, das den Frauen alle Tätigkeiten außerhalb ihres Hauses verboten hatte. "Ich war schon immer in Gefahr und es macht mir nichts aus", erklärte sie stets entschlossen.



   2002 kehrte sie in ihre Heimat zurück. Nach dem Sturz der Taliban bot ihr Afghanistans Präsident Hamid Karsai bot ihr an, ein Frauenministerium aufzubauen. Doch Samars Ausflug in die Politik währte nur kurz. Sie erhielt Todesdrohungen und wurde wegen ihrer Ablehnung des konservativ-religiösen Scharia-Gesetzes belästigt und kritisiert. Sie reichte ihren Rücktritt ein.



   Ihr Engagement für die Frauen und Minderheiten führt sie weiter.

Auch als Leiterin der Menschenrechtskommission eckt sie an und muss sich gegen Schmutzkampagnen wehren: Der Parlamentarier Najibullah Kubil beschuldigt sie 2009, Bestechungsgelder anzunehmen und einen Sex-Handel mit afghanischen Witwen zu organisieren.



Samar gilt als scharfe Kritikerin der radikal-islamischen Extremisten: "Die Taliban haben die Frauen um 100 Jahre zurückgeworfen", klagt sie. Die Medizinerin ist eine entschiedene Gegnerin der Burka, des Ganzkörperschleiers, den unter den Taliban alle Frauen in Afghanistan tragen mussten. Die Burka sei ein Gefängnis für die Frauen, sagt sie.



Auch vom rein medizinischen Standpunkt her lehnt Samar die Burka ab. Weil verschleierte Frauen weniger Sonnenlicht bekommen, produziert ihr Körper weniger Vitamin D, daher leiden viele an Knochenerweichung.



Samar ist mit zahlreichen internationalen Auszeichnungen geehrt worden. Sie wurde mehrmals für den Friedensnobelpreis nominiert. "Die chronische Situation in Afghanistan erfordert ein langfristiges Engagement", sagte die Ärztin. Es sieht nicht aus, als würde es einfacher.



Die "Alternativen Nobelpreise" gehen in diesem Jahr außerdem an einen türkischen Umweltschützer, einen US-amerikanischen Friedensaktivisten und eine Anti-Waffenkampagne aus Großbritannien. Die vier Preisträger zeigten die unverzichtbaren Bedingungen für Frieden und Sicherheit auf der Welt, teilte die Right-Livelihood-Stiftung am Donnerstag in Stockholm mit. Dazu gehörten erfolgreicher gewaltloser Widerstand, Frauenrechte und die Erhaltung der Umwelt.



Der Türke Hayrettin Karaca erhalte den undotierten Preis für seinen lebenslangen und unermüdlichen Einsatz für die Natur. Dafür habe der 90-Jährige erfolgreiche unternehmerische Tätigkeit mit wirkungsvollem Umweltaktivismus kombiniert. Der 90-Jährige gilt als der Großvater der türkischen Umweltbewegung. Er war Mitbegründer der Umweltstiftung TEMA, einer mittlerweile landesweiten Bewegung zum Schutz der Ökosysteme.



Die anderen drei ausgezeichneten Persönlichkeiten teilen sich ein Preisgeld in Höhe von 150.000 Euro. Der US-Amerikaner Gene Sharp wird für die von ihm entwickelten Strategien und Handlungsanweisungen für gewaltlosen Widerstand prämiert. Der 84-Jährige sei der weltweit bekannteste Experte auf dem Gebiet. Der Politikwissenschaftler habe diesem Engagement sein gesamtes akademisches Leben gewidmet. Seine Ideen seien von sozialen Bewegungen in der ganzen Welt übernommen worden, wie im arabischen Frühling, in Birma und Serbien. Er ist in diesem Jahr für den Friedensnobelpreis nominiert, der am 12. Oktober bekanntgegeben wird.



Die britische "Kampagne gegen Waffenhandel" (CAAT) wird für ihre innovativen und wirkungsvollen Kampagnen ausgezeichnet. Seit 1974 setzten sich die Mitglieder für die Einstellung britischer Waffenexporte ein. Durch ihre Öffentlichkeitsarbeit habe Großbritannien die Subventionen für Waffenhersteller eingeschränkt. "CAAT hat die Korruption, die Scheinheiligkeit und die tödlichen Konsequenzen dieser Geschäfte deutlich gemacht."



Die als "Alternative Nobelpreise" bezeichneten Right Livelihood Awards wurden 1980 von dem Deutsch-Schweden Jakob von Uexküll ins Leben gerufen. Sie sollen Persönlichkeiten zukommen, "die praktische und beispielhafte Antworten zu den dringendsten Herausforderungen unserer Zeit finden und erfolgreich umsetzen". Der Preis wird heute von privaten Spendern finanziert. Die Verleihung findet traditionell Anfang Dezember im schwedischen Reichstag statt.