DOMRADIO.DE: An Allerheiligen und Allerseelen gehen die Menschen auf den Friedhof und zünden auf den Gräbern ihrer Angehörigen eine Kerze an oder schmücken sie mit Blumen. Das sind im Verlauf des Jahres noch einmal ganz besondere Tage, an denen – wie es der Name schon sagt – aller Heiligen gedacht wird, sich viele Menschen aber vor allem auch – mehr als zu anderen Zeiten – an ihre schmerzlich vermissten Verstorbenen erinnern. Was bedeutet Totengedenken für uns Christen?
Thomas Taxacher (Leitender Pfarrer der Pastoralen Einheit Altenberg): Dass wir uns an die Menschen erinnern, die uns im Glauben und auch im Leben Vorbild waren und dass wir auch weiterhin mit ihnen verbunden sind, weil wir glauben, dass sie eine Zukunft im Himmel und einen Platz bei Gott haben – wie auch immer das aussehen mag. Mit unserem Gedenken zeigen wir, dass die Verbindung nicht abreißt und Liebe stärker ist als der Tod. Im Johannesevangelium sagt Jesus: "Ich gehe zu meinem Vater und zu eurem Vater, zu meinem Gott und zu eurem Gott. Und wenn ich wiederkomme, hole ich euch zu mir, damit auch ihr dort seid, wo ich bin." Diese Zusage, dass Jesus uns einen Platz im Himmel verspricht, dass wir eine Zukunft haben und alles, was uns ausmacht, bei Gott aufgehoben ist, finde ich sehr tröstlich.
Totengedenken heißt, ich bin von Gott geliebt, und diese Liebe hört niemals auf. Sie ist mir als unbedingte Liebe zugesagt. Jesus Christus ist für uns gestorben, um uns zum Vater zu führen. Er begegnet seinen Freunden als der Lebendige, und er lässt sich berühren. Er teilt mit ihnen, hört ihnen zu, er tröstet sie und macht ihnen in seinen "Ich-bin-Worten" klare Zusagen: "Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben", "Ich bin die Tür", "Ich bin der gute Hirte, der euch führt" – das sind Bilder, die auf ihn hinweisen, die von einer Zukunft sprechen, die er verheißen hat. Und: Wir brauchen uns nicht zu fürchten. Jesus verspricht: "Ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt. Du brauchst keine Angst zu haben, ich bin an deiner Seite." Diesen Trost finden wir sowohl im Alten als auch im Neuen Testament: Wer auf Gott vertraut, dem widerfährt kein Unheil.
Mir persönlich ist das Psalmwort "Der Herr ist mein Licht und mein Heil, vor wem sollte ich mich fürchten, vor wem sollte mir bangen" ganz wichtig. Denn das heißt für mich: Wenn ich mich an Gott festmache, kann mir nichts geschehen – weder im Leben noch im Tod.
DOMRADIO.DE: Für viele ist der Besuch am Grab Teil ihrer religiösen Praxis oder zumindest doch eine liebgewordene Gewohnheit. Totengedenken gehört zur christlichen Kultur, selbst wenn man nicht besonders gläubig ist. Was genau aber feiert die Kirche am Hochfest Allerheiligen?
Taxacher: Die Menschen, die uns schon vorausgegangen und jetzt bei Gott sind: die Heiligen, die in ihrem Leben in besonderer Weise die Liebe Gottes verkörpert haben, oder auch die Märtyrer, die für ihren Glauben gestorben sind. Allerheiligen ist ein sehr altes Fest, das auch unsere Zukunft feiert: dass die Menschen, die für ihren Glauben gestorben sind – die Märtyrer oder die Heiligen der Nächstenliebe wie der Heilige Martin, die Heilige Elisabeth, die Heiligen Cassius oder Florentius, die Heilige Katharina oder die Heilige Margareta – bei Gott sind. In der Liturgie hören wir an diesem Tag das Evangelium der Seligpreisungen, da heißt es am Schluss: "Freut euch und jubelt, euer Lohn im Himmel wird groß sein." Das feiern wir: dass die Menschen, die ihr Leben mit anderen geteilt, sich für sie aufgeopfert haben und für ihren Glauben gestorben sind, dafür belohnt werden, jetzt im Himmel sind und bei Gott als Fürsprecher, als Freunde im Himmel, für uns eintreten.
An Allerseelen wiederum – ein Fest, das im zehnten Jahrhundert in Cluny entstanden ist – beten wir für die Seelen unserer Verstorbenen: dass es ihnen gut geht und sie aufgehoben sind bei Gott und sie – trotz ihrer Schattenseiten – ihren Weg zu ihm finden.
DOMRADIO.DE: Friedhöfe haben oft etwas Mystisches an sich und laden, zumal wenn es sich um weitläufige Parkanlagen wie in Köln handelt, zu Spaziergängen ein, aber auch fast zwangsläufig zu der Auseinandersetzung mit den letzten Fragen; Themen, die wir gerne verdrängen, obwohl Sterben und Tod für den christlichen Glauben doch sehr zentral sind. Welche Chance liegt in solchen Feiertagen?
Taxacher: Zum einen für uns Seelsorger, mit trauernden Angehörigen, die in diesem Jahr einen geliebten Menschen verloren haben, in Kontakt zu kommen – aber auch mit denjenigen, die von außen kommen, vielleicht gar nicht mehr am Ort wohnen, aber an den Tagen Allerheiligen und Allerseelen die Grabstätte eines geliebten Menschen aufsuchen. Ich lade immer auch zu persönlichen Gräbersegnungen ein, so dass es oft zu kurzen, aber intensiven Gesprächen kommt: meist über das Leben desjenigen, der dort begraben liegt. Diese persönlichen Begegnungen, aber auch das gemeinsame Gebet am Grab betrachte ich als Chance, von der christlichen Auferstehung zu sprechen und Hoffnung zu schenken. Darüber hinaus bietet dieser Feiertag die Gelegenheit, sich auch noch einmal mit der eigenen Endlichkeit konfrontieren zu lassen, auf die letzten Fragen gestoßen zu werden und darüber nachzudenken: Wie gestalte eigentlich ich mein Leben? Was ist wirklich wichtig? Oder: Wie kann ich manches auch noch korrigieren und anders, besser machen?
DOMRADIO.DE: Für die ältere Generation spielten noch Begriffe wie "Fegefeuer" und "Hölle" im Kontext von Sterben und Tod eine Rolle. Warum kommt solches Denken bei uns heute kaum noch vor, wo wir doch gerade um uns herum ganz konkret die "Hölle auf Erden" erleben? Inwiefern hat sich da die Pastoral verändert?
Taxacher: In der Tat kenne ich noch viele ältere Menschen, die eine "Höllenangst" vor dem Tod haben oder auch vor dem Sterben, wenn sie auf ihr Leben zurückschauen, gerade wenn sie als Kind noch von diesem strafenden Gott gehört haben. Dahinter steckt doch die Frage, die am Ende des Lebens jeden mehr oder weniger beschäftigt: Wo werde ich einmal sein, wie geht es weiter, und geht es überhaupt weiter? – ohne dass eine solche Reflektion heute noch Fegefeuer und Hölle genannt würde. Vielleicht kann man sich das "Fegefeuer" als eine Art Läuterungsprozess im Angesicht Gottes vorstellen. Denn "Scheol" ist der hebräische Begriff für "Totenreich" oder auch "Hölle" und bezeichnet den Ort, der am weitesten von Gott entfernt ist.
Wenn ich aber daran glaube, dass Gott mir nachgeht, mir seine Liebe bedingungslos zugesagt ist und ich nichts dafür leisten muss, kommt mir persönlich am ehesten in diesem Kontext das Gleichnis vom barmherzigen Vater in den Sinn, der auf den Sohn wartet, ihm entgegengeht und ihn mit offenen Armen empfängt, ohne ihm Vorwürfe zu machen. Von daher ist mir dieses Bild sehr viel näher und auch die Verkündigung eines barmherzigen, zugewandten, liebenden und verzeihenden Gott – und nicht die eines strafenden. Da hat sich unser Denken inzwischen zum Glück doch stark verändert.
Dennoch hat Gott jedem Menschen die Freiheit geschenkt, sich auch gegen ihn zu entscheiden, was Gott auch akzeptiert. Ob ich diese Ablehnung nun als Fegefeuer, Hölle oder einen Ort der Gottesferne bezeichne – Gott ist dennoch immer da. Er ist geduldig, wartet auf mich und kommt mir entgegen – selbst wenn ich noch nicht soweit bin, mich auf ihn einzulassen.
DOMRADIO.DE: Die familiären Netzwerke werden zunehmend brüchiger. Wie muss eine zeitgemäße Seelsorge aussehen – gerade angesichts immer weniger zur Verfügung stehender Hauptamtlicher – um Menschen in ihrer Trauer beizustehen?
Taxacher: Es gibt Gemeinden, in denen Ehrenamtliche ein Trauercafé auf einem Friedhof anbieten oder überhaupt besondere Formen der Trauerbegleitung. Auch in unserer Gemeinde haben wir im letzten Jahr zu einem "Abend der Erinnerung" eingeladen, der mit Musik und Texten ganz besonders gestaltet war und zu dem wir ganz bewusst Menschen angeschrieben haben, die im vergangenen Jahr einen Verlust erlitten haben. Das wollen wir in diesem Jahr wiederholen, weil ich da einen großen Bedarf sehe und vielen Gemeindemitgliedern gerade dieses Engagement sehr am Herzen liegt.
Sterbenden beizustehen und Trauernde zu trösten gehört zu den sieben Werken der Barmherzigkeit; und hier aktiv zu werden, im wahrsten Sinne des Wortes barmherzig zu sein – mitfühlend und zugewandt – ist ein Auftrag, der an alle ergeht: an die Haupt- und an die Ehrenamtlichen.
Als ich meinen Zivildienst in einem Altenheim absolviert habe, gab es dort eigens eine Gruppe von Ehrenamtlichen, die Sterbewachen übernommen haben – gerade auch wenn es keine Angehörigen mehr gab. Nach diesem Vorbild wollen wir das Thema auch in unserer Gemeinde wach halten, zumal es nach meinem Verständnis eben nicht nur ein Dienst der Hauptamtlichen ist, sondern alle Getauften und Gefirmten hier in der Verantwortung stehen.
In immer größer werdenden pastoralen Einheiten und angesichts immer weniger Seelsorgerinnen und Seelsorger ist es wichtiger denn je, dass sich alle zu einem solchen Dienst in der Gemeinde zusammentun und ihre Charismen zum Wohl der Gemeinschaft einsetzen, ihre Ideen einbringen und für den Nächsten – bis zum Ende – einstehen.
Das Interview führte Beatrice Tomasetti.