Als Honecker und Co vor 25 Jahren mit einem Staatsakt dem Reformator gedenken wollten

Die Luther-Farce

Vor 25 Jahren jährte sich der Geburtstag Martin Luthers zum 500. Mal. Mit einem Staatsakt wollte die DDR-Führung damals dokumentieren, dass Reformation und Reformator zum Nationalbewusstsein des Landes gehören. Eine Farce. Der Alltag für Christen war alles andere als leicht.

Autor/in:
Thomas Bickelhaupt
 (DR)

Die Protokollabteilung der SED-Führung hatte nichts dem Zufall überlassen. Blumen für Partei- und Staatschef Erich Honecker waren ebenso bestellt wie Jagdhornbläser, die dem höchsten DDR-Repräsentanten am 21. April 1983 auf der Wartburg ein zünftiges Willkommen bereiteten. Durch ein Spalier von Eisenachern führte ihn der Weg in den Palas zum Festakt mit Vertretern von Staat und evangelischer Kirche.

Als Wiedereröffnung der Wartburg nach mehrjähriger Restaurierung wurde das Ereignis 1983 in den DDR-Medien verkauft. Doch die Burg sei nie geschlossen gewesen, betont die Leiterin der Wartburgstiftung, Jutta Krauß: "Die Arbeiten wurden bei ununterbrochenem Besucherbetrieb ausgeführt." Sie galten vor allem dem Palas als dem ältesten Teil der Burg, die ansonsten von der Burgenromantik des 19. Jahrhunderts geprägt ist.

Zwischen 1979 und 1983 seien mittelalterliche Teile des romanischen Saalbaus ebenso restauriert worden wie die spätere Innenausstattung, berichtet Krauß. Und auch im Festsaal erhielt die Malerei aus dem 19. Jahrhundert frische Farben. Der Festakt in diesem Ambiente war für Honecker mehr als nur eine Reverenz an die Restauratoren und Handwerker. Zum 500. Geburtstag von Martin Luther (1483-1546) sollte dokumentiert werden, dass Reformation und Reformator zum "Geschichts- und Nationalbewusstsein" der DDR gehören.

Luther: In der DDR historisch neu bewertet
Die DDR wollte das Jubiläum "für die Verbesserung ihrer außenpolitischen Reputation und innenpolitisch für eine Verbreiterung ihrer Legitimationsbasis" nutzen, betont der Theologe und Publizist Ehrhart Neubert. Dazu hatte sich neben einem kirchlichen auch ein staatliches Komitee unter Vorsitz des SED-Chefs konstituiert.

Marxistische Historiker stellten Luther in die Traditionslinie alles Progressiven in der deutschen Geschichte. Das war auch in der SED nicht unumstritten, denn es bedeutete die Abkehr von einem Lutherbild, das den Reformator Jahrzehnte als Fürstenknecht und Verräter der Revolution verzeichnet hatte.

Doch trotz dieser Neubewertung, die Luther nunmehr zum geistigen Erbgut des Sozialismus hochstilisierte, blieb der Alltag für Kirchen und Christen in der DDR steinig. Für das kirchliche Gedenken hatte die SED-Führung sieben regionale Kirchentage im Laufe des Lutherjahres genehmigt. Unter dem Motto "Vertrauen wagen" wurden sie mit Zehntausenden Besuchern zwischen Ostsee und Erzgebirge zur Gegenöffentlichkeit des von der SED ausgerufenen "Karl-Marx-Jahres".

Konfliktfeld kirchliche Friedensgruppen
So blieb es auch im Lutherjahr bei der restriktiven SED-Politik gegenüber den Kirchen und ihren Mitgliedern. Spürbar war dies bei der häufig verweigerten Chancengleichheit in Beruf und Gesellschaft. Nach einem Gespräch mit Honecker auf der Wartburg zitierte das SED-Zentralorgan "Neues Deutschland" zwar den Thüringer Bischof Werner Leich mit der Forderung, "dass alle Bürger der DDR unabhängig von Weltanschauung und Religion die gleichen Chancen bei der Mitwirkung an der Entwicklung der sozialistischen Gesellschaft" erhalten müssten. Dennoch blieben die Benachteiligungen an der Tagesordnung.

Ein weiteres Konfliktfeld waren seit Anfang der 80er Jahre die kirchlichen Friedensgruppen, die sich unter dem Motto "Schwerter zu Pflugscharen" im ganzen Land sammelten. Erst wenige Wochen vor Honeckers Wartburg-Besuch hatte die Staatssicherheit ein Exempel statuiert, indem sie in Jena die dortige Friedensgemeinschaft zerschlug. 40 Mitglieder der Initiative im Umfeld der Jungen Gemeinde wurden damals zum Teil gegen ihren Willen in den Westen abgeschoben.

So blieben Lutherjahr und die frühen 80er Jahre "von politischen und innerkirchlichen Konflikten wegen der kirchlichen Friedensbewegung überschattet", stellt Neubert fest. Sie führten ab 1988 immer häufiger zu "ernstlichen Verstimmungen" mit der SED - bis zum Herbst 1989, als die Kirchen mit den Räumen für Friedensgebete auch "Formen einer religiösen Kultur des Widerstandes" boten, fügt er hinzu.