Als der Papst das Ausstellen von Beratungsscheinen stoppte

Vor 25 Jahren

Abtreibung als Zerreißprobe: Wer Menschen hilft, macht sich auch mal die Hände dreckig, so der damalige Limburger Bischof Kamphaus. Doch Papst Johannes Paul II. ging es vor 25 Jahren vor allem um ein Signal für den Lebensschutz.

Autor/in:
Christoph Arens
Eine Schwangere mit einem Ultraschallbild / © Julia Steinbrecht (shutterstock)
Eine Schwangere mit einem Ultraschallbild / © Julia Steinbrecht ( shutterstock )

Jahre lang war es still um das Thema Abtreibung. Doch im Koalitionsvertrag haben SPD, Grüne und FDP vereinbart, eine Kommission einzurichten, die unter anderem Regulierungen für den Schwangerschaftsabbruch außerhalb des Strafgesetzbuches prüfen soll.

Bislang gibt es die Kommission noch nicht. Doch gerade hat der Deutsche Juristinnenbund ein Positionspapier vorgelegt, das unter anderem eine völlige Freigabe von Abtreibungen bis zur 25. Schwangerschaftswoche fordert. Deutschland könnte also eine neue Debatte über ein Thema bevorstehen, das die Gesellschaft schon mehrfach in harte Konflikte stürzte.

Zahl der Schwangerschaftsabbrüche nimmt zu

Mehr Frauen in Deutschland haben zuletzt wieder abgetrieben. Im dritten Quartal 2022 wurden 26.500 Schwangerschaftsabbrüche gemeldet, 16,7 Prozent mehr als im Vergleichszeitraum 2021, wie das Statistische Bundesamt in Wiesbaden mitteilte. 2022 nahm die Zahl auch insgesamt deutlich zu, nachdem sie in den vergangenen zwei Jahren gesunken war. Anhand der Daten lässt sich nicht bewerten, ob und wie diese Entwicklung mit der Pandemie zusammenhängt, wie die Behörde mitteilte.

Schwangere mit Ärztin / © Blue Planet Studio (shutterstock)
Schwangere mit Ärztin / © Blue Planet Studio ( shutterstock )

Für die katholische Kirche ist das ein Grund zur Sorge. Zumal auch sie beim Thema Abtreibung schon mehrfach vor Zerreißproben stand. Wie vor 25 Jahren. Am 11. Januar 1998 forderte Papst Johannes Paul II. die deutschen Bischöfe ausdrücklich auf, in der kirchlichen Schwangerenkonfliktberatung keine Beratungsscheine mehr auszustellen. Im Kampf für das ungeborene Leben müsse die Kirche klaren Kurs halten, mahnte er in dem Schreiben, dass am 26. Januar 1998 öffentlich bekannt wurde. Der gesetzlich geforderte Beratungsschein habe eine "Schlüsselfunktion für die Durchführung straffreier Abtreibungen". Das Zeugnis der Kirche werde so verdunkelt.

Streit zwischen Bischöfen und dem Vatikan

Schon seit der Neuregelung der Abtreibung durch die SPD-FDP-Bundesregierung Mitte der 1970er Jahre arbeiteten katholische Beratungseinrichtungen im Zwiespalt: Würden sie durch die gesetzlich geforderte Ausstellung von Beratungsscheinen mitschuldig an Abtreibungen? Viele Bischöfe, Laien sowie Caritas und Sozialdienst katholischer Frauen (SkF) kämpften dafür, dass die rund 270 katholischen Beratungsstellen innerhalb des staatlichen Systems Ansprechpartner für Frauen bleiben konnten. Der Vatikan signalisierte Bedenken - gab aber lange keine konkrete Linie vor.

Johannes Dyba, damals Bischof von Fulda, am 23. Februar 1999 in Fulda / © Wolfgang Radtke (KNA)
Johannes Dyba, damals Bischof von Fulda, am 23. Februar 1999 in Fulda / © Wolfgang Radtke ( KNA )

Schon 1993 allerdings verfügte der Fuldaer Erzbischof Johannes Dyba den Ausstieg seines Bistums. Er und der Kölner Kardinal Joachim Meisner galten fortan zusammen mit dem Präfekten der Glaubenskongregation, Kardinal Joseph Ratzinger, als schärfste Kritiker des Beratungsscheins. Die Situation spitzte sich zu, als der Bundestag wegen der deutschen Einheit 1995 eine Fristenlösung mit Beratungspflicht einführte.

Immer wieder reisten Bischöfe in den Vatikan: Die Beratung verhindere im Jahr 5.000 bis 6.000 Abtreibungen, argumentierten sie. Denn ohne Aussicht auf einen "Schein" würden viele Frauen kirchliche Beratungsstellen gar nicht mehr aufsuchen.

Bis heute stellen Bistümer keine Scheine aus

Vergeblich. Am 23. November 1999 verkündete der Vorsitzende der Bischofskonferenz, Bischof Karl Lehmann, dass die katholische Beratung auf Anordnung des Papstes neu geordnet werde. Schon Anfang 2000 stellten die ersten Bistümer keine Beratungsscheine mehr aus.

Franz Kamphaus, emeritierter Bischof von Limburg / © Harald Oppitz (KNA)
Franz Kamphaus, emeritierter Bischof von Limburg / © Harald Oppitz ( KNA )

Widerstand leistete lange der Limburger Bischof Franz Kamphaus: "Nach meinen Erfahrungen werden jetzt Lebenschancen für Kinder vergeben." Im März 2002 beendete der Papst den Alleingang des Bischofs, beließ ihn aber im Amt.

Seitdem haben die Bistümer die Arbeit der Beratungsstellen neu geordnet und teilweise sogar ausgeweitet - ohne aber den Beratungsschein auszustellen. 2021 wandten sich 99.669 Ratsuchende an die katholischen Schwangerschaftsberatungsstellen, darunter sehr viele Frauen mit Migrations- oder Fluchterfahrung. Davon befanden sich allerdings nur 531 oder 0,5 Prozent im existenziellen Schwangerschaftskonflikt.

"Donum Vitae" führte kirchliche Beratung fort

Den Beratungsschein stellt allerdings weiterhin der Verein "Donum Vitae" aus, den prominente Katholiken 1999 gründeten. "Donum Vitae" berät Frauen innerhalb des staatlichen Systems auf der Grundlage des Beratungs- und Hilfeplans, den die Bischöfe 1999 verabschiedet hatten.

Die Entscheidung zum Ausstieg stieß auch bei Politikern auf Kritik, die das Engagement der Kirche unterstützt hatten, darunter Kanzler Helmut Kohl (CDU). Bei der früheren Gesundheitsministerin Rita Süssmuth (CDU) wirkte der Konflikt lange nach: Sie habe damals einen schwer erträglichen Rigorismus erlebt, erinnerte sie sich 2017. "Ich kann doch nicht aussteigen, nur weil es das Risiko gibt, dass sich die Ratsuchenden vielleicht zur Abtreibung entscheiden und nicht so handeln, wie die Kirche es sich wünscht."

donum vitae

Der Verein Donum Vitae (Geschenk des Lebens) wurde 1999 von katholischen Laien gegründet im Zuge des Ausstiegs der katholischen deutschen Bischöfe aus dem gesetzlichen System der Schwangerenkonfliktberatung mit Ausstellung des Beratungsscheins. Er wählt bei der Beratung von Schwangeren in Konfliktsituationen einen Weg, den der Vatikan ablehnt: Die Mitarbeiter geben nach der Beratung auf Wunsch den vom Gesetzgeber geforderten Schein aus. Dieser eröffnet den Zugang zu einer straffreien Abtreibung.

Szene aus einem Imagefilm von Donum Vitae in Bayern / ©  Bewegter Blick (KNA)
Szene aus einem Imagefilm von Donum Vitae in Bayern / © Bewegter Blick ( KNA )
Quelle:
KNA