Deutsch-Iranerin Nahid Taghavi ein Jahr in Haft

"Alles ist ein Akt einziger Willkür"

Am 16. Oktober 2020 wurde die 66-jährige Nahid Taghavi aus Köln im Iran festgenommen. Sie ist in Isolationshaft im Teheraner Evin Gefängnis, das für Massenhinrichtungen und Folter bekannt ist. Eine Freilassung ist nicht in Sicht. Die Unterstützer geben nicht auf.

Iranische Nationalflagge / © Alexander Zemlianichenko (dpa)
Iranische Nationalflagge / © Alexander Zemlianichenko ( dpa )

DOMRADIO.DE: Nahid Taghavi wurde wegen Gefährdung der Sicherheit und Mitgliedschaft in einer illegalen Organisation festgenommen, hieß es bei der Festnahme in Teheran. Das klingt aber alles recht konstruiert. Sie ist Architektin und keine Aktivistin. Wissen Sie mittlerweile, was wirklich hinter dieser Festnahme steckt? 

Heribert Hirte (ehemaliger CDU-Bundestagsabgeordneter): Ehrlich gesagt, genau da liegt das Problem. Wir wissen es nicht. Wir wussten nicht, aus welchem Grunde sie gefangen genommen und verurteilt wurde. Das wirklich Pikante an der Sache ist das verkündete Urteil, das später noch geändert wurde. Es wurde der Name der Organisation, der sie angeblich angehört haben soll, noch sozusagen umgeschrieben. Die Organisation, die dort genannt ist, kennt sie gar nicht. Das zeigt, das alles ist ein Akt einziger Willkür. Das ist das, was mich und viele andere - auch in der Politik - aufbringt. Allerdings leider nicht in der Führungsspitze des Auswärtigen Amtes.

DOMRADIO.DE: Wie geht es Nahid Taghavi jetzt?

Hirte: Es geht ihr schlecht, weil sie eine schwere Krankheit hat, wegen der sie operiert werden muss. Das wissen wir über Umwege vom Gefängnisarzt. Sie müsste also eigentlich in Hafturlaub. Sie war auch an Covid-19 erkrankt. An den Folgen leidet sie noch heute. Deshalb braucht sie Medikamente, die man versucht, ihr zugänglich zu machen, die aber nur in unregelmäßigen Abständen bei ihr ankommen.

DOMRADIO.DE: Sie ist eine deutsche Staatsbürgerin im Ausland, die jetzt aus politischen Gründen verhaftet wurde. Damals bei der Inhaftierung des deutsch-türkischen Journalisten Deniz Yücel hatte sich der damalige Außenminister Sigmar Gabriel höchstpersönlich eingeschaltet. Warum findet denn dieser Fall nicht die gleiche Beachtung?

Hirte: Das wissen wir nicht. Und das ist etwas, was mich auch wirklich unruhig macht. Wir wissen, dass das Auswärtige Amt daran arbeitet. Wir wissen auch, dass die deutsche Botschaft in Teheran sich um den Fall kümmert. Wir wissen, dass das Parlament auch auf mein Betreiben hin in dem sogenannten Menschenrechtsantrag zum Thema Iran ihren Namen explizit auch erwähnt hat. Aber der Außenminister hat sie offenbar nicht in der Weise auf dem Schirm, wie das der frühere Außenminister hatte.

DOMRADIO.DE: Sie setzen sich dafür ein, dass die Bundesregierung mehr Druck macht. Wie sind die Aussichten?

Hirte: In Deutschland wird der Name sehr intensiv - auch in der Presse - wahrgenommen. Immer wieder hatten wir auch überregionale Berichterstattung. Die Internationale Gesellschaft für Menschenrechte arbeitet mit mir zusammen, um den Fall auch nach vorne zu bringen. Aber es reicht offensichtlich nicht. Vielleicht auch deshalb nicht, weil wir immer noch nicht die wahren Gründe kennen, warum sie festgehalten wird.

DOMRADIO.DE: Wie beurteilen Sie denn jetzt die Chancen, dass Nahid Taghavi irgendwann zeitnah freigelassen wird? Gibt es etwas, das helfen könnte?

Hirte: Druck hilft ganz sicher. Eine neue Bundesregierung, da bin ich zuversichtlich, könnte und sollte noch mehr Druck machen. Aber wir müssen auch sehen, der Iran ist in diesen Dingen beinhart. Wenn man nicht weiß, was die wahren Gründe sind, wenn die Gründe, die genannt werden, vorgeschoben sind, dann fällt Aktivität in der Tat sehr schwer. Das macht mich traurig.

DOMRADIO.DE: Wie könnte es weitergehen?

Hirte: Den Druck erhöhen und dann versuchen, eine Lösung zu finden, die für alle Seiten gesichtswahrend ist, das ist letztlich das Problem. Denn wir wissen, dass das Verfahren, das Frau Taghavi gemacht wurde, menschenrechtswidrig ist, dass es auch gegen iranische Gesetze verstößt. Aber dies zuzugeben, ist natürlich aus verständlichen Gründen schwierig. Also braucht man eine Lösung, die in irgendeiner Weise die Möglichkeit erhält, anschließend noch miteinander reden zu können. Das ist genau das, was ich vom Außenminister erwartet hätte. Und das ist bisher nicht geschehen. Ein neuer Außenminister kann das wieder gut machen.

Das Interview führte Florian Helbig.


Professor Dr. Heribert Hirte / © Tobias Koch (privat)
Professor Dr. Heribert Hirte / © Tobias Koch ( privat )
Quelle:
DR