Erzbischof Schick nach Syrien-Reise: Zivilgesellschaft stärken

"In Aleppo haben wir nachts die Einschläge von Raketen gehört"

Gerade jährte sich der Beginn des Bürgerkriegs in Syrien zum achten Mal. Der Vorsitzende der Kommission Weltkirche der Deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof Ludwig Schick, hat sich vier Tage lang ein Bild von der Situation gemacht. 

Autor/in:
Sabine Kleyboldt
Erzbischof Schick im zerstörten Aleppo / © Sowa (DBK)
Erzbischof Schick im zerstörten Aleppo / © Sowa ( DBK )

KNA: Erzbischof Schick, was sind die prägendsten Eindrücke, die Sie von Ihrer Syrien-Reise mitbringen?

Erzbischof Ludwig Schick: Beeindruckt hat mich, wie stark sich die Christen vor Ort für die ärmsten und schwächsten Menschen im Land einsetzen. Die Projekte, die wir in Aleppo besuchen konnten, lassen eine tiefe Nächstenliebe spüren, die in die ganze Gesellschaft ausstrahlt.

Darüber hinaus haben wir gehört, wie Pfarrer, Ordensfrauen und Ordensmänner auch in extremen Situationen während des Krieges bei ihren Gemeinden ausgeharrt haben. Einige von ihnen, wie der Jesuit Frans van der Lugt, haben dafür mit ihrem Leben bezahlt. Von diesen Glaubenszeugnissen zu hören, war sehr bewegend.

Erschüttert hat mich aber vor allem das Elend, in dem besonders Frauen und Kinder in der weitgehend zerstörten Stadt hausen und ums Überleben kämpfen. Sie brauchen viel Hilfe. Die Männer fehlen, weil sie im Krieg gefallen, beim Militär eingezogen oder im Ausland sind.

KNA: Acht Jahre nach Beginn des Bürgerkrieges spricht das Assad-Regime davon, dass der Konflikt beendet sei, die Lage habe sich stabilisiert. Können Sie das nach Ihren Begegnungen und Eindrücken vor Ort bestätigen?

Schick: In Aleppo haben wir nachts die Einschläge von Raketen und anderen Geschossen gehört, die von Rebellen aus der Stadt Idlib auf Aleppo abgefeuert werden. Noch ist der Krieg nicht ganz vorbei. Aber tatsächlich gibt es keine Kriegshandlungen mehr wie noch vor drei oder vier Jahren.

KNA: Laut westlichen Staaten sind mehr als 13 Millionen Syrer auf humanitäre Hilfe angewiesen, über 11 Millionen seien aus ihrer Heimat vertrieben worden. Wie sehen Sie unter diesem Aspekt die Syrien-Politik der Weltgemeinschaft, der EU und Deutschlands?

Schick: Die Weltgemeinschaft ist gefordert! Der wichtigste Beitrag, den sie zur Beendigung des Konflikts und der Befriedung der Gesellschaft leisten kann, ist die Unterstützung aller Bemühungen innerhalb Syriens, eine friedliche und inklusive Gesellschaft zu schaffen. Die Zivilgesellschaft muss gestärkt werden. Allerdings lässt die syrische Regierung kaum Interesse daran erkennen. Zudem nutzen verschiedene Staaten den Krieg aus, um ihre Einflusssphären in Syrien auszubauen. Zur Überwindung dieser Blockaden sind alle Anstrengungen gefragt.

Auch die Sanktionspolitik der Europäischen Union ist immer wieder kritisch zu überprüfen. Gerade die Ärmsten und Verletzlichsten dürfen nicht unter ihren Folgen leiden. Es ist zu hoffen, dass alle Verantwortungsträger weltweit zur Besinnung kommen, Syrien befrieden und den Syrern beistehen, eine Zukunft für sich aufzubauen.

KNA: Welche Rolle kann die Kirche beim Wiederaufbau eines Landes spielen, das heute größtenteils muslimisch ist?

Schick: Durch ihre soziale Arbeit für die notleidenden Menschen haben auch die wenigen Christen ein neues hohes Ansehen in der Bevölkerung gewonnen. Im zerstörten Ost-Aleppo waren die Einrichtungen der Caritas und des Jesuitenflüchtlingsdienstes die ersten, die mit Lebensmittelhilfen viele Menschen unterstützt haben. Jetzt sind unsere Organisationen dabei, zum Beispiel mit Nachhilfeprogrammen die verlorenen Schuljahre der Kriegskinder nachzuarbeiten. Sie erreichen damit natürlich vor allem Muslime und bauen so Vorurteile und Barrieren zwischen den Religionen ab. Die Christen können der Sauerteig sein, aus dem ein neues Syrien entsteht, das Brot für alle hat.

KNA: Wie ist die Lage der Christen in Syrien, die zwar inzwischen eine kleine Minderheit sind, aber auf eine sehr lange Geschichte zurückblicken.

Schick: Die Christen, mit denen wir gesprochen haben, Gemeindemitglieder und Bischöfe, sehen zwar, dass ihre Zahl seit Ausbruch des Krieges kleiner geworden ist. Sie möchten aber als Urbevölkerung Syriens wahrgenommen werden: Sie sind seit den frühen Jahren des Christentums in der Region beheimatet. Viele Christen haben in den Jahrhunderten zur reichen Kultur des Landes und in den vergangenen Jahrzehnten zum Aufbau des Landes vielfältig beigetragen.

Der Geist und das Engagement der Christen werden zweifellos auch heute gebraucht.

Leider haben überproportional viele Christen das Land verlassen. Sie waren oft gut ausgebildet, gehörten der Mittelschicht an und verfügten über internationale Netzwerke. Sie haben Kapazitäten für das Land. Auf der anderen Seite treibt sie die Sorge um die Zukunft ihrer Kinder um. Deshalb verlassen sie das Land. Wenn sich die Lage bald grundlegend verbessert, kommen hoffentlich etliche wieder zurück.

KNA: Welche Bedeutung hat es, dass Sie gemeinsam mit einem polnischen Bischof nach Syrien gereist sind?

Schick: Verständnis und Zusammenarbeit zwischen der Kirche in Polen und Deutschland sind in den zurückliegenden Jahrzehnten gewachsen.

Deshalb haben sich die Bischofskonferenzen und die Caritasverbände in beiden Ländern entschlossen, gemeinsam ein Zeichen für den Frieden in Syrien zu setzen und sich für die Menschen dort zu engagieren. Durch unsere gemeinsame Aktion dürfte es gelungen sein, die Aufmerksamkeit für die anhaltende Krise in Syrien und für das Leiden der Opfer zu schärfen.

KNA: Welche Botschaft oder welcher Auftrag - an Kirche, Politik, Gesellschaft - ergibt sich aus Ihrer Syrien-Reise?

Schick: Die Weltgemeinschaft darf das Leid der Bevölkerung nicht vergessen, auch wenn mit dem militärischen Sieg der Regierung der Krieg zunächst einmal auf ein Ende zuzugehen scheint. Die Menschen brauchen Solidarität, um die große wirtschaftliche Krise zu bewältigen. Investitionen in den Aufbau von Wohnungen, der Infrastruktur und der Wirtschaft sind gefordert. Entwicklung und Wiederaufbau werden aber letztlich nur gelingen, wenn sie mit Prozessen gesellschaftlicher Versöhnung verbunden werden. Dazu können die Christen im Land eine wichtigen Beitrag leisten.

Die internationale Gemeinschaft, darunter auch Deutschland, kann und soll sich dafür einsetzen, dass solche Prozesse angestoßen werden.

Die Regierung hat die meisten Gebiete wieder unter ihrer Kontrolle.

Das heißt jedoch nicht, dass das Land im eigentlichen Sinne befriedet wäre. Die Wirtschaft liegt am Boden und verschlechtert sich weiter.

Von bürgerlichen Freiheiten ist Syrien weit entfernt.


Erzbischof Schick trifft Schulkinder / © Sowa (DBK)
Erzbischof Schick trifft Schulkinder / © Sowa ( DBK )
Quelle:
KNA