Afghanistan-Konferenz: Die Taliban haben sich seit ihrem Sturz gewandelt

Von der Koranschule in den Krieg

In zehn Jahren Krieg wurden die Taliban nicht besiegt. Nun soll die Bonner Afghanistan-Konferenz die Chancen für Verhandlungen mit den Aufständischen sondieren. Denn bis 2014 will die NATO ihre Kampftruppen aus Afghanistan abziehen.

Autor/in:
Agnes Tandler
 (DR)

Die jungen fanatischen Kämpfer tauchten 1994 erstmals in den Kriegswirren in Afghanistan auf. Zwei Jahre später zogen sie siegreich in Kabul ein. Die radikal-islamischen Taliban regierten das Land fünf Jahre lang - nach den Terroranschlägen vom 11. September wurden sie Ende 2001 durch eine US-geführte Militäroperation vertrieben. Seitdem operieren die Taliban als Kriegspartei im Untergrund.



Bei der Bonner Afghanistan-Konferenz am Montag (05.12.2011) sollen nun Chancen für Verhandlungen mit den Aufständischen ausgelotet werden. Eine schwierige Aufgabe - denn die Gruppierung fächert sich auf. Der Name Taliban steht heute für eine ganze Reihe aufständischer Gruppen in Afghanistan und Pakistan, die nur lose miteinander verbunden sind. Die einflussreichsten Fraktionen sind die Quetta Schura, die Haqqanis und die pakistanischen Taliban.



Machtbasis im Osten

Die Quetta Schura mit ihrem Anführer Mullah Mohammed Omar bilden eine Art Exilregierung, die vor allem aus Mitgliedern des früheren Taliban-Regimes besteht. Sie waren 2001 in die pakistanische Stadt Quetta geflohen, wo die Schura auch heute noch sitzt. Das Haqqani-Netzwerk operiert im schwer zugänglichen Grenzgebiet zwischen Afghanistan und Pakistan. Der Anführer Jalaluddin Haqqani war schon "Gotteskrieger" (Mudschahedin) gegen die sowjetischen Truppen in den 80er Jahren. Mitte der 90er Jahre verbündete er sich mit Taliban-Führer Mullah Omar.



Dennoch arbeiten die Haqqanis recht eigenständig. Die Gruppe hat ihre Machtbasis zwar vor allem im Osten Afghanistans, doch gingen auch zahlreiche spektakuläre Anschläge in der Hauptstadt Kabul und in anderen Gebieten auf ihr Konto.



In Pakistan neu formiert

Die pakistanischen Taliban sind hingegen eher ein Dachverband aus einem guten Dutzend islamistischer Gruppen, die in Pakistans Grenzgebiet zu Afghanistan kämpfen. Die Organisation besteht seit Ende 2007. Sie hat eine ganze Reihe schwerer Anschläge in Pakistan verübt und greift auch immer wieder NATO-Versorgungstransporte auf ihrem Weg durch Pakistan nach Afghanistan an.



Talib bedeutet so viel wie Schüler oder Student in Arabisch und in der Regionalsprache Paschtu. Die Taliban-Bewegung begann in radikalen Koranschulen in Pakistan, in der afghanische Flüchtlinge unterrichtet wurden. Ihr Anführer Mullah Omar ist ein ehemaliger Prediger, der schon gegen die Sowjets kämpfte. Nachdem er in Kabul an die Macht gekommen war, nahm er Al-Kaida-Chef Osama bin Laden auf.



Als Ende 2001 US-gestützte Truppen ihre Militäroperation gegen die Taliban und Al Kaida in Afghanistan begannen, schien die Bewegung innerhalb weniger Wochen restlos besiegt. Doch die Aufständischen flohen nach Pakistan, gruppierten sich neu und wurden zu einer schlagkräftigen Guerilla-Bewegung, die nun in beiden Ländern operiert.



Im Kampf gegen einen finanziell und materiell haushoch überlegenen Feind nutzen sie einfache und billige, aber wirkungsvolle Mittel, wie selbst gebastelte Bodenminen. Zudem versuchen die Taliban auch Einfluss in Tadschikistan, Kirgistan und Usbekistan zu gewinnen.



Und die Verbindung zu Al Kaida?

Die Taliban sind keine straff organisierte Organisation unter einheitlichem Kommando. Sie gleichen eher einem Franchise-Unternehmen, das die Marke und die Ideologie stellt, doch das Tagesgeschäft und die Verantwortung für Operationen den Kräften vor Ort überlässt. Die Bewegung ist flexibel und kann sich schnell auf neue Entwicklungen einstellen.



Schwer einzuschätzen ist, wie nach der Tötung Bin Ladens durch US-Spezialkräfte im Mai in Pakistan die Verbindung der Taliban zum Terrornetzwerk Al Kaida aussieht. Die beiden Afghanistan-Kenner Alex Strick van Linschoten und Felix Kuehn vertreten die These, dass die beiden Organisationen nur sehr locker im Kampf gegen die ausländischen Truppen kooperieren und in ihren Ansichten häufig differieren. Sie sehen daher einen Spielraum für Friedensverhandlungen.



Allerdings gibt es bislang keine Signale, dass die Taliban an Gesprächen interessiert sind. Doch auch eine militärische Lösung des Konfliktes in Afghanistan ist nicht in Sicht. Zwar gelang es der NATO, in den vergangenen Monaten, die Taliban in Teilen Afghanistans wieder zurückzudrängen, doch ein dauerhafter Erfolg scheint in weiter Ferne.