In Afghanistan kann es für die Bundeswehr bald eng werden

Vor der "Schlacht" um Kundus?

Am Hindukusch kann es für die Bundeswehr nach Einschätzung westlicher Geheimdienste bald auf des Messers Schneide stehen. Die Taliban wollen wohl mit ihren konzentrierten Angriffen auf Bundeswehrsoldaten in der Region um Kundus einen Umschwung in Afghanistan einleiten.

Autor/in:
Friedrich Kuhn
 (DR)

Vertreter deutscher und amerikanischer Nachrichtendienste äußerten am Mittwoch in der afghanischen Hauptstadt Kabul übereinstimmend die Auffassung, dass die Taliban mit ihren ständigen konzentrierten Angriffen auf Bundeswehrsoldaten in der Region des nordafghanischen Stützpunktes Kundus einen Umschwung in Afghanistan einleiten wollen. "Die Taliban wollen in Kundus den Hebel ansetzen", sagte ein Angehöriger des Bundesnachrichtendienstes (BND).

Die Bedrohung sei "insgesamt erheblich", heißt es in der jüngsten vertraulichen Analyse der Bundeswehr, die der Nachrichtenagentur ddp vorliegt. Die Kämpfer der Taliban und Al-Qaida erhalten nach Informationen der Geheimdienste jetzt für die "Schlacht" um Kundus zunehmend erhebliche Unterstützung von tschetschenischen und usbekischen Terroristen. Auch aus den Reihen der paschtunischen Flüchtlinge, die aus Iran und Pakistan zurückgekehrt sind, würden zahlreiche Terroristen rekrutiert, war zu erfahren. Deutsche Offiziere in Kundus zeigten sich "sehr beunruhigt" über das "militärisch geplante Vorgehen" der Taliban im Raum Kundus.

Trotz aller verstärkten Aufklärungsbemühungen des Bundesnachrichtendienstes ist es bisher nicht gelungen, die führenden Hintermänner der Anschläge auf die Bundeswehr im Raum Kundus dingfest zu machen. Eine spektakuläre Festnahme wie die des Kommandeurs Abdul Razeq Anfang Mai werde "leider nicht so schnell wieder gelingen", meinte ein BND-Mann. Als besonderes Problem gilt der Gouverneur der Provinz Kundus, Mohammed Omar. Der BND hat Omar schon länger im Visier, weil er den Taliban Informationen weitergegeben haben soll, mit denen ihre Kommandeure vor einer bevorstehenden Festnahme gewarnt wurden. "Wenn wir die Hintermänner der Anschläge in Kundus nicht fassen können, sieht es wirklich schlecht aus", heißt es in Kreisen des BND.

Hoffnung auf "Petraeus-Strategie"
An erster Stelle der "wanted"-Liste steht Mullah Salam. Er wird als Leiter aller Angriffe auf die Bundeswehr in der Nordregion betrachtet. Er werde für jeden getöteten Afghanen Rache nehmen, "bis wir die Deutschen aus Kundus und auch alle anderen Besatzer aus Afghanistan vertrieben haben", hat der Mullah erklärt. Er soll seine Einsatzbefehle direkt von der Führung der Taliban im pakistanischen Quetta erhalten. Von dort sei jetzt der Befehl gekommen, "auf die Bundeswehrsoldaten mit aller Schärfe vorzugehen", war aus dem afghanischen Geheimdienst NDS zu hören. Die Taliban, die bereits um die 70 Prozent Afghanistans mehr oder weniger kontrollieren sollen, wollten ihre Front in den nächsten Monaten vom Norden aus aufrollen, erläuterte ein NDS-Experte ddp.

Die Geheimdienstler in Kabul wiesen noch auf eine andere "zu befürchtende Entwicklung" hin. Nachdem die Taliban von der pakistanischen Armee aus dem Swat-Tal vertrieben worden sind, wo sie schon eine eigene Verwaltung errichtet hatten, würden viele ihrer Kämpfer im Norden Afghanistans jetzt gegen die "deutschen Besatzer eingesetzt", sagte ein Angehöriger des US-Geheimdienstes CIA in Kabul. Das beweise wieder, dass der Schlüssel zur Lösung aller Probleme in Afghanistan eigentlich in Pakistan liege. Der Westen werde die immensen Schwierigkeiten am Hindukusch nicht in den Griff bekommen, wenn es nicht gelinge, den "Rekrutierungsraum Pakistan" für die Taliban einzudämmen und schließlich "still zu legen".

Die westlichen Geheimdienste setzen große Hoffnungen bei der Entwicklung am Hindukusch auf die "Petraeus-Strategie". Der US-General David Petraeus hatte als Oberkommandierender der multinationalen Streitkräfte im Irak durch seine geschickte Strategie die Situation in dem Zweistromland beruhigen können. Seit Herbst vergangenen Jahres hat Petraeus das Kommando über den gesamten Mittleren Osten und Zentralasien, also auch über Afghanistan. Sein Erfolgsrezept lautete im Irak: Das Militär erst einmal verstärken, um Sicherheit herzustellen, aber gleichzeitig die Bevölkerung und die Stammesführer für sich gewinnen und versuchen, sie auf die westliche Seite zu ziehen. "Im Irak hat es geklappt. Sollte es in Afghanistan nicht so gelingen, bleibt für die ISAF-Truppen nur der Abzug", meinte ein CIA-Mann.